Modulare Bauten in Berlin: In den Bezirken regt sich Kritik gegen Flüchtlingsunterkünfte
Der Senat will an 25 Standorten Modular-Unterkünfte für Flüchtlinge errichten. Doch die Bezirke haben Zweifel.
Im großen Berlin ist die Flüchtlingspolitik mitunter kleinteilig. Karin Hohenhaus kann davon berichten. Sie ist rund um die Poelchaustraße zu Hause. Marzahn ist hier so Platte, wie der Osten nur sein kann. Sechs, elf, teils zwanzig Geschosse, dazwischen viel Grün. Auf einer der offenen Flächen am Murtzaner Ring will der Senat eine Modulare Unterkunft für Flüchtlinge, kurz: MUF, errichten. Wie überall in Berlin. An 25 Standorten will der Senat diese Unterkünfte bauen – für je 400 Menschen, für zunächst etwa 10.000 Flüchtlinge, sukzessive auch für Familien, Studenten und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Dazu die klare Maßgabe: Die 25 geplanten neuen Standorte sollen möglichst gleichmäßig über ganz Berlin verteilt werden.
Karin Hohenhaus ist skeptisch. „500 Meter Luftlinie von meiner Wohnung steht schon die MUF. Jetzt kommt Luftlinie 350 Meter weiter eine weitere MUF hinzu“, sagt sie. Ihre ganze Familie steht politisch links, erzählt sie, doch nun hadert sie mit der Planung. „Es wird einfach in ein Gebiet reingepfropft, und die Menschen müssen zusehen, wie sie damit klarkommen, weil es keine weitere Infrastruktur für die angesiedelten Menschen gibt. Wir schaffen uns den AfD-Zulauf selbst.“
Hohenhaus ist mit ihren Zweifeln nicht allein. Seit der rot-rot-grüne Senat vor zwei Wochen den MUF-Bau verkündet hat, regt sich Kritik: an der Kommunikation des Senat, an einzelnen Standortvorschlägen, aber auch grundsätzlich an der Verteilung der Geflüchteten in Berlin.
Dagmar Pohle, linke Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf, hätte lieber jene Bezirke stärker in die Verantwortung genommen, die bisher weniger Menschen aufgenommen haben. Eine Statistik des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten bestätigt die Unwucht. Mitte Februar waren mit 3800 die meisten Geflüchteten in Lichtenberg untergebracht, gefolgt von Pankow und Marzahn-Hellersdorf mit je rund 3600. Die drei Bezirke beherbergen 44 Prozent der 25 000 Geflüchteten in öffentlichen Einrichtungen. Am wenigsten sind es Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Neukölln.
Die Bezirke kritisieren die geplanten Standorte
Dennoch begrüßt Marzahns Bürgermeisterin die beiden neuen MUFs in ihrem Bezirk. Sie seien ein notwendiger Ersatz für die beiden Containerbauten – den Tempohomes – mit den schlechten Wohnbedingungen. Der Bedarf sei da, es kämen weitere Flüchtlinge, aber es fehle an Wohnungen. Der Bezirk hat aber Einwände angemeldet: Für einen Standort gibt es andere Pläne, beim anderen soll nachbessert werden, damit sich das MUF besser in die Umgebung einfügt.
Aus Steglitz-Zehlendorf wird gemeldet, die Kommunikation mit dem Senat sei nicht reibungslos verlaufen. "Die Liste ist nicht im Einvernehmen entstanden", sagt Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU). Die beiden Grundstücke Ostpreußendamm 108 und Osteweg 63 seien im Vorfeld nicht diskutiert worden. An beiden Standorten sei mittelfristig Schulbau vorgesehen. Als einen Ersatzstandort schlug der Bezirk den Dahlemer Weg 247 vor, der Senat akzeptierte den Vorschlag. Weitere Ersatzstandorte „habe ich derzeit nicht“, sagte Richter-Kotowski.
Zudem sei unklar, wer in die neuen MUFs ziehen soll und wie viele Kita- und Schulplätze benötigt werden. "Das ist alles Glaskugel", so die Bezirksbürgermeisterin. Am Standort Am Beelitzhof 24 in Nikolassee, den der Senat in der ersten Tranche der neuen MUF-Bauten ausgewählt hatte, könnte ein schulisches Problem entstehen. Darauf habe Richter-Kotowski den Senat schon hingewiesen. Allgemein sei die Kommunikation mit dem Senat aber "besser als in der Vergangenheit". Aber: "Gut ist anders."
Auch aus anderen Bezirken kommt Widerspruch: Neukölln lehnt die vom Senat vorgeschlagenen Flächen ab, bietet aber keine Alternativen an, weil es schlicht kaum Freiflächen gibt. Und für die vorhandenen Flächen gebe es auch anderen Bedarf: sozialer Wohnungsbau, Kita- und Schulneubau, Jugendfreizeiteinrichtungen. Am Standort Buckower Felder gibt es bereits eine große Flüchtlingsunterkunft. Dort will der Bezirk die Flüchtlinge für eine bessere Integration lieber in neuen Wohnungen unterbringen.
Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) erklärte, dass der vom Senat vorgesehene MUF-Standort an der Werneuchener Wiese nicht umsetzbar sei. Kurzfristig plant der Bezirk dort einen Ausweichschulstandort, um Schüler aus von Sanierung betroffenen Schulen in Modulbauten unterzubringen. Langfristig soll hier eine zentrale Feuerwache für Prenzlauer Berg entstehen.
Randgebiete tragen die Hauptlast
Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hat dem Senat einen MUF-Standort auf einer Grünfläche hinter dem Stadtbad Wilmersdorf vorgeschlagen. Eine zweiter geeigneter Standort im Ortsteil Charlottenburg werde noch gesucht, sagt Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Eine Anregung des Bezirks, einen Parkplatz am Olympiastadion zu nutzen, habe der Senat abgelehnt, da der Parkplatz wegen Verträgen mit dem europäischen Fußballverband Uefa nicht in Frage komme.
Tempelhof-Schöneberg hat für einen der beiden Vorschläge des Senats – am Diedersdorfer Weg – eine Alternative eingereicht. Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) lehnt den Bau der MUFs ab - in Fall ihres Bezirks den Standort in der Ratiborstraße 14: "Wir wollen integriertes Wohnen haben, sodass Leute nicht in einem abgezäunten Gebiet untergebracht sind."
Neben der Verteilung geht es darum, ob das Land bei den MUFs die Nachbarschaften im Blick hat. Lichtenberg, Pankow und Marzahn-Hellersdorf müssen jeweils mehr als tausend Flüchtlingskinder im Kita- oder Schulalter versorgen. An den vorgesehenen Standorten fehle es an Kapazitäten, sagt Bürgermeisterin Pohle. Die Bezirke können schon jetzt nicht alle vorhandenen Kitaplätze vergeben, weil Personal fehlt. Der Marzahner Bezirksverordnete Thomas Pfeifer (CDU) sagt, die Randgebiete tragen die Hauptlast: „Selbst wenn Pankow genannt ist, das ist nicht der Prenzlauer Berg.“
Immerhin gibt es Signale: Der Abgabetermin für die Eingaben zu den MUFs war zwar schon am Mittwoch, doch die Senatsfinanzverwaltung räumte den Bezirken ein, bis Ende der Woche ihre Bedenken oder Alternativen zu äußern. Überwiegend „konstruktiv“ seien die Stellungnahmen der Bezirke gewesen. Mitte nächster Woche werden sich die Staatssekretäre der Senatsverwaltungen Finanzen, Bauen und Integration treffen und die Reaktionen auswerten. Bei Bedarf gebe Rücksprachen. Am 27. März sollen die Standorte als Beschlussvorlage im Senat verabschiedet werden.
Cay Dobberke, Christian Hönicke, Sabine Beikler, Judith Langowski, Ingo Salmen, Madlen Haarbach, Boris Buchholz, Corinna von Bodisco