Neue Zahlen im Streit um E-Scooter: In Berlin gibt es jetzt 16.000 Leihroller
Für die einen sind sie die Pest, für die anderen die Zukunft: E-Scooter. Kritiker und Befürworter saßen jetzt an einem Tisch. Und was ist dabei herausgekommen?
Als erster E-Scooter-Anbieter gibt Lime ab sofort alle Verwarn- und Bußgelder an die Kunden weiter. Zudem müssen Kunden das korrekte Abstellen des Fahrzeugs durch ein Foto dokumentieren. Bei groben oder wiederholten Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sollen Nutzer gesperrt werden, kündigte Lime-Chef Jashar Seyfi am Donnerstag an.
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Am gleichen Tag diskutierte der Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses über diese Form der Mobilität. Weitgehend einig sind sich Parlament und Verkehrsverwaltung, dass Scooter nicht auf den Gehweg gehören. Der Sprecher des Fußgängerverbands FUSS, Roland Stimpel, stellte im Ausschuss noch einmal die Gefahren wild abgestellter Roller für Fußgänger und vor allem Behinderte dar. Das größte Problem ist das „Vollzugsdefizit der Behörden“ bei wild abgestellten Scootern. „Es hat sich eingebürgert, dass auf dem Gehweg alles erlaubt ist“, kritisierte Stimpel.
Lime: 98 Prozent der Scooter sind korrekt abgestellt
Der Sprecher von Lime, Fabian Ladda, betonte, dass 98 Prozent ihrer Scooter korrekt abgestellt werden. Eine andere Wahrnehmung hat der Bezirksbürgermeister von Mitte Stephan von Dassel, Stephan von Dassel. „Wir könnten am Brandenburg Tor alle drei Stunden mit dem Lastwagen vorfahren und die Dinger einsammeln.“ Wie berichtet, will Mitte weitere Sperrzonen einrichten, etwa am Alexanderplatz. Wegen der vielen Fußgänger könne man dort nicht auch noch Roller fahren, sagte der Grünen-Politiker.
Die Sperrzonen sollen die Anbieter in ihren Apps hinterlegen, sodass die Fahrt dort nicht beendet werden kann. Es werde eine genaue Karte erstellt, in der Grünflächen, historische Plätze und das Holocaust-Denkmal verzeichnet sind. Nach Dassels Einschätzung werden die Scooter in seinem Bezirk zu 95 Prozent von Touristen benutzt. In drei Wochen hat der Bezirk 1200 Ordnungswidrigkeitsanzeigen geschrieben. Ein Teil der Verkehrswende seien die Roller bislang nicht, so von Dassels Fazit.
Scooter halten engeblich 16 Monate
Dem widersprach Lime-Sprecher Ladda. Berlinweit machten Touristen nur 22 Prozent aus, in Mitte dürften es sicherlich 40 oder 50 Prozent sein, sagte Ladda. Genaue Zahlen für Mitte hatte er nicht. Aus Lime-Sicht ist diese Zahl die interessanteste: „Zwölf Prozent der Scooter-Fahrten ersetzen eine Autofahrt.“ In nur fünf Monaten will Lime nach eigener Berechnung 250.000 Autofahrten ersetzt haben. „Das ist noch nie einem Verkehrsmittel geglückt“, jubelte der Pressesprecher im Ausschuss.
Alexander Jung vom Verband Agora Verkehrswende sagte, dass es nur wenige belastbare Zahlen zur Verkehrsverlagerung gebe. Manche Zahlen seien auch falsch, hieß es im Ausschuss. Die auch vom SPD-Verkehrsexperte Tino Schopf genannte Haltbarkeit eines Scooters von nur 28 Tagen stimme nicht, sagte Forscher Jung. Nach Angaben von Lime hält die neueste Version ihrer Scooter (es ist die 17. schon) jetzt 16 Monate. Und der Akku halte noch länger, gebrauchte Akkus werden bereits in das nächste Modell eingesetzt.
In Berlin gibt es jetzt 16.000 Leih-Roller
Nach Einschätzung der Verleiher haben Scooter eine große Zukunft: 30 Millionen Autofahrten in Deutschland sind kürzer als zwei Kilometer. Und viele Autobesitzer seien bequem sagte Ladda, für die sei der Scooter die beste Alternative. "Jeder kennt doch mindestens eine Person, die den ÖPNV aus Prinzip nicht nutzt, weil ihm dieser zu voll oder zu dreckig ist." Nach Angaben von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) gibt es derzeit knapp 16.000 Leih-Scooter, 14.000 Leihräder, 6000 stationslose und 1000 stationsgebundene Carsharing-Autos sowie 2300 E-Roller. Und dann schob Günther diese Zahl nach „und 1,2 Millionen Autos“. Dies zeigt die Dimension des Scooter-Problems. „Wir müssen die Nutzung der Straßen anders regeln.“
Die Anbieter wie Lime nehmen übrigens für sich in Anspruch: „Erst Dank E-Scooter wird jetzt über Verteilung der Fläche geredet“, sagte Ladda den Abgeordneten am Donnerstag. Wie berichtet, hatte sich am Mittwoch ein großes Bündnis zusammengetan, dass die Neuaufteilung des öffentlichen Raumes beschleunigen will. VCD, ADFC, BUND, FUSS und Changing Cities wollen unter dem Motto „Berliner Straßen für alle“ jährlich 60 000 Parkplätze für Autos abschaffen.
Zum Beispiel durch Stellflächen für Räder oder E-Scooter. Weitgehende Einigkeit bestand im Ausschuss, dass es sinnvoll sei, die Fünf-Meter-Bereiche von Kreuzungen dafür zu nutzen. Legal darf dort nicht geparkt werden, was jedoch weitgehend sanktionslos tausendfach täglich in Berlin geschieht – und Fußgänger gefährdet.
Regine Günther prüft Gebühren fürs Abstellen
Derzeit lässt Verkehrssenatorin Günther juristisch klären, ob das Abstellen von Scootern eine so genannte Sondernutzung des öffentlichen Straßenlandes ist. Dann nämlich könnte kassiert werden, bei verbotenem Abstellen auf Gehwegen zum Beispiel oder auf den extra eingerichteten Stellplätzen. Politisch gewollt sei dies, sagte Günther. Aus Sicht des Bezirksbürgermeisters von Mitte könnte eine Gebühr auch die stückmäßige Ausbreitung bremsen. Von Dassel erinnerte daran, dass die Carsharing-Firmen pro Jahr die hohe Pauschale von 2,5 Millionen Euro zahlen, damit die Leihwagen in der Parkraumbewirtschaftungszone ohne Ticket aus dem Automaten benützt werden können.