Berlin-Mitte: Ideen für das verlorene Stadtzentrum
Die Stiftung Zukunft Berlin will mit kleinen Eingriffen das verlorene Zentrum der Stadt zu einem lebendigen Treffpunkt aufwerten. Das sind die Ideen.
Mitte steht das Schönste noch bevor: Am Fuße des Fernsehturms, gegenüber vom Humboldt Forum, öffnet der „Garten der Weltkulturen“ mit Gewächsen aus allen Kontinenten. Von dort geht es weiter, zum Roten Rathaus, zu einer Veranstaltung des Regierenden Bürgermeisters. 70.000 Menschen sind gekommen.
Es geht um die Zukunft der Stadt, bezahlbare Mieten. Am „Platz der Demokratie“ herrscht quirrliges Treiben auf den steinernen Stufen zum demokratischen Forum sitzen Menschen allen Alters mit Getränken von dem Café, das gegenüber der Marienkirche geöffnet hat.
Abends strömen sie zurück zum Hackeschen Markt, kreuzen Dircksen- und Karl-Liebknecht-Straße, wo vereinzelt Lieferwagen im Schritttempo vorbeigleiten, auch die Tram, deren Gleise sie kreuzen und die freundlich bimmelt. Andere strömen zum Clubabend der Alten Münze, am Roten Rathaus vorbei über die verkehrsberuhigte Gruner Straße.
So schön könnte die Mitte von Mitte sein, so schön soll sie werden, wenn es nach der „Stiftung Zukunft Berlin“ geht. Der „Think Tank“ von Volker Hassemer, der in seiner Zeit als Stadtentwicklungssenator mit den heute schon legendären „Stadtforen“ alle maßgeblichen Entscheidungen zur Umgestaltung Berlins durch eine tausendstimmige und damit wahrlich demokratische Debatte vorbereitete, legt den Finger auf die Wunde.
Berlins historische Mitte hat niemand mehr auf dem Schirm heute, vier Jahre nach dem Beschluss der Leitlinien zu deren Gestaltung durch den Senat. Und das ist kläglich für eine Metropole wie Berlin.
Berlin historische Mitte hat niemand mehr auf dem Schirm heute
Und es ist ein gefährliches Versäumnis, weil zurzeit Entscheidungen fallen, die das autogerechte Berlin in Mitte auf weitere Jahrzehnte hin zementieren könnten. Zumal die Fachleute in der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr an der Umsetzung der Bebauungspläne für den Molkenmarkt arbeiten. Dieses Gebiet liegt auf der Rückseite des Roten Rathauses und soll durch die Verengung und Verschwenkung der von der Leipziger Straße kommenden Verkehrsader mit Wohnhäusern bebaut werden.
Will nun die Stadt die Teile seines Zentrums, die der Verkehr zerstückelt hat, wieder vereinen, dann müssten die Planer hier auch die Verbindungen wieder herstellen und den Fußgängern eine Chance geben.
Nur ein einziger Kilometer liegt das Scheunenviertel von der Alten Münze entfernt – und es ist doch gefühlt unendlich weit weg. Weil das tiefe Straßenbahnbett und die breite vielspurige Straße nördlich und südlich des Marx-Engels-Forums unüberwindliche Schneisen schlagen.
Und das Forum selbst? Touristen schauen mal vorbei und finden – nichts außer die eigene Freude im Pulk an dem einen oder anderen Sixpack. Das will die Initiative um Stiftungs-Geschäftsführer Stefan Richter, Lea Rosh und dem früheren Direktor der Antikensammlung Wolf-Dieter Heilmeyer ändern.
Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Erste Abteilungen des neo-historistischen Humboldt Forums eröffnen in diesem Jahr und die neue Kultureinrichtung wird Hunderttausende Besucher anlocken. Rund um den Hackeschen Markt streifen Zigtausende Amüsierwillige, doch ihnen gelingt nicht der Sprung über Alexander- oder Dircksenstraße. Wozu auch, dort fehlt bisher ein Ankerplatz.
Konzept passt zur Verkehrsoffensive von Regine Günther
Die Idee, hier einen neuen urbanen Treffpunkt zu schaffen mit einem „Weltgarten“ und Bezügen zur Kulturgeschichte (die Freundschaft von Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, die hier mal wohnten) und zur Stadtgeschichte (die Kaiserstraße, die hier einst den Alexanderplatz mit dem Schloss verband und den Linden ebenbürtig war), ist brillant.
Dazu noch den Schlossbrunnen an seinem Stammplatz vor das Schloss zurückschaffen und das Marx-Engels-Denkmal um andere Philosophen ergänzen – so könnte es gehen. Zumal das anknüpft an die „Leitlinien“ für Mitte, die der Senat vor vier langen Jahren beschlossen hat. Darüber hinaus schlägt das Trio die Wiederherstellung der Waisenbrücke nahe der Mühlenbrückenschleuse vor, um das südlich gelegene Quartier um die Wallstraße besser anzuschließen.
Das Konzept passt zur Offensive von Verkehrssenatorin Regine Günther, den Autoverkehr zurückzudrängen. So schlägt die Stiftung vor, die Spandauer Straße zum „Shared Space“ zu wandeln, wo Fußgänger gleichberechtigt sind mit Fahrzeugführern, eine sanfte Art, dem motorisierten Verkehr die bedingungslose Vorfahrt zu nehmen.
Man würde den Vorschlägen machtvolle Fürsprecher wünschen. Denn das alles sind keine utopischen Visionen, sondern ganz im Gegenteil pragmatische, die schrittweise zu einer gehörigen Aufwertung von Berlins Herz führen könnten. Denn dessen Klopfen ist, erstickt vom Verkehr, kaum noch wahrnehmbar.
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