Interne Statistik belegt: Jeder neunte Corona-Infizierte aus Berlin hat sich im Ausland angesteckt
Berechnungen der Gesundheitsverwaltung zufolge infizierten sich in drei Wochen mindestens 60 Berliner im Ausland. Eine Häufung gibt es auf dem Balkan.
Auf einmal musste es ganz schnell gehen. Innerhalb von nur wenigen Tagen sollte an Berlins Flughäfen kostenfreie Corona-Teststellen für Rückkehrer aus sogenannten Risikogebieten entstehen. Noch bevor die Gesundheitsminister der Länder entschieden hatten, preschte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor und kündigte eine Inbetriebnahme durch die Charité in dieser Woche an – notfalls im Alleingang.
Parallel wurden Angebote geschaffen, dass sich Reisende auch in den 250 Praxen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Berlin testen lassen können. Warum es die Politik auf einmal so eilig hatte, zeigt sich jetzt.
Erstmals liegen gesicherte Zahlen vor, wie viele Berlinerinnen und Berliner sich im Ausland mit Covid-19 infiziert haben. Die Zahlen stammen aus internen Statistiken der Gesundheitsverwaltung, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegen. Sie zeigen, dass sich allein in den vergangenen drei Wochen – vom 6. bis 26. Juli – mindestens 60 in Berlin gemeldete Personen im Ausland mit dem Coronavirus infiziert haben.
Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 543 Fälle in Berlin gemeldet. Jede neunte Infektion ist also auf eine Ansteckung im Ausland zurückzuführen. Es könnten sogar noch mehr sein, denn bei mehr als 100 Fällen kann die Gesundheitsverwaltung nicht nachweisen, wo sich die Personen angesteckt haben.
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Die Statistik zeigt, dass die Sorge vor Rückkehrern aus Risikogebieten nicht unberechtigt ist. Neben einzelnen Fällen aus Kolumbien, Brasilien, Ägypten oder Togo, gibt es bei den Balkan-Staaten einen signifikanten Schwerpunkt, auf sie entfallen allein 24 Fälle. Die meisten infizierten Rückkehrer kommen demnach aus Serbien (10) und dem Kosovo (8). Beide Länder werden vom Auswärtigen Amt und dem RKI als Risikogebiet gewertet. Aus der Türkei, wo viele in Berlin gemeldete Deutsch-Türken Verwandte haben, sind in den vergangenen drei Wochen acht Fälle bekannt geworden.
Infizierte Rückkehrer stecken Dutzende in Berlin an
Die Statistik wird seit Beginn der Pandemie geführt, die Details der Vorwochen liegen dem Tagesspiegel nicht vor. Aus der Gesundheitsverwaltung heißt es jedoch, dass sich die Datensätze aus den Monaten April und Mai signifikant unterschieden, dass sich damals fast keine Menschen im Ausland mit dem Virus ansteckten. Erst durch die Aufhebung der Reisebeschränkungen und den Beginn der Urlaubszeit stecken sich immer mehr Menschen fern von der eigenen Meldeadresse an.
Wie gefährlich das ist, zeigt ein Fall aus Spandau. Wie berichtet, war ein Ehepaar aus Großbritannien, also einem Land, das nicht als Risikogebiet eingestuft wird, zurückgeflogen und hatte unbewusst 19 Personen mit dem Virus infiziert, darunter die eigenen vier Kinder und die Schwiegermutter. Das Gesundheitsamt Spandau hatte insgesamt 58 Personen unter Quarantäne stellen müssen, um den Hotspot einzudämmen.
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Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte dem Tagesspiegel zu den Zahlen: „Auch Berlin erlebt jetzt, dass die Infektionen auch aus dem Ausland mitgebracht werden. Deswegen ist die Ausweitung der Testung bis hin zur Testpflicht so wichtig.“
Experten warnen vor einzelnen Corona-Tests
Dazu gehört offenbar auch eine weitere Teststelle für Reiserückkehrer am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin (ZOB). Nach Tagesspiegel-Informationen soll der Betrieb Anfang kommender Woche starten, die Gesundheitssenatorin hat sich am Donnerstagnachmittag ein Bild von den Räumlichkeiten gemacht.
Die neue Teststrategie wird von vielen Experten jedoch kritisch gesehen. Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid hält einmalige Corona-Tests wegen der langen Inkubationszeit für grob gefährlich. „Das einzige, was effektiv hilft, ist eine 14-tägige Quarantäne.“
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Catherina Pieroth, sagt: „Ich stelle die Sinnhaftigkeit der Flughafentests komplett in Frage.“ Wenn in der kommenden Woche eine Testpflicht für Rückkehrer bestehe, werde es stundenlange Wartezeiten und Schlangen geben. Anhand des momentanen Flugaufkommens aus Risikogebieten – allein aus der Türkei landen täglich sechs bis zehn Maschinen – rechnet sie mit 3000 Passagieren für verpflichtende Tests. Dafür seien die Örtlichkeiten in Tegel völlig ungeeignet. „Ich sehe da ein Riesenchaos auf uns zukommen.“
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