Sportmediziner über Coronavirus-Regeln: „Jogger sollten zum Vorderläufer 15 Meter Abstand halten“
Berlin steht still, doch gelaufen werden darf noch. Was Jogger beachten sollten, erklärt Langstreckenläufer und Charité-Sportmediziner Paul Schmidt-Hellinger.
Herr Schmidt-Hellinger, eigentlich sind wir aktuell dazu aufgefordert, zuhause zu bleiben. Warum sollte man trotzdem laufen gehen?
Für die Gesundheit ist Sport stark von Vorteil und wegen der Corona-Pandemie sind eben nur noch Individualsportarten möglich. Laufen war schon immer die einfachste Form von Sport. Die WHO empfiehlt 150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche – daran halten sich in Deutschland auch ohne Krise nur 20 Prozent. Dabei beugen wir damit Zivilisationskrankheiten wie Schlaganfall, Bluthochdruck und Diabetes vor.
Wie viel sollten Anfänger laufen?
Das kommt auf die Vorerfahrung an. Wenn ein notorischer Sportmuffel jetzt der Wohnung entfliehen will, kann das schnell orthopädische Folgen haben. Wer sonst wirklich gar nichts macht, sollte am Anfang nur 30 Minuten Sport pro Woche treiben, sonst kann es zu einer Überlastung des Muskel-Sehnen-Apparats kommen.
Man kann beispielsweise mit Einheiten beginnen, bei denen man zehn Mal eine Minute joggt und dazwischen eine Minute geht. Woche für Woche kann man sich dann um zehn Prozent steigern. Das klingt wenig, gerade jetzt, wenn man so viel Zeit hat, aber wer ohne Training direkt dreimal die Woche eine Stunde läuft, ist nach drei Wochen wahrscheinlich verletzt und komplett raus.
Wie schnell darf man laufen?
Es gilt das alte Motto: Laufen ohne Schnaufen. Wer beim Joggen sprechen oder singen kann, hat das richtige Tempo. Gerade als Anfänger macht man schnell Fortschritte. Nach sechs Wochen wird man im Schnitt zehn Prozent schneller – ohne, dass es anstrengender wird.
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Wie finde ich den passenden Laufschuh?
Darauf achtet normalerweise der Laufschuhverkäufer bei einer Laufband-Analyse. Da das jetzt nicht geht, bleibt nur, mehrere Paar zu bestellen und sie zuhause zu probieren. Umweltschützer werden mich peinigen, aber, wenn man nur einen Schuh bestellt, ist die Gefahr groß, dass man ihn trotz Druckstellen behält. Beim ersten Probieren muss sich der Fuß im Schuh gut anfühlen.
Braucht man als Anfänger App und Uhr?
Für den Anfang eigentlich nicht. Als Kind habe ich immer auf die Kirchturmuhr geschaut, eine Uhr ist natürlich bequemer. Apps sind eher in der Trainingspsychologie von Vorteil. Sie motivieren uns, weiter was zu machen und man kann an virtuellen Wettbewerben teilnehmen.
"Ein Marathon in der Wohnung ist völliger Quatsch"
Haben Sie eine Lieblings-App?
Ich nutze Strava, weil sie noch nicht von einem Sportartikelhersteller gekauft wurde. Sonst muss man immer befürchten, dass die Apps auf einen hohen Schuh-Verschleiß ausgelegt sind. Aus medizinischer Perspektive fände ich es besser, wenn Regelmäßigkeit statt Intensität honoriert wird. Bei Strava, aber auch Garmin, die mich sponsern, achten die Algorithmen darauf und warnen vor Überlastung.
Stichwort Intensivität: Viele sind am Wochenende den ausgefallenen Halbmarathon privat gelaufen, teilweise in Bestzeit.
Das ist aktuell hoch fahrlässig! Nach einer Ausbelastung wie einem Halbmarathon ist das Immunsystem bis zu 72 Stunden eingeschränkt. Die Schleimhäute sind ausgetrocknet, der Körper ist weniger resistent gegen Erkältungsviren wie SARS-Co-V-2. In der Medizin sprechen wir vom „Open Window Phänomen“. Wir Sportler haben eine Vorbild-Funktion. Wenn ich jetzt online gepostete Bestzeiten sehe, kann ich nur den Kopf schütteln.
Teilweise werden Wettkämpfe wie der „Mammutmarsch“ in die Wohnung verlegt. 100 Kilometer um den Küchentisch.
Hoffentlich ein Marketing-Gag, dem niemand folgt. Ein Marathon in der Wohnung ist völliger Quatsch. Durch die vielen kleinen Richtungswechsel besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr.
Macht es Sinn, mit einem Mundschutz zu laufen?
Ein Mundschutz verhindert, dass wir – sollten wir unbemerkt den Virus in uns tragen – andere anstecken. Ich laufe im Winter mit Tuch, weil sich dadurch die Luft besser anfeuchtet und die Schleimhäute nicht austrocknen. Das kann man auch jetzt machen, entscheidend ist aber der Abstand.
Zu wie viel Meter raten Sie?
Selbst Virologen sind sich bei diesem Thema uneins. Lasst uns einfach den Abstand nehmen, der beim Triathlon aus Windschattengründen vorgeschrieben ist – 15 Meter! Theoretisch kann man sonst in die „Atemwolke“ des Vorläufers reinlaufen. Seitlich ist das was anderes, da reichen die vorgeschriebenen 1,5 Meter.
15 Meter zum Vorläufer ist in vielen Berliner Parks derzeit gar nicht so einfach.
Wenn man sieht, dass der Park voll ist, sollte man vielleicht die leeren Straßen nutzen. Oder man geht in den Grunewald – da ist Platz. In Frankreich wurde Sport zwischen 10 und 19 Uhr verboten, weil alle gleichzeitig laufen wollten. Das hat auch mit sozialer Verantwortung zu tun.
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