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Die BVG im Corona-Modus 2020 - mit gesperrten Türen bei den Bussen. Das Image der Verkehrsbetriebe sei sehr schlecht gewesen, sagt der scheidende Marketing-Chef. Jetzt sei es anders.
© Kitty Kleist-Heinrich

BVG-Marketingchef zieht Bilanz: „Image verbessert, ohne Produkt wesentlich zu verändern“

Der gefeierte Marketingexperte Martell Beck hat vor seinem Wechsel von der BVG zur Deutschen Bahn ein bemerkenswert offenherziges Interview gegeben.

Die ehemalige BVG-Chefin Sigrid Nikutta holt Beck – wie berichtet – noch im Juni 2020 nach zu ihrer neuen Arbeitgeberin, der Deutschen Bahn. Aus diesem Anlass verriet er in einem jetzt veröffentlichten Gespräch mit der Berliner Marketingagentur Leap, dass man sich zu Beginn einer Arbeit bei der BVG ab dem Jahr 2012 von der Berliner Stadtreinigung BSR habe inspirieren lassen, speziell von deren Slogan „We kehr for you“.

Die BSR habe es mit witzigen Sprüchen geschafft, „den herkömmlichen Müllmann in einen sexy Typen zu verwandeln. Das Unternehmen hat angefangen zu glänzen.“ Und wenn es selbst die Stadtreinigung schaffe, dann müsse es auch der gelingen, habe man bei der BVG damals gedacht, so Beck.

Allerdings seien die Voraussetzungen für seinen Arbeitgeber ungleich schwieriger gewesen, behauptete er. Denn die Dienstleistungen Müllentsorgung würden die Kunden nicht so unmittelbar erleben – anders als der BVG-Kunde. Der „kommt morgens im Regen in den Bus, alle sind nass und stehen eng beieinander, der Fahrer drückt ihm einen Spruch. Da erlebt man das Produkt ganz anders – im Guten wie im Schlechten.“

Das Interview ist nicht bei einem klassischen Medium erschienen, das allein journalistische Kriterien anlegt und entsprechende Standards garantiert – zum Beispiel Unabhängigkeit. Gleichwohl sind die Bedingungen, unter denen Beck die Aussagen offenbar getroffen hat, denen klassischer Medien ähnlich, weshalb der Tagesspiegel hier daraus zitiert.

Geführt hat das Interview Oliver Engelbrecht, Marketing- und Kommunikations-Chef der Agentur Leap. Diese besteht seit gut zehn Jahren, residiert in Charlottenburg und beschäftigt rund 60 Mitarbeiter. Leap berät unter anderem Handelsketten wie Douglas, Toom oder Porta bei der Optimierung ihrer Online-Kanäle. „Es reicht uns nicht zu sehen, was Menschen auf Websites tun. Wir analysieren, warum sie sich so verhalten“, heißt es in einem Video der Agentur. Und: „Der Leap-Effekt bringt mehr Besucher auf ihre Website und sorgt dafür, dass sie zu Kunden werden.“

BVG-Stratege Beck sei noch vor dem Corona-Shutdown als Vortragsredner bei einer Veranstaltung von Leap aufgetreten, erklärte Manager Engelbrecht am Dienstag. Später habe er mit dem ehemaligen Gast telefonisch das Interview geführt. Beck habe das Manuskript mit leichten Änderungen autorisiert. Der Tagesspiegel hat bei Beck über DB Cargo eine Bestätigung angefragt. Diese liegt allerdings noch nicht vor.

Diese Umstände des Gesprächs sind zu erwähnen, um zu verdeutlichen, dass BVG-Mann Beck die Aussagen im Gespräch mit einem PR-Profi, einem Kollegen, tätigt - nicht im Dialog mit einem Vertreter der breiten Öffentlichkeit. Die könnte sich nämlich von mancher Aussage erschrocken sein oder sich auch nachträglich verschaukelt fühlen.

Ein Blick hinter die PR-Kulissen

Die Gesprächspartner gewähren einen für PR-Laien seltenen Einblick hinter die Kulisse. Beck schildert das „Making-Of“ einer der erfolgreichsten Kampagnen der jüngeren deutschen Werbegeschichte: „Wir haben uns dann gefragt, wer wir eigentlich sind. Und Hand aufs Herz: Wir sind nicht so sauber, nicht immer pünktlich und haben teilweise sehr alte Fahrzeuge. 45 Prozent unserer Kunden mögen uns nicht. Das ist nicht Hochglanz, aber es ist ehrlich“, sagt Beck über die BVG.

Der bisherige BVG-Manager Martell Beck mit Begleiterin Manja Helm bei der Verleihung der "YouTube Goldene Kamera Digital Awards 2018" im Kraftwerk Berlin im September 2018.
Der bisherige BVG-Manager Martell Beck mit Begleiterin Manja Helm bei der Verleihung der "YouTube Goldene Kamera Digital Awards 2018" im Kraftwerk Berlin im September 2018.
© imago/Future Image

Und so habe man die Optik der Kampagnen entwickelt: „Wir sind shabby – und leben damit. Wir sind eher das verwackelte Handyvideo als der 4K-Film.“ Dann kam die Frage nach der Tonalität. „Und da blieb für uns nur die Berliner Schnauze. So sprechen unsere Fahrer, und so sprechen auch viele Berliner. Nicht übermäßig höflich, sondern vor allem schlagfertig.“

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Man habe irgendwann die richtige Mischung entwickelt, erinnert sich der PR-Stratege an die Zeit als noch Klaus Wowereit (SPD) Regierender Bürgermeister war: Eine „Arm aber sexy“-Optik, die zu Berlin passt, aber zu München oder Düsseldorf nicht passen würde. Und dann haben wir eine Tonalität, wir haben ein Setting, und wir haben Humor. Das sind die Stilmittel, das sind die Elemente, das sind die Zutaten, die es augenscheinlich braucht, um eine Kampagne zu starten.“

An der Kampagne gab es auch Kritik, an dem Spruch zu dem Werbesong und -witzigen video („Is‘ mir egal“) zum Beispiel. Darauf geht Beck ein, aber kein Wort fällt zum Suizid des „Is‘ mir egal“-Interpreten Kazim Akboga einige Jahre später. Hier hätte jeder Journalist nachgefragt, was so ein tragisches Ereignis mit einer Kampagne und ihren Schöpfern macht. Kein Feelgood-Thema fürs Marketing.

Genauso wenig wie der Weltfrauentag. Hier aber handeln Beck und die BVG Ganz konkret und werden kreativ: Die Verkehrsbetriebe boten 2019 Frauen ein Ticket an, das 21 Prozent günstiger war, „weil sie eben 21 Prozent weniger verdienen als Männer.“ Aber wie passt das zum Landesgleichstellungsgesetz, schließlich ist die BVG ein öffentliches Unternehmen?

"Wir interpretieren das Gesetz neu"

Man habe gesagt, „dass wir die Grenzen des Gesetzes neu ausloten. Wir verstoßen nicht, wir interpretieren es neu. Das ist es uns wert, weil wir ein Zeichen setzen wollen. Wir sahen uns auf der moralisch richtigen Seite, weil ja niemand wollen kann, dass Frauen so benachteiligt werden“, schildert Beck das Konzept dahinter.

Beck und Fragesteller Engelbrecht gewähren an einigen Stellen einen Blick in die Metaebene ihrer Branche. Klingt trivial, aber es geht um Werbung, also die Überzeugung Dritter von den Qualitäten eines Produktes oder Dienstleistung um fast jeden Preis. Vertrauen und Wahrheit sind hier keine Kategorien!  

So freut sich Beck über die vielen Reaktionen auf die Online-Kampagne. „Diese Interaktion ist nichts anderes, als dass sich jemand mit unserer Marke beschäftigt

"Is’ mir egaal". Ein als Kontroletti auftretender Rapper schwankt durch den U-Bahnzug, trifft die Berliner Gesellschaft, wie sie gähnt, tanzt, Bauchnabel entblößt oder Zwiebeln schneidet. Jahre später nahm sich der Rapper Kazim Akboga das Leben.
"Is’ mir egaal". Ein als Kontroletti auftretender Rapper schwankt durch den U-Bahnzug, trifft die Berliner Gesellschaft, wie sie gähnt, tanzt, Bauchnabel entblößt oder Zwiebeln schneidet. Jahre später nahm sich der Rapper Kazim Akboga das Leben.
© promo / BVG // Kazim Akboga

. Mit unserer Werbung – weil im Endeffekt machen wir ja Werbung“, staunt er. Ein Fünftel der Nutzer sei bereitgewesen, „sich freiwillig mit unserer Werbung zu beschäftigen. Bei diesen sensationellen Werten mussten wir da weiter investieren“, erinnert sich der Stratege.

War und ist allen diesen Nutzern klar, dass sie über Twitter oder andere Kanäle mit Werbern einer „Weil-wir-dich-lieben“-Agentur kommunizieren, und nicht mit Vertretern der behördengleichen Verkehrsbetreibe, von denen man in allen Jahrzehnten davor zwar preußisch humorfreie - aber dafür authentische, ehrliche und wahre - Auskünfte erwarten musste und durfte?

Beck verrät in dem Interview, dass seine Abteilung sich auch auf den sogenannten „Net Promoter Score“ gestützt hat, eine von Unternehmensberatern entwickelte Kennzahl, die sich in Kundenumfragen auf nur eine Frage stützt: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Unternehmen/Marke X einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?“

Auf einer Skala von 1 bis 10 bedeutet alles unter 6, dass sie dich nicht mögen, erklärt Martell Beck. Bei 7 und 8 stehen sie dir neutral gegenüber. „Aber wer eine 9 oder 10 vergibt, liebt dich“. Dann stellt man die 1 bis 6 der 9 und 10 gegenüber und erhält im Bestfall eine positive Zahl.

BVG auf einem Image-Score von "plus 11"

In diesem Abschiedsinterview ist offenbar auch für Beck die Zeit gekommen, den Net Promoter Score auf seine Arbeit zu legen. Offenbar nicht ganz ernst gemeint, sagt er: „Bevor wir angefangen haben, standen wir da etwa bei minus 17 – mittlerweile sind wir bei plus 11.“ Die Diagnose dürften viele Beobachter teilen. Aber den Schluss den Beck aus diesem Scheinergebnis zieht, könnte viele, die öfter auf einen überfüllte U-Bahn gewartet haben, ernüchtern. „Das zeigt, dass es uns gelingt, unser Image zu verbessern, ohne unser Produkt wesentlich zu verändern.“

Aus Werberperspektive hat Beck demnach seine Mission übererfüllt. Auch die Politik als Vertreter der Öffentlichkeit legte ihm offenbar keine strengeren Kriterien auf: „Wir haben uns gesagt, dass die Kampagne aus politischer Sicht ein Erfolg sein wird, wenn die Menschen uns toll finden. Der Wurm muss halt dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“. In diesem Sinne dürfen sich auch Kunden innerhalb des internationalen Geschäftsgebietes der Deutschen Bahn auf eine wurmartige Imagekampagne gefasst machen.

Das Interview mit der Agentur nutzt Beck, der Bereits bei der BVG Verantwortung für 700 Mitarbeiter und einen Millionenetat trug, auch für eine Einladung in die Branche – verbunden mit einem für viele womöglich überraschenden Eingeständnis: „Die Leute in den Agenturen müssen sehr kreativ sein – und ich selbst bin das gar nicht.“ Er sei glücklich, viele gute Kreative zu kennen. „Denn wir brauchen immer kreative Ideen und spannende Geschichten.“ Deshalb sei er gerne bereit, für gute Kreationen auch gutes Geld auszugeben. „Ich will mit den Besten zusammenarbeiten und muss dann auch   gut bezahlen.“

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