Der Fall Fabien Martini: Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen den Opfer-Anwalt
Fabien Martini starb bei einem Unfall mit einem Polizeiwagen. Weil der Anwalt der Eltern den Schadensersatzanspruch vorantreibt, wird gegen ihn ermittelt.
Im Fall der bei einem Verkehrsunfall mit einem Polizeifahrzeug in Mitte getöteten Fabien Martini geht die Berliner Staatsanwaltschaft nun auch gegen den Anwalt der Eltern des Opfers vor. Wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr, hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Opfer-Anwalt eingeleitet. Ermittelt wird wegen des Verdachts auf Weitergabe von Privatgeheimnissen.
Im Strafgesetzbuch heißt es in Paragraf 203 zum Vorwurf: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis (...) offenbart, dass ihm als Rechtsanwalt (...) anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Staatsanwaltschaft wollte sich auf Tagesspiegel-Anfrage „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht zu dem Verfahren äußern. Rechtsanwalt Matthias Hardt, der die Eltern der getöteten Fabien Martini vertritt, zeigte sich überrascht.
Er sei bislang nicht über ein mögliches Verfahren gegen ihn informiert worden. Hardt hatte der Staatsanwaltschaft wiederholt vorgeworfen, bei den Ermittlungen versagt zu haben und das Verfahren nicht nach den üblichen Regeln vorangetrieben zu haben.
Hintergrund für die neuen Ermittlungen, die sich nun gegen Hardt richten, ist offenbar dessen Zuarbeit für die Senatsverwaltung für Finanzen, um für die Eltern Schadenersatzansprüche zu sichern.
Diese Ansprüche habe er schon frühzeitig gegenüber der Finanzverwaltung geltend gemacht, sagte der Anwalt auf Anfrage. Doch die Staatsanwaltschaft habe sich geweigert, die dafür nötigen Unterlagen aus den Ermittlungsakten der Finanzverwaltung auszuhändigen.
Er selbst, sagt Hardt, habe im Februar, etwas mehr als ein Jahr nach dem Unfall auf der Grunerstraße Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft genommen. Um der zuständigen Finanzverwaltung die beantragten Ansprüche auf Schadenersatz zu verdeutlichen, habe er Kopien der Akten an die Verwaltung weitergereicht - darunter auch die Patientenakten des Polizeibeamten Peter G.
Der Beamte ist am 29. Januar 2018 in Berlin-Mitte mit einem Streifenwagen zu einem Eil-Einsatz mit Blaulicht gefahren und mit Tempo 134 durch den Tunnel am Alexanderplatz gerast.
Zur selben Zeit steuerte die damals 21 Jahre alte Fabien Martini ihren Wagen auf der Grunerstraße von der rechten Fahrspur über die komplette Fahrbahn nach links zu den damaligen Parkplätzen auf dem Mittelstreifen. Dann knallte der Einsatzwagen mit Tempo 90 gegen Martinis Wagen, sie starb am Unfallort.
Juristisch geht es um die Frage, ob G. zunächst fahrlässige Tötung oder durch eine mögliche Alkoholisierung sogar Vorsatz nachgewiesen werden kann. Er und sein Beifahrer waren nach dem Unfall leicht verletzt in die Charité gebracht worden.
Nach monatelangen Ermittlungen stand das Verfahren kurz vor dem Abschluss, ab September machte dann der Anwalt der Eltern von Fabien Martini Druck wegen einer möglichen Alkoholisierung. Im Januar 2019 rückte dann die Staatsanwaltschaft in der Charité an und beschlagnahmt mithilfe eines Ermittlungsverfahrens gegen medizinisches Personal die Patientenakten von G.
Bei der Blutprobe in der Charité soll bei G. ein Blutalkoholwert von 1,1 Promille festgestellt worden sein. Für eine gerichtsfeste Blutuntersuchung nach einem Unfall sind nach den Vorschriften zwei Blutproben mit zeitlichen Abstand nötig.
Damit kann der Abbau des Alkohols und die Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt festgestellt werden. Bei G. gab es keine zweite Untersuchung. Nachzuweisen wäre auch, ob die Blutprobe auch von G. stammte.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft mehrere Gutachten in Auftrag gegeben. Derselbe Gutachter, der bereits 2018 die Geschwindigkeiten bei der Tunnelfahrt und beim Aufprall ausgewertet hat, ist erneut hinzugezogen worden.
Er soll die festgestellten Geschwindigkeiten und Reaktionszeiten darauf prüfen, ob eine Alkoholisierung während der Einsatzfahrt wahrscheinlich ist. Es geht um die Frage, ob die Reaktionen von G. am Steuer für eine Alkoholfahrt sprechen oder nicht.
Das zweite im Frühsommer in Auftrag gegebene Gutachten soll wenig gebracht haben. Die Staatsanwaltschaft wollte anhand der Patienten wissen, ob und wie sehr G. zur Unfallzeit betrunken gewesen sein könnte.
Dem Vernehmen nach gab es nicht nur Probleme, ein geeignetes Institut zu finden. Vielmehr kam das beauftragte Institut zu dem Ergebnis, dass es nur wenig feststellen könne anhand der Patientenakte - und vor allem ohne noch vorhandene Blutprobe.
Damit dürfte immer schwerer nachzuweisen sein, ob G. unter Alkoholeinfluss am Steuer saß oder nicht. Das ist wiederum entscheidend für den vom Anwalt der Eltern beantragten Schadenersatz. Bei fahrlässiger Tötung müsste der Staat, also das Land Berlin im Rahmen der Amtshaftung zahlen. Beim Nachweis für eine Alkoholfahrt müsste Peter G. zahlen.
Der hat noch an anderer Stelle Ärger mit der Justiz. Im Juli war er vom Amtsgericht Tiergarten wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 85 Euro, insgesamt 1700 Euro, verurteilt worden. Nach Beschlagnahme seiner Patientenakte im Januar kamen Details an die Öffentlichkeit. Verschiedene Medien veröffentlichten Fotos von Peter G. Sie stammten von seinem Foto-Blog, inszenierte Bilder.
Der Blog war den Vorgesetzten bekannt. Denn G. war von 2012 bis 2017 mit einer Agentur für Fotodesign und Event-Management einer genehmigten Nebentätigkeit nachgegangen. Es ging um Auftragsarbeiten für Bands und Firmen, dabei waren auch Fotos mit Waffen entstanden. Auf einem hält sich G. einen Revolver an den Kopf.
Die Revolver von den intern bekannten Fotos interessierten die Polizei lange nicht – sondern erst, als die Unfall-Ermittlungen im Januar auf einen Alkoholverdacht ausgeweitet und die Fotos veröffentlicht wurden. Polizeivizepräsident Marco Langner schaltete sich nach Tagesspiegel-Informationen im Februar persönlich ein, das LKA wurde dazu gedrängt, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen.
Derselbe Staatsanwalt, der sich zum Unfall ermittelt, führt auch das Verfahren zum Waffenbesitz. Im April rückten das SEK und der Staatsanwalt bei G. an und durchsuchten die Wohnung. Der Revolver war kein Problem, es war eine Schreckschusswaffe, für die keine Erlaubnis nötig ist.
In einer Truhe fanden sie neben Verkleidungsstücken auch zwei goldfarbene, übergroße Schlagringe. Es soll sich um Requisiten gehandelt haben, die G. nach dem Ende der Firma mitsamt Kleidungsstücken in der Truhe verwahrt habe.
Peter G. wurde die Ausübung der Dienstgeschäfte nach Bekanntwerden des Alkohol-Verdachts beim Unfall untersagt. Nach sonst gängiger Praxis ist der Fund von Schlagringen bei Personen, die nicht vorbestraft oder einschlägig auffällig geworden sind, fast eine Lappalie. Meist ergeht dann ein einfacher Strafbefehl ohne öffentliche Verhandlung.
Die Staatsanwaltschaft legte Berufung gegen das Urteil ein. Deshalb kommt es vor dem Landgericht zu einem neuen Prozess. Die Staatsanwaltschaft fordert kein Aufrollen des gesamten Prozesses, sondern nur ein härteres Urteil. In erster Instanz hatte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe in Höhe von 5400 Euro gefordert.