Charité-Chef Karl Max Einhäupl: „In zehn Jahren ist Berlin so gut wie Harvard“
Der scheidende Charité-Vorstandschef Einhäupl spricht über die Berliner Nahverkehrsprobleme, Streit mit Klaus Wowereit und die Charité als Brexit-Gewinnerin.
Karl Max Einhäupl sitzt in seinem Büro im roten Backsteingotik-Bau auf dem Charité-Campus in Mitte. Der bekannte Bettenturm ragt in der Nähe über die Innenstadt. Hier wurde die Charité 1710 gegründet. Einhäupl, der lange als Neurologe tätig gewesen ist, übernahm 2008 die Leitung. In den Nachwendejahren, als die Charité in Mitte mit den Hochschulkliniken in Steglitz und Wedding zu Europas größter Universitätsklinik fusionierte, war das landeseigene Haus massiv verschuldet. Seitdem verlangten alle Senatskoalitionen eine schwarze Null. Die lieferte Einhäupl. Nun räumt der 72-Jährige sein Büro. Im September übernimmt Heyo Kroemer, noch Chef der Göttinger Universitätsklinik, den Posten.
Herr Einhäupl, was machen Sie ab September? Gartenarbeit, Reisen ...?
Ich werde weiter arbeiten – wenn auch nicht in Vollzeit. Mit meiner Erfahrung will ich dort helfen, wo das erwünscht ist. Mich erreichen viele Angebote, noch ist nichts Fixes dabei. Die meisten Anfragen kommen übrigens nicht aus Berlin.
Sie verlassen die Stadt?
Nein, Lebensmittelpunkt bleibt Berlin. Je nachdem für was ich mich entscheide, werde ich zwei, drei Tage die Woche in einer anderen Stadt tätig sein.
Sprechen Sie oft mit ihrem Nachfolger?
Regelmäßig, ja. Er wird einiges anders machen als ich – und einiges besser.
Nachdem die Charité lange Stellen strich, ist sie zuletzt gewachsen: Heute arbeiten 18.000 Männer und Frauen an vier Standorten. Werden es noch mehr?
Ich hoffe, ja. Die Stadt wächst ja auch, und der Bedarf an unserer Forschung wird auch international größer.
Die Mittel für die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der DFG, geförderten Projekte aber sanken zwischen 2014 und 2016 von 47,5 Millionen auf 37,6 Millionen Euro. Dabei gelten DFG-Mittel als Maß für Forschungsstärke, oder?
Es stimmt, die DFG-Mittel waren zwischenzeitlich geringer. Im Jahr 2018 aber waren es 39 Millionen Euro. Und auch generell konnten wir 2018 mit 52 Millionen Euro ein Allzeithoch bei den Bundesmitteln verzeichnen. Insgesamt sind unsere Drittmitteleinnahmen mit 170 Millionen Euro auf Rekordniveau – auch deutschlandweit ein Spitzenwert!
Sie hatten neulich berichtet, dass die Hochschulmedizin aus Oxford ein Büro an der Charité eröffnet und auch sie auf der Suche nach einem geeigneten Objekt in Oxford sind. Was passiert nach dem Brexit?
In Europa werden alle vor allem verlieren. Es ist aber so, dass die Forscher in Oxford auf uns zu kamen: „Könnt ihr euch vorstellen, stärker mit uns zu kooperieren?“ Die Topwissenschaftler auf der Insel fürchten den Brexit. Sie versuchen, die bilateralen Kooperationen zwischen Hochschulen zu intensivieren. Insofern wäre die Charité ein Brexit-Gewinner, so bedauerlich der Brexit ist.
Die 2. Staffel der Erfolgsserie „Charité“ endete gerade, die Ufa entwickelt die 3. Staffel, die zur Zeit des Mauerbaus spielen soll. Senatschef Michael Müller, SPD, sagte, er werde in vielen Ländern auf die Serie angesprochen. Sie auch?
Ich auch! Und nun soll „Charité“ übersetzt auf Netflix zu sehen sein. Die Charité ist dann nicht nur eines der bekanntesten Krankenhäuser Deutschlands, sondern weit darüber hinaus.
Zuhause soll die Charité auf mehr Ressourcen zugreifen können. Eine von Bürgermeister Müller einberufene Zukunftskommission erklärte, die Charité solle sich auf die Hochleistungsmedizin konzentrieren, die ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken auf die Massenversorgung. Zugleich sollen Vivantes-Patienten von Charité-Forschungen profitieren. Unter dem Dach einer gemeinsamen Landesgesellschaft.
Das alles ist sicher sinnvoll. Allerdings, die Bemerkung werde ich mir nicht verkneifen, hatte ich schon 2008 vorgeschlagen, die Charité und Vivantes als einen Konzern aufzustellen. Dafür müsste klar eine Differenzierung in universitäre und nicht-universitäre Kliniken erfolgen. Das wäre dann, wenn Sie so wollen, die größte Universitätsklinik der Welt.
Berlin ist ein bedeutender Pharma-Standort, wie ist das Verhältnis zur Industrie?
Es gibt in Deutschland traditionell erhebliche Berührungsängste mit der Pharmaindustrie. Ich selbst wollte das immer überwinden.
Leider habe ich feststellen müssen, dass Pharmafirmen aber auch Medizintechnikhersteller zwar kooperieren, ein Projekt nach zwei, drei Jahren aber öfter mal abbrechen, weil der Markt schwankt und die Firmenstrategen auf andere Schwerpunkte setzen. Das führte dazu, dass ich unseren Wissenschaftlern sagen musste, dass dieses oder jenes Projekt abgebrochen wird – nur hatten wir als Charité oft schon erhebliche Ressourcen eingeplant. In der Pharmabranche herrscht eine hohe Volatilität. Schade.
Die Hauptstadtregion ist trotzdem ein weltweit führender Standort der Gesundheitswirtschaft. Wo steht Berlin in zehn Jahren: Ist der BER eröffnet?
Ja, aber klar! Das Problem wird sein, dass er dann veraltet und zu klein ist. In zehn Jahren ist Berlin führend im weltweiten Medizingeschäft. So wie Boston mit der Harvard Medical School und den darum angesiedelten Firmen heute.
Tut der Senat dafür genug?
Von allen Bundesländern gibt Berlin prozentual gesehen am meisten Geld seines Bruttoinlandsprodukts für die Wissenschaft aus: 3,49 Prozent. Nur ist der Landeshaushalt vergleichsweise klein. Berlin gilt als Hauptstadt der Kultur – es ist aber auch die der Wissenschaft ...
… das war nicht immer so. Unter Klaus Wowereit und seinem Finanzsenator Ulrich Nußbaum gab’s öfter Streit!?
Wowereit und Nußbaum wollten das Bettenhochhaus nicht erhalten. Auch innerhalb der Charité musste ich für das Hochhaus kämpfen. Letztlich war der Kampf nötig, um den Standort Mitte zu erhalten. Heute möchte niemand auf unser Charité-Symbol verzichten.
Die Charité sucht Pflegekräfte. Der Markt ist leer. Und Fachkräfte, die kommen wollen, finden keine Wohnung. Was tun?
Wir planen mit Vivantes einen gemeinsamen Bildungscampus. Dort sollen 3000, vielleicht 4000 Fachkräfte pro Jahrgang ausgebildet werden. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci lässt den Bedarf klären. Die Absolventen sollen nicht nur für die Charité und Vivantes ausgebildet werden, sondern für alle Berliner Kliniken und Heime. Und weil wir in der Innenstadt kein Areal gefunden haben, könnte die Wahl auf die einstige Kaserne der Briten in Spandau fallen, die Alexander-Barracks. Da wären Hörsäle und ein Wohnheim geplant, in dem die Azubis leben, bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben. Ein Problem wäre: Die Azubis sollen in verschiedenen Kliniken eingesetzt werden.
Wer aber zum Vivantes-Klinikum nach Kaulsdorf muss, der ist vom Wohnheim aus zwei Stunden unterwegs. Vier Stunden am Tag nur im Nahverkehr. Das ist nicht nur bei einer 6-Uhr-Schicht problematisch. Der Senat müsste die Verbindungen vom Norden Spandaus in die Innenstadt verbessern. Mit einem Bus zum nächsten Bahnhof ist es nicht getan.
In Brandenburg gibt es die private Medizinische Hochschule Theodor Fontane, die MHB. Nun könnte auch an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg eine medizinische Fakultät entstehen. Eigentlich ist die Charité laut Gesetz die ärztliche Ausbildungsstätte für die Region. Sind die anderen Konkurrenz?
In Brandenburg herrscht Ärztemangel. Die MHB ist da eine gute Sache, keine Konkurrenz. Die Diskussion um eine weitere Fakultät ist noch zu frisch.