Rant zum Handwerkermangel: Ich will endlich eine neue Heizung!
Berlins Bauboom macht es Privatleuten schwer, Handwerker für kleine Aufträge zu gewinnen. Manch einer kommt zwar vorbei, meldet sich dann aber nie wieder. Eine Leidensgeschichte.
Jedes Jahr im Herbst kommt der Schornsteinfeger zur Abgasprüfung in unseren Keller und fängt an zu lachen. Dann zeigt er auf den Kessel, der unser altes Reihenmittelhaus bisher zufriedenstellend erwärmt und fragt: „Von wann ist der denn?“ „1965“, sage ich, „und bisher hat er jede Prüfung bestanden.“ Mehr noch: Der läuft mit allem, zur Not können wir darin das Treppengeländer verheizen.
Aber das Ende ist absehbar. „Das geht ganz schnell“, warnt uns der Mann in Schwarz, „wenn Sie es gerade nicht brauchen können.“
Also beschließen wir im Oktober, die Binnennachfrage anzukurbeln und etwas für die Umwelt zu tun. Wir – so der Plan – bestellen kein Öl mehr und beauftragen einen Berliner Handwerksbetrieb damit, unsere Heizung auf eine topmoderne Gasanlage umzurüsten. Das kann ja nicht so schwer sein.
Kann es offenbar doch: „Was wollen Sie, eine neue Heizung? Guter Mann, jetzt ist Winter!“ Der erste potenzielle Anbieter hat gar keine Zeit. Der zweite lässt sich immerhin dazu herab, sich binnen Kurzem bei uns melden zu wollen. Nach zwei ereignislosen Wochen und mehreren weiteren Anrufen verspricht er, uns in 14 Tagen zu besuchen. Tatsächlich kommt ein gemütlich aussehender Typ, der ein bisschen was von einem Braunbären hat. Notizen macht er sich keine. Aber er nimmt sich zwei Stunden Zeit. Wir sind sehr zuversichtlich.
Eine Woche später – also fünf Wochen nach Beginn der „Operation neue Heizung“ – kommt der dritte Kandidat zu einem Besuch. Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst, macht sich unglaublich viele Notizen, vermisst das ganze Haus. Dann erklärt er uns, wie viele Computerschnittstellen so eine Heizung heute hat. Wir sind beeindruckt.
Großaufträge geben Planungssicherheit
Bei einem Abendessen erfahren wir von einem Anwalt, der in der Immobilienbranche tätig ist, dass es für Leute wie uns heutzutage nicht einfach sei, einen Heizungsbauer zu bekommen. Im Bau- und Modernisierungsboom, den Berlin gerade erlebt, konkurrieren wir mit viel größeren Auftraggebern. Die sind beliebt bei kleinen Handwerksbetrieben, weil sie Planungssicherheit geben und – zumindest im Fall der großen Wohnungsbaugesellschaften – dabei nicht so aufs Geld gucken. Bei denen, sagt der Anwalt, könne die Sanierung ja auf die Miete umgelegt werden.
Beunruhigt rufe ich Anbieter Nummer zwei, den Braunbären, noch einmal an. Nein, der Kostenvoranschlag sei noch nicht fertig. Bei Nummer drei, dem Gewissenhaften, auch nicht. Nummer vier ist bisher noch nicht erschienen. Dafür ist der Ölstand sieben Wochen nach Beginn der Operation dramatisch gefallen. Ich weigere mich, neu zu tanken, erkläre das Treppengeländer notfalls für verzichtbar. Der Gewissenhafte schickt einen Kostenvoranschlag, ziemlich teuer. Ob ich ihm sage, dass ich das nicht auf die Miete umlegen kann? In der neuen Anlage kann man auch kein Treppengeländer verheizen.
Irgendwann kommt endlich Nummer vier zu uns, auch er sehr kompetent, auch er vermisst das gesamte Haus. Etwa zur gleichen Zeit verspricht der Braunbär, seinen Kostenvoranschlag bis Freitag zu schicken, fünf Wochen nach seinem Besuch.
Notverglast und unterkühlt
Es kommt – kein Angebot, dafür alles noch schlimmer: Bei uns wird eingebrochen. Wir erhalten eine Notverglasung für die Terrassentür. Die besteht, anders als der Name vermuten lässt, nicht aus Glas, sondern aus Brettern. Es zieht, aber mit mehr brauchen wir dieses Jahr nicht mehr zu rechnen, sagt der Mann vom Notdienst. Weihnachten und so.
Im Wohnzimmer ist es nun also kühler als gewohnt und wegen der Bretter auch tagsüber recht dunkel. Noch kein Kostenvoranschlag von Nummer zwei. Wahrscheinlich sitzt der Braunbär in seiner beheizten Höhle. Ein Kollege, der zum Thema recherchiert, erzählt mir unterdessen etwas von Fachkräften und Azubis, die laut Handwerkskammer händeringend gesucht werden.
Heute Nacht habe ich nun von einer Umschulung geträumt. Und davon, dass Einbrecher das Treppengeländer geklaut haben. Ich wache frierend auf. Am Morgen meldet sich Nummer vier. Die gute Nachricht: Er könnte Ende Januar anfangen. Ich schaue auf den Ölstand. Wo ist eigentlich die Axt?
Dieser Text erschien zunächst am 10. Dezember 2016 als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.