Kitamangel in Berlin: In vielen Kiezen fehlen Erzieher und Grundstücke
Neue Kindertagesstätten werden vom Staat gefördert. Das reicht in Berlin nicht immer. Denn im Zentrum gibt es kaum noch verfügbare Freiflächen. Was Reinickendorf, Pankow, Charlottenburg und Neukölln dagegen tun.
Mit dem bisherigen raschen Ausbau der Kitaplätze könnte es bald vorbei sein: Im Zentrum stoßen die Bezirke an ihre Grenzen, weil es kaum noch verfügbare Freiflächen gibt. Gleichzeitig sind aber die Möglichkeiten, durch Aus- und Anbauten an vorhandenen Kitas neue Kapazitäten zu schaffen, mancherorts bereits ausgeschöpft. Deshalb sehen sich mitunter weder die großen freien Träger noch die Eigenbetriebe in der Lage, weitere Plätze zu schaffen.
Ein besonderes Problem ist dies in sozialen Brennpunkten. Denn hier wohnen Familien mit vielen Kindern, die wegen Bildungsferne oder Sprachproblemen nicht in der Lage sind, selbst Kitas zu gründen. Sie sind somit darauf angewiesen, dass freie Träger oder die Eigenbetriebe Kapazitäten schaffen. Bisher beteiligen sich die Eigenbetriebe aber im Verhältnis zu den freien Trägern weniger am Ausbau. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Plätze ist deshalb von einem Drittel auf ein Viertel gesunken. Die Jugendverwaltung teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, dass trotz des wachsenden Bedarfs an Kitaplätzen eine „gesonderte Inpflichtnahme“ der Eigenbetriebe nicht geplant sei. Sie setzt aber unter anderem darauf, dass Bund und Länder ein drittes Investitionsprogramm auflegen, damit der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für die Kinder ab einem Jahr umgesetzt werden kann.
Die Forderungen der Bezirke, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dürfe nicht nur einen aufwendigen Plan für den Bau von Wohnungen aufstellen, sondern müsse darin auch die Einrichtung neuer Kitas berücksichtigen, weist diese zurück: „Wenn eine feste Regelung eingeführt werden soll, müsste die Jugendverwaltung einen Schlüssel festlegen“, sagt Sprecherin Petra Rohland. Beim Siedlungsbau verlange der Senat die Einrichtung neuer Kitas als Teil der „sozialen Infrastruktur“ ohnehin häufig von den Investoren. Wenn aber nur einzelne Häuser in Baulücken bestehender Quartiere entstehen, sei nicht immer leicht zu ermitteln, wie groß der zusätzliche Bedarf an Kitaplätzen der in diese Wohnungen einziehenden Haushalte sei.
Deutliche Kritik kam von der Opposition nach der Veröffentlichung des Kita-Bedarfsatlasses, der immer noch weite Teil der Stadt als unterversorgt ausweist: „Außer Senatorin Scheeres findet vermutlich niemand den gestiegenen Bedarf an Kitaplätzen überraschend“, sagte Marianne Burkert-Eulitz von der Grünen-Fraktion. Trotz der seit Jahren steigenden Bevölkerungszahl in Berlin habe die schwarz-rote Koalition die finanziellen Mittel für den Kitaplatzausbau im Etat 2014/15 nahezu halbiert: Für 2014 stehen acht Millionen Euro zur Verfügung, 2015 sind es zehn Millionen.
Von dem Geld können Träger die Anschubfinanzierung für ihre Kitaplätze bezahlen. So erhalten sie pro Platz 3000 Euro, wenn nur Umbauten nötig sind. Bei Neubauten können pro Platz sogar 15 000 Euro beantragt werden.
NORD-SÜD-GEFÄLLE IN REINICKENDORF
„Dankbar“ sei er dem Senat, sagt Jugendstadtrat Andreas Höhne (SPD) aus Reinickendorf: Dieser habe „seit 2012 viel Geld investiert, um den Bau von Kitaplätzen zu fördern und führe das Programm in den kommenden beiden Jahren fort. Dass trotzdem auch in seinem Bezirk laut neuem Bedarfsatlas Lücken bei der Versorgung mit Kitaplätzen bleiben, hält der Stadtrat für unausweichlich – „trotzdem haben wir bisher keinen Fall, wo wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz nicht erfüllen können“.
Außerdem arbeitet der Bezirk daran, den Engpass bei den Kitaplätzen zu beheben: in Reinickendorf-Ost entsteht eine neue Einrichtung mit 100 Plätzen, eine weitere in Reinickendorf-West für 50 Kinder. Auch in anderen Ortsteilen entstehen neue Kitaplätze. Ein „großes Problem“ bestehe im Märkischen Viertel: „Dort gibt es keine geeigneten Grundstücke oder Gebäude“. Außerdem sei der Bezirk nicht überall „so wohnortnah mit Kitaplätzen ausgestattet, wie es wünschenswert wäre“, so der Stadtrat.
Dass es weniger Probleme in den eher bürgerlichen Quartieren wie Frohnau oder Hermsdorf gibt, liege auch am größeren Engagement bildungsnaher Haushalte. Weil sie um die Bedeutung der frühkindlichen Erziehung wissen, würden sich Eltern dort eher mal vernetzen und die Gründung von Einrichtungen selbst initiieren. Hinzu komme die demografische Entwicklung: In manchen Gebieten der nördlichen Ortsteile wie Frohnau gebe es bereits heute mehr Plätze, als wohnortnah benötigt werden. Sinkende Kinderzahlen kämen hinzu. Die Entwicklung behalte der Bezirk aber im Blick – durch ein „Monitoring“.
MIT DER U7 DURCH CHARLOTTENBURG
„Wir helfen bei der Suche, aber wenn wir nichts haben, können wir auch nichts anbieten“, sagt Elfi Jantzen. Die grüne Jugendstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf meint damit Grundstücke oder Gebäude für den Betrieb von Kitas. Deshalb muss die Bezirksstadträtin oft Betreiber von Kitas vertrösten. Davon gibt es viele, oft klingelt das Telefon im Amt: Bewährte Berliner Träger bieten ihre Dienste an und „neue aus anderen Bundesländern, die einen Fuß auf den Berliner Markt bekommen wollen“.
Sie alle muss die Jugendstadträtin fast immer vertrösten: „Wir haben in den vergangenen Jahren alle nicht genutzten Grundstücke an den Liegenschaftsfonds abgegeben.“ Und die landeseigene Verkaufseinrichtung für Grundstücke aus dem öffentlichen Vermögen hat die meisten Flächen längst verkauft. Das war zu einer Zeit, als wenig kleine Kinder im Bezirk lebten. Der Trend ist aber durchbrochen, seitdem viele Berliner müde sind, mitten in der Partymeile von Mitte und Prenzlauer Berg zu leben – und die ruhigeren Kieze wieder entdecken. Aber dort finden die jungen Familien nun oft keine Kita.
„Besonders schwierig ist die Lage in Charlottenburg-Nord“, sagt Jantzen. Zum Glück fährt die U-Bahnlinie 7 quer durch das „sozial benachteiligte Quartier“, wie Jantzen sagt. Und im Gesetz steht, dass Eltern zwar ein Platz zusteht, dafür aber eine Fahrtzeit von einer halben Stunde zur Kita zuzumuten ist. In der Zeit kann man mit der U7 weit fahren. Bis in die Teile des Bezirks, wo der Jugendstadträtin zufolge ein Überhang an Kita-Plätzen herrscht, kommen die Eltern kleiner Kinder in der Zeit allemal.
Trotzdem fordert Jantzen: „Wir brauchen klare Richtlinien für den Bau von Kitas, damit die Wohnungspolitik des Senats aufgeht.“ Gerade, wo so viele Wohnungen neu gebaut werden und der Senat das Wachstum der Stadt so kräftig vorantreibt. Eine Arbeitsgruppe zu dem Thema habe es zwar bereits gegeben. Zu einem Ergebnis sei diese aber noch nicht gelangt.
Pankow baut - auch Kitas
Dafür, dass im Bezirk 25 000 Kinder unter sechs Jahren leben, dass die Geburtenrate in Pankow zu den landesweit höchsten zählt und dieser ganz vorne in der Beliebtheit steht bei den neu in die Stadt ziehenden Menschen – „haben wir das Angebot an Kita-Plätzen gut im Griff“, findet Jugendstadträtin Christine Keil (Linke). Jedenfalls hat der Bezirk einen Plan, der bis 2016 geht und den Bedarf an neuen Plätzen genauestens beziffert: 1600.
Und der Plan wird auch erfüllt, ist Keil zuversichtlich. Sie führt als Beispiel zwei größere „Investitionsmaßnahmen“ auf: 140 neue Plätze entstehen in einer Tagesstätte an der Agnes-Wabnitz-Straße, eine weitere große Einrichtung (120 Plätze) baut der Bezirk an der Pappelallee. Das Geld kommt aus dem eigenen Haushalt. Die Grundstücke gehören dem Land, eins hat der Senat erworben, das andere gehörte dem Bezirk.
Und die roten Flecken auf dem Kita-Bedarfsatlas? „Im Zentrum von Weißensee und in Pankow ist die Lage schwierig“, sagt Keil. Weil dort neue Wohnungen entstanden. Einige Bauträger errichten zwar auch Kitas, „aber die Mieten sind teuer und dafür reicht die pauschale Finanzierung der Träger oft nicht“. Dabei werden Kitas dringend benötigt, wo so viele Wohnungen gebaut werden. „Diesen zusätzlichen Bedarf muss der Senat konkret und verbindlich in das Stadtentwicklungskonzept aufnehmen“, fordert Keil. Auch die Finanzierung der neuen Kitas müsse geregelt werden. „Wir haben keine Reserven und jedes größere Neubauvorhaben macht den Bau von Kitas erforderlich“, sagt die Jugendstadträtin. Tröstlich immerhin: In Quartieren mit höherem Anteil von Hartz-IV-Empfängern wie etwa Buch besteht kein Mangel an Kita-Plätzen.
ARMES, COOLES NEUKÖLLN
Ausgerechnet im zwar angesagten, aber sozial abgehängten Norden Neuköllns gibt es nicht genug Kindergartenplätze. Dies liegt zum Teil am Erziehermangel. Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) geht davon aus, dass rund 800 der insgesamt 13 000 Plätze nicht vergeben werden können, weil es in einigen Kitas nicht genügend Personal gibt. Und genau diese 800 Plätze sind es, die dem Bezirk rein rechnerisch in der Prognose für 2014 fehlen.
Das zweite Problem im Bezirk ist der fehlende Platz für Neubauten. Er führt dazu, dass ausgerechnet in den Brennpunktregionen wie der Highdecksiedlung, der weißen Siedlung und der Köllnischen Heide keine neuen Kitas gebaut werden können. Der Stadtrat versucht deshalb, „drum herum“ Angebote zu schaffen, aber auch das ist nicht einfach. „Ich habe eine Liegenschaft gefunden, aber dann stellte sich heraus, dass die Eigentumsverhältnisse unklar sind“, beschreibt Liecke eine der vielen Hürden, vor denen das Jugendamt steht. Seine Mitarbeiter seien jetzt mit Trägern im Gespräch, „um alle Möglichkeiten auszuloten“. In jedem Fall komme Neukölln nicht mit den 880 000 Euro aus, die dem Bezirk aus dem Landesprogramm für den Kitaausbau im laufenden Jahr zustehen.
Neukölln steht aber noch vor einem besonderen Problem: Hier besuchen nur 90 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen eine Kita. Dementsprechend schlecht sind die Sprachkenntnisse der Kinder aus dem sozialen Brennpunkten. Die Familien, die wegen dieser schlechten Sprachkenntnisse ihr Kind im Jahr vor der Einschulung in die Kita schicken müssen, finden aber unter Umständen keinen Platz, weil viele von ihnen in den mit Kitas unterversorgten Siedlungen wohnen. Vor diesem Hintergrund wirkt es laut Liecke besonders absurd, dass sie neuerdings Bußgelder zahlen sollen, wenn sie ihr Kind nicht in die Kita schicken. „Hier vergaloppieren sich die Maßnahmen“, stellt Liecke fest. Der Anstoß zu den Bußgeldern kam aus der SPD.
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