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Wochenmärkte erfüllen auch eine wichtige soziale Funktion.
© Sandra Stoiber/EyeEm/Getty

Eine Frage des Standes: Immer weniger Händler auf Berliner Wochenmärkten

Wochenmärkte sind Treffpunkt und Börse für Neuigkeiten aus dem Kiez. Doch für viele Händler rechnet sich der Aufwand nicht mehr.

Dienstagmorgen am Hermannplatz in Neukölln: Menschen huschen an Ständen vorbei in Richtung U-Bahneingang. Einige bleiben kurz stehen, kaufen hier einen Salatkopf oder dort eine Gebäckstange. Dienstags bis freitags ist hier Wochenmarkt. Neben Lebensmitteln gibt es Stände mit Kleidung und Schmuck, Kaffeeausschank und Imbissbuden.

Der Hermannplatz gilt als guter Marktstandort. „Hier kommen immer viele Menschen vorbei, hier ist immer Bewegung“, sagt eine Markthändlerin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Seit 30 Jahren ist sie mit ihrem Stand am Hermannplatz, erzählt sie, während sie Wollmützen an Bügeln befestigt. Gleichzeitig sei der Markt am Hermannplatz aber kein typischer. Denn: Im Gegensatz zu vielen anderen Märkten lohne sich hier das Geschäft. Sie bediene meist Laufkundschaft, sagt sie. Nur wenige Menschen würden explizit zum Einkaufen auf den trubeligen Hermannplatz kommen.

Genaue Zahlen zur Entwicklung der Berliner Wochenmärkte gibt es nicht. Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft erklärt, dass die Statistik des Senats auf freiwilligen Eintragungen beruhe. Konkrete Aussagen seien daher nicht möglich. Gleichzeitig bemühe sich Berlin jedoch, über das Stadtmarketing für die Wochenmärkte zu werben. Spezielle Kooperationen mit Märkten gebe es allerdings nicht, erklärt ein Sprecher von visitBerlin. Fragt man bei verschiedenen Marktbetreibern nach, sind sich allerdings alle einig, dass die Zahl der Märkte in der Hauptstadt seit Jahren abnimmt.

Nicolaus Fink, der unter anderem den Markt am Hermannplatz betreibt, sieht die Zukunft der Wochenmärkte generell wenig optimistisch. „Man steht gerade deutschlandweit vor der Entscheidung: Schließt man einzelne Märkte und versucht die Entwicklung zu steuern – oder schaut man dem langsamen Sterben zu?“, sagt er. Fink ist seit rund 25 Jahren im Geschäft.

Zahl der Händler geht zurück

Vor wenigen Monaten entschied etwa das Bezirksamt Neukölln in Britz-Süd und Alt-Rudow, künftig auf einzelne Markttage zu verzichten. Eine Sprecherin begründet das mit dem mangelnden Kaufinteresse der Kunden an diesen Tagen – und damit gehe einher, dass auch die Händler weniger Interesse haben, dort teilzunehmen. Zum Teil würden die verlässlich interessierten Händler zahlenmäßig nicht ausreichen, um „kontinuierlich einen wirklichen Marktcharakter aufrecht zu erhalten“. Allerdings sei die Entscheidung des Bezirksamtes noch nicht endgültig.

Anders als bei anderen Märkten lohnt sich das Geschäft am Hermannplatz.
Anders als bei anderen Märkten lohnt sich das Geschäft am Hermannplatz.
© Kai-Uwe Heinrich

Viel stärker als die Zahl der Märkte geht die Zahl der Händler zurück. Für Marktbetreiber wie Fink ist das eines der größten Probleme. Wenn ein Verkäufer wegfalle, sei es schwierig, diesen zu ersetzen, sagt er. „Die Markthändler werden alle immer älter und finden keine Nachfolger“, sagt auch Marktbetreiber Bernd Gellesch. Vor einigen Jahren habe es für jeden frei werdenden Standplatz mehrere Bewerber gegeben, heute blieben viele Plätze dauerhaft leer. „Die Situation ist echt bedenklich“, sagt Gellesch, der seit 30 Jahren im Geschäft ist. Er sieht die Lösung in einer weiteren Spezialisierung der Märkte: Die Händler müssten Nischen finden, die Märkte über Zusatzangebote wie Events und Imbissangebote nachdenken.

Auch Rainer Perske betreibt seit rund zwei Jahrzehnten Märkte in Berlin. Er sieht ein weiteres Problem bei den Produzenten. Es sei mittlerweile oft schwierig, auf Märkten eine Grundversorgung zu garantieren. Die Lebensmittelproduktion etwa sei eher auf großflächigen Anbau ausgerichtet – und Großerzeuger würden lieber direkt an Supermärkte liefern, als an Markthändler mit vergleichsweise geringem Umsatz.

Viele kleine Betriebe, etwa aus Brandenburg, hätten es auch einfach nicht mehr nötig, an Markthändler zu liefern, ergänzt Bernd Gellesch: Die Berliner Kunden führen mittlerweile oft direkt auf die Höfe im Umland oder ließen sich die Lebensmittel in Kisten nach Hause liefern.

Unbequemer als im Discounter

Für Kunden ist der Einkauf auf dem Markt zwar persönlicher – aber auch aufwendiger und unbequemer als im Discounter um die Ecke. Das liegt zum Teil am geringeren Angebot, aber auch an den Öffnungszeiten. Viele Wochenmärkte öffnen lediglich vormittags und ziehen allein deswegen eher ein älteres Publikum an. Ihre Stammkunden seien zumeist Rentner, sagt auch die Markthändlerin vom Hermannplatz in Neukölln. „Die sterben mir so langsam weg“, sagt sie. Auch sie beobachtet, dass keine neuen Markthändler nachwachsen.

Ein Markt müsse heute mehr sein als ein Ort zum Einkaufen, findet daher Betreiber Rainer Perske. In der schnell wachsenden Stadt würden öffentliche Räume immer knapper, es fehle an sozialen Treffpunkten. Hier könnten Märkte aus seiner Sicht einen Bedarf erfüllen: Als Knotenpunkt der Nachbarschaft, als Begegnungsort.

Wer einen Stand auf einem Wochenmarkt betreibt, wie hier am Boxhagener Platz, muss einen Mehrwert für den Kiez bieten.
Wer einen Stand auf einem Wochenmarkt betreibt, wie hier am Boxhagener Platz, muss einen Mehrwert für den Kiez bieten.
© Kai-Uwe Heinrich

Perske sieht die soziale Funktion im Vordergrund, weniger die einzelnen Produkte. „Heutzutage würden wir ohne Märkte nicht verhungern“, sagt er. Daher versuche er, sie dem Leben anzupassen und einen Mehrwert für den Kiez zu liefern: Also in den Blick zu nehmen, was in einer Nachbarschaft fehlt. „Na klar gehen Märkte den Bach runter, aber nur die, die sich nicht umstellen“, schildert Perske.

Die Händlerin vom Hermannplatz ist skeptisch, ob das ausreicht, um die Zukunft der Märkte zu sichern. Früher habe sie auch auf einem Wochenmarkt in Süd-Neukölln gestanden. „Dort ist der Markt schon lange eher ein sozialer Treffpunkt am Wochenende. Die Nachbarn kommen vorbei, um zu quatschen. Dann kaufen sie aber nur drei Äpfel und gehen wieder“, beschreibt sie.

Tegler Treffpunkt geschlossen

Wie sehr Wochenmärkte eine soziale Funktion haben, konnte man am Beispiel der alten Tegeler Markthalle in der Gorkistraße studieren. Bis zu ihrer Schließung vor zwei Jahren – das Gebäude, in dem sie untergebracht war, wurde abgerissen – hatte dieser tägliche Markt unter dem Dach nicht nur alle klassischen Bestandteile eines gut sortierten Lebensmittelmarktes, sondern war auch Treffpunkt der älteren Tegeler. Hier kam man auf ein Glas Wein zusammen, aß seine Portion Spaghetti oder im Winter auch frische Miesmuscheln im Weißweinsud, hier wurden die Neuigkeiten des Bezirks ausgetauscht.

Wer sich eine Stunde auf ein Glas dazu setzte, wusste, wo den Berliner Normalbürgerinnen und -bürgern der Schuh drückte. Das Obst- und Gemüse-, aber auch das Fisch- und Fleischangebot war qualitativ sehr gut. Billig war die Markthalle nie. Das musste sie auch nicht sein. Günstige Supermärkte gab es rundherum genug. Aber zur Tegeler Markthalle fuhren auch die gut betuchten Frohnauer, Hermsdorfer und Heiligenseer, um etwas Besonderes auf den Tisch zu bekommen.

Mit dem Neubau des Tegel-Centers, der erst in anderthalb Jahren vollendet sein wird, änderte sich die Situation radikal. Zwar war eine Modernisierung des Areals durchaus auch im Interesse des Bezirksamtes. Die Markthalle selbst hatte den typischen Berliner Charme des langsamen Verfalls, und im Grunde war das etwas ramschige Ambiente seit den 1950er Jahren unverändert geblieben.

Den Plänen des Investors Harald Huth, der auch sonst in Berlin sehr aktiv beim Bau von Centern ist, sah deshalb die Kommunalpolitik mit Wohlwollen entgegen. Besonders attraktiv schien für die Erteilung der Baugenehmigung der Köder zu sein, Karstadt als Ankermieter gewonnen zu haben. Aber diese Baugenehmigung bekam Harald Huth dennoch nur mit einer Auflage: Die Markthalle durfte nicht untergehen, das sagte er zu.

Zum Jahresende wurden alle gekündigt

Bereits beim ersten Umzug des Marktes im Zuge der Umbauten vor anderthalb Jahren auf die andere Seite strichen viele Betreiber die Segel. Die Mietkonditionen waren nicht interessant für die kleinen Kaufleute. Am neuen Ort etablierten sich einige größere und wichtige Händler inzwischen jedoch ganz gut. Dann kam die nächste Hiobsnachricht: Zum Jahresende wurden alle gekündigt, weil nun auch dieser Teil der Altbauten abgerissen wird.

Erst zur Jahresmitte 2020 kann ihnen der Investor einen neuen festen Platz – nun wieder auf der gewohnten Seite der Gorkistraße – zusichern. Was aber soll in den sechs Monaten bis dahin geschehen? Einen Einkommensausfall von einem halben Jahr können sich die Händler genauso wenig leisten wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen ebenso langen Verdienstausfall.

Bezirksbürgermeister Frank Balzer will ganz in der Nähe mit Zelten am Tegeler Hafen eine Übergangslösung schaffen. Der Investor hat finanzielle Hilfe zugesagt. In trockenen Tüchern ist aber auch dieses Provisorium noch nicht. Neue Chancen für einen Wochenmarkt gibt es hingegen an anderer Stelle in Reinickendorf: In Hermsdorf hat ein nicht sonderlich engagierter Marktbetreiber seine Lizenz zurück- gegeben. Das Bezirksamt hofft jetzt auf einen Neustart mit einem engagierteren Nachfolger.

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