Brief an Andreas Geisel: Innenminister Seehofer verbietet Berlin Aufnahme von Flüchtlingen
Mehrfach hat Berlin dem Bund angeboten, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Innenminister Seehofer verbietet das nun, Grüne und Hilfsorganisationen sind sauer.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verbietet dem Land Berlin offiziell die Aufnahme weiterer Geflüchteter. In einem Schreiben an Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), das dem Tagesspiegel vorliegt, teilt Seehofer mit, er könne sein Einvernehmen zum Landesaufnahmeprogramm aus rechtlichen Gründen nicht erklären.
Berlin könne aber im Rahmen dessen, was die Innenministerkonferenz beschlossen hat, „einen großen Beitrag zur Besserung der Situation auf den griechischen Inseln leisten“. Dabei geht es um die Aufnahme von 243 kranken Kindern und ihrer Angehörigen, insgesamt bundesweit knapp 1000 Menschen.
Es ist das erste Mal, dass Seehofer einem aufnahmewilligen Land sein Nein schriftlich gibt. Neben Berlin, das die Aufnahme von 300 Menschen beschlossen hat, will auch Thüringen mehr Geflüchtete von den völlig überlasteten griechischen Inseln aufnehmen und wartet auf Antwort aus dem Bundesinnenministerium.
Berlin hatte mehrfach bei Seehofer nachgefragt; das letzte Schreiben Geisels datiert von Mitte Juni. Da Außenpolitik Sache der Bundesregierung ist, muss sie entsprechenden Landesprogrammen zustimmen, damit sie wirksam werden können. Seehofers Staatssekretär Stephan Mayer, auch er CSU, erklärte noch Anfang des Jahres, bisher habe sein Haus einem aufnahmewilligen Land noch nie sein Ja verweigert.
Die Frage ist nun, was Berlin nach Seehofers Nein tun wird
Die Herangehensweise scheint nun anders zu sein. In Deutschland haben inzwischen auch 57 Städte und Gemeinden beschlossen, dass sie mehr Flülchtlinge aufnehmen wollen, als sie nach dem bundesweiten Verteilschlüssel müssten. Direkte Beziehungen gibt es für sie aber nicht zum Bund, sondern lediglich zu ihrem jeweiligen Land.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Die Frage ist nun, was Berlin nach Seehofers Nein tun wird. Der Sprecher von Senator Geisel Martin Pallgen sagte auf auf Nachfrage des Tagesspiegels: „Die Bereitschaft zur Aufnahme von 300 Menschen existiert nach wie vor.“ Das gelte auch nach dem Nein aus dem Innenministerium und „unabhängig davon, ob dies über ein Landesaufnahmeprogramm oder auf anderem Weg“ geschehe.
Pallgen nannte dabei den Bund oder die Europäische Kommission. Er machte keine Aussage zu einer möglichen Klage. Der Vorstand der Berliner SPD hatte den Senator im Mai dazu aufgefordert zu prüfen, ob er gegen ein Nein Seehofers vor Gericht ziehen werde.
Die Koalitionspartnerinnen halten Seehofers rechtliche Begründung jedenfalls für „fragwürdig“, so Bettina Jarasch, Sprecherin der Berliner Grünen für Integration und Flucht. Sie wünsche sich „mindestens eine rechtlich fundierte Antwort des Senats auf diesen Brief“, sagte sie dem Tagesspiegel. Seehofers Nein sei enttäuschend.
Wenn der Bund schon darauf bestehe, dass nur er über Aufnahmen entscheide, dann solle er dafür die Zusagen der Länder zugrundelegen. Die bieten 2100 Plätze, der Minister wolle aber nicht einmal tausend Menschen.
[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]
Die Seenotrettungs-NGOs wurden deutlicher: Der Berliner Senat müsse unverzüglich eine Klage prüfen, sagte Doreen Johann von Sea Watch. Seehofers Nein widerspreche mehreren juristischen Gutachten und sei moralisch „eine Bankrotterklärung“. Tareq Alaows von der Seebrücke erklärte, Seehofer breche das Aufenthaltsrecht und verweigere „dringend benötigte humanitäre Hilfe“.
Auch Katina Schubert, Landesvorsitzende der Linken und Sprecherin für Flüchtlingspolitik ihrer Partei im Abgeordnetenhaus, ist sauer: "Aus meiner Sicht missbraucht Seehofer den Paragraph 23,1 , um eine humanitäre Aufnahme durch das Land zu verhindern", sagte sie dem Tagesspiegel.
Und weiter: "Das ist skandalös wie das ganze Verhalten der Union gegenüber der humanitären Katastrophe in Griechenland ein einziger Skandal ist." Das Einvernehmenserfordernis sei kein Genemigungsvorbehalt des Bundesinnenministers, findet Schubert. Die hätten auch einschlägige Gutachten der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Grünen ergeben. Schubert: "Wir prüfen rechtliche Schritte."