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Vier in einer Orgel: der Gedanke der Versöhnung in Form einer Orgel.
© Agniezka Budek

Berlin-Mitte: In der Kapelle der Versöhnung erklingt die neue Orgel

Wie baut man Versöhnung in ein Instrument? In der Kapelle an der Bernauer Straße wird das versucht. Das ist einer anonymen Spenderin zu verdanken.

Die Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße 4 erlebt am Freitag ihre Sternstunde: Zum ersten Mal erklingt in dem runden Stampflehmbau mit der charakteristischen Holzlamellen-Fassade eine neue Orgel. Die Spezialisten der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke haben das Instrument nach einer Idee gebaut, die einmalig in der Welt des größten aller Musikinstrumente sein dürfte. Die Frage war: Wie lässt sich der Gedanke der Versöhnung an einem derart geschichtsträchtigen Ort in die Konzeption des Instruments einbauen? Die Kapelle der Versöhnung sollte also auch musikalisch die Versöhnung darstellen und befördern. Doch wie macht man so etwas ohne Worte, nur mit den Tönen aus 552 silbern glänzenden Pfeifen? „Es entstand die Idee, dass bestimmte Register in ihrer klanglichen Ausprägung einem Land der Alliierten zur Zeit des geteilten Berlin zugeordnet werden sollen“, sagt Pfarrer Thomas Jeutner. „Russland, Amerika, Frankreich und England werden jeweils durch eine Pfeifen-Familie in der neuen Orgel repräsentiert und gewissermaßen auch vereint sein.“

„Vier in einem Jeep“ gab es einst im Kino, jetzt also „Vier in einer Orgel“, eine Konstellation, die als Wunschtraum den Nerv von uns Heutigen in einer zerstrittenen Welt treffen mag. Politisch Lied – kein garstig Lied. Wie sich Sehnsucht in Klangkolorit verwandelt, erzählt Geschäftsführer Martin Schwarz von der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke, die den Zuschlag in einem internationalen Wettbewerb erhielt. „Bei der Planung stand ein sanftes Klangideal im Vordergrund, das dem meditativen Charakter des Ortes gerecht werden kann.“ Wie lassen sich dabei die unterschiedlichen Fassetten der Siegermächte heraushören?

Am Freitag ist die Einweihung

Beispiel Großbritannien: Das Register „Open Diapason“ wurde als Prinzipal – sozusagen das Rückgrat einer jeden Orgel – nach dem Vorbild englischer Bauart konzipiert. Es sei eine Pfeifenart, die sehr klar und zeichnend klingt, sich aber durch besondere Milde und Gesanglichkeit auszeichnet und sehr gut zur Begleitung von Sängern und Chören passt, sagt der Fachmann. Ein „schwebender, sphärischer Klang“ wurde für die USA installiert, für Russland das „Bajan“, klingt ein wenig nach Akkordeon, und nach französischer Bauart wurde ein „Basson-Hautbois“-Register gefertigt, das in der französischen Orgelromantik nicht fehlen darf.

Annette Diening, die Kirchenmusikerin am „musikalischen Kooperationsbereich Gesundbrunnen“ freut sich natürlich auf die Premiere am Freitag, da wird sie klopfenden Herzens die schmale Stiege in den winzigen Orgelraum steigen und vier kurze Kompositionen mit den ländertypischen Klangfarben spielen. „Es ist ein besonderer Tag“, sagt die 35-jährige Organistin, „vor allem auch, wenn ich daran denke, dass noch vor 30 Jahren niemand ungestraft an diesen Ort gehen durfte.“

Anette Diening, Kirchenmusikerin.
Anette Diening, Kirchenmusikerin.
© Agnieszka Budek

Damals war hier „Grenzgebiet“. Entlang der „Bernauer“ stand die Mauer. Die Versöhnungskirche, die 1894 von der Kaiserin Auguste Victoria eingeweiht worden war, wurde im Januar 1985 gemäß einem „Maßnahmeplan für die Erhöhung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit an der Staatsgrenze zu West-Berlin“ gesprengt. Die Fotos gingen um die Welt, wie im November 1989 jene von jubelnden Menschen. Jetzt kommt die Zeit von Manfred Fischer, dem Pfarrer der Gemeinde ohne Kirchenbau. Er hatte die Idee, den Elan, die Kraft und den langen Atem, sich nicht mit dem Anblick einer Wiese zu bescheiden. Er wollte eine neue Kirche bauen lassen, von Gott getrieben lief sein Motor, bis er plötzlich und unerwartet starb. Aber zuvor, am 9. November 2000, hatte Fischer die Eröffnung der neuen Kirche gefeiert. Er nennt sie „Dankeskirche für die Öffnung der Mauer, ohne dass ein Schuss gefallen wäre“.

Das letzte fehlende Stück ist da: die Orgel

Der so originelle wie bescheiden-natürliche Entwurf der Architekten Peter Sassenroth und Rudolf Reitermann ist seither Teil der Gedenkstätte Berliner Mauer. Die Touristen kommen in immer größerer Zahl auf die gepflegte Grünanlage hinter Mauersegmenten und angerosteten Stahlstangen, lesen die Geschichten, die hier passierten, werden still, ja, ergriffen vom Schicksal und von der Wiedergeburt dieser Kirche. „Das Einzige, was uns noch fehlt, ist eine große Orgel“, sagte Pfarrer Fischer damals, „aber das kommt noch“, war er überzeugt.

Am Freitag wird die Orgel eingeweiht, Kirchenmusikerin Annette Diening wird darauf spielen.
Am Freitag wird die Orgel eingeweiht, Kirchenmusikerin Annette Diening wird darauf spielen.
© imago/Rolf Zöllner

Mehrere Jahre dauerten die Vorbereitungen. Im nüchternen Kirchenraum wird seit dem 13. August 2005 von Dienstag bis Freitag um 12 Uhr eine Andacht gehalten, in der die Biographie eines an der Mauer Gestorbenen verlesen wird. Mitglieder der Gemeinden, aber auch Gäste übernehmen diese Aufgabe, wie überhaupt der Zusammenhalt in der Versöhnungsgemeinde groß ist. Und hier nun kommt ein weiteres Wunder rund um die Wiederauferstehung an der Bernauer Straße: Eine Freundin der Versöhnungsgemeinde hat ihrer Kirche die stattliche Summe von 200 000 Euro geschenkt, damit die neue Orgel gebaut werden kann. Ohne diese großzügige Spende wäre die Idee nicht realisierbar gewesen , sagen die Initiatoren, die edle Spenderin wird zur Orgelweihe kommen, soviel steht fest. Aber in aller Bescheidenheit möchte sie unerkannt und ungenannt bleiben.

Der Festgottesdienst zur Orgel-Einweihung am 29. September, beginnt um 17 Uhr. Die begrenze Zahl von Sitzplätzen gehört geladenen Gästen. Worte und Musik werden in den Wandelgang mit Lautsprechern übertragen. Ein weiteres Festkonzert findet am Samstag um 17 Uhr statt, am Sonntag um 10 Uhr sitzt wieder Annette Diening beim Erntedank-Gottesdienst am Spieltisch auf der Empore.

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