Öffentlicher Nahverkehr in Berlin und Brandenburg: „Ich bin überzeugt, dass wir bald fahrerlos fahren können“
VBB-Chefin Susanne Henckel über den Nahverkehr der Zukunft, warum sie gegen ein Alkoholverbot ist und weshalb schon wieder die Ticket-Preise steigen.
Frau Henckel, die Stadt wächst, das betrifft auch den Nahverkehr. Wie viele Fahrgäste kann er noch aufnehmen?
Da gibt’s noch eine Menge Luft. Allerdings sind auch schon jetzt viele unserer Züge sehr voll. Erste Ergebnisse unserer Studie „Konzept 2030“ haben überraschende Erkenntnisse gebracht: Obwohl in den Randbereichen Brandenburgs die Bevölkerung abnimmt, wächst die Zahl der Pendler von dort nach Berlin. Darauf müssen und werden wir reagieren und unser Angebot ausbauen.
Das kann aber dauern.
Es gibt auch kurzfristige Lösungen wie zusätzliche Verkehrsleistungen, dort, wo es nötig ist. Aber wir müssen den Bedarf für Morgen mitdenken und gleichzeitig das Heute im Blick behalten. Denkbar ist zum Beispiel bei nachfragestarken Verbindungen, einen Wagen mehr an den Zug zu hängen. Das ist derzeit aber leider nicht möglich, weil einige Bahnsteige an Brandenburger Bahnhöfen für längere Züge zu kurz sind. Und Bahnsteigverlängerungen sind unglaublich aufwendig und teuer. Am einfachsten wäre es, den letzten Wagen zu verschließen und nur an den geeigneten Bahnhöfen zu öffnen. Das lassen die Vorschriften derzeit aber nicht zu.
Finden Sie sich damit ab?
Natürlich nicht. Hier müssen wir uns auf den langen Weg durch die Institutionen machen und mehr Flexibilität erreichen. Wir bohren weiter nach und hoffen, dass wir uns einigen können. Hier ist aber auch die Industrie gefordert. Es muss doch möglich sein, dass die Türsteuerung zentral auch für jeden Wagen einzeln geregelt werden kann.
Ein Wagen mehr wird für den wachsenden Verkehr aber nicht reichen.
Wir planen ja auch langfristig. Derzeit untersuchen wir, welche Strecken wie ausgebaut werden sollen. Für die S-Bahn oder für den Regionalverkehr.
Gibt es schon Ergebnisse?
Im Herbst wollen wir in den Dialog mit allen Beteiligen gehen. Lösungen sind nur gemeinsam möglich. Wichtig ist, dass am Anfang ein guter, abgestimmter Planungsprozess steht, den dann alle mittragen.
Halten Sie es für möglich, dass weiter Bahnstrecken stillgelegt werden?
Nein, derzeit gehen wir nicht davon aus.
Neue Gleise kosten aber auch Geld.
Deshalb müssen wir genau hinschauen: Wo lohnt es sich? Was brauchen wir? Und sicher können wir intelligent sparen.
Wie geht das?
Wir könnten zum Beispiel die Verteilung der Fahrgäste in den Zügen besser steuern. Heute sind oft einige Wagen eines Zuges sehr voll, während es in anderen noch reichlich Platz gibt. Mit der digitalen Technik ist es zukünftig möglich, einem Fahrgast schon vor der Ankunft des Zuges mitzuteilen, wo er einen freien Platz finden kann. Hier arbeiten wir an einem gemeinsamen Projekt mit der Deutschen Bahn. Testen wollen wir es auf den Linien RE 3 und RE 5 an die Ostsee, die vor allem im Sommer sehr voll sind. Funktioniert es, brauchen wir nicht überall mehr Wagen oder neue Strecken.
Und wie machen Sie Nebenstrecken attraktiver?
Es würde schon helfen, weitere Strecken zu elektrifizieren. In Deutschland hat man zu lange auf den Dieselantrieb gesetzt. Die Verkehrswende muss aber auf der Schiene erfolgen. Und das geht nur mit umweltfreundlichen und leisen Fahrzeugen.
Schon im vergangenen Jahrhundert hat es für Nebenstrecken Akku-Triebwagen gegeben. Warum geht das heute nicht?
Hier ist die Entwicklung ein halbes Jahrhundert lang verschlafen worden. Heute gibt es leider serienmäßig kein Angebot für solche Züge, die elektromobil mit moderner Speichertechnik unterwegs sind.
Das beste Angebot bringt aber nichts, wenn dann Triebfahrzeugführer fehlen, wie aktuell bei der Niederbarnimer Eisenbahn, die deshalb Fahrten ausfallen lassen muss. Haben Sie dafür Verständnis?
Für die NEB kam einiges unglücklich zusammen: Die bestellten neuen Fahrzeuge kamen viel zu spät, es gab Unfälle und Schäden, und zuletzt fehlten Fahrer. Der Ausfall ist vor allem ärgerlich für die Fahrgäste. Wir haben aber einen knallharten Vertrag und werden der NEB Zuschüsse abziehen. Allerdings haben wir den Fahrermangel damit leider nicht behoben.
Auch in anderen Bahnunternehmen fehlen Fahrer. Wie kann man das ändern?
Ich bin überzeugt, dass wir bald fahrerlos fahren können. Das heißt aber nicht, dass es dann kein Personal in den Zügen mehr gibt. Im Gegenteil: Wir verlangen in den Verkehrsverträgen schon jetzt, dass es in allen Zügen Zugbegleiter gibt.
Viele Fahrgäste wünschen sich auch ein Alkoholverbot in den Zügen. Sie auch?
Nein. Die meisten Verkehrsverbünde sind sich einig, dass wir kein Verbot brauchen. Unsere Beförderungsbedingungen reichen hier aus. Demnach können wir bereits jetzt Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit sind, von der Fahrt ausschließen.
Fahrgäste wünschen sich auch, dass die Preise nicht steigen. Warum erfüllen Sie diese Wünsche nicht?
Wir müssen die Kostensteigerungen bei den Verkehrsunternehmen doch ausgleichen. Die Energiepreise sind zwar gesunken, aber die Personalkosten steigen. Auch neue Fahrzeuge müssen finanziert werden.
Ein ABC-Monatsticket kostet jetzt 99,90 Euro. Bei einer neuen Runde wären wohl erstmals mehr als 100 Euro fällig. Machen die Kunden das mit?
Es ist nie schön, wenn wir die Preise erhöhen müssen, aber es geht nicht anders. Wir brauchen das Geld im System, das zur Hälfte von der Öffentlichen Hand, zur anderen Hälfte von den Nutzern kommt. Wir beschäftigen uns aber auch nicht nur mit Preisen. Insgesamt soll unser System attraktiver werden.
Wie das?
Indem wir zum Beispiel attraktive Angebote wie die Berliner Vier-Fahrten-Karte auch auf andere Städte in Brandenburg ausweiten. Oder vielleicht Schnuppertarife anbieten.
Wann fällt die Entscheidung?
Ende September wird unser Aufsichtsrat die neuen Tarife beschließen. Sie werden moderat ausfallen, weil sie wieder an einen Index gekoppelt werden.
Berlin hat die höchste Schwarzfahrerquote in Deutschland. Ist das nicht ein Zeichen, dass die Preise hier vielleicht doch zu hoch sind?
Das Angebot ist top und das bei einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Und ich habe das Gefühl, dass in Berlin auch viel kontrolliert wird, was richtig ist. Wir arbeiten weiter daran, die Tarife noch verständlicher zu erklären. Kein Fahrgast soll zum Schwarzfahrer werden, nur weil er sich beim Ticketkauf geirrt hat.
Das Gespräch führte Klaus Kurpjuweit