Religion in Berlin: Ich bin Christ – und das ist gut so!
Berlin hat für gläubige Menschen einen festen Platz vorgesehen: die Rechtfertigungsecke. Eigentlich komisch, Minderheiten wecken hier doch sonst zuverlässig den Beschützerinstinkt. Ein Rant.
Kürzlich erzählte mir jemand, dass sein Sportverein jetzt mit einer Kirchengemeinde zusammenarbeite. Ganz eilig schob er hinterher: „Aber nur für diese eine Aktion. Hat auch nix mit Religion zu tun. Und manche von denen sind ganz in Ordnung.“ Ein anderes Mal sprach jemand über einen Pfarrer: „Der ist vernünftig, hat mich echt überrascht.“ Und als in einer Runde neulich jemand erwähnte, er habe sein Kind taufen lassen, kam als Reaktion: „Was, so einen Blödsinn glaubst du?“ Und: „Willst du das deinem Kind nicht selbst überlassen? Aus dem Verein kommt es so leicht nicht mehr raus.“
Diese Stadt hat für den christlichen Glauben einen festen Platz vorgesehen: die Rechtfertigungsecke. Berlin trägt seine Offenheit ja sonst gerne wie eine Monstranz vor sich her. Ich habe aber den Eindruck, dass hier jedem Fetisch mehr Toleranz entgegengebracht wird als dem christlichen Glauben. Ja, ich weiß: Die Kirche als Institution beging und begeht reihenweise Sünden.
Jeder, der gegen das Christentum wettert, betet sie herunter: von den Kreuzzügen über pädophile Priester, Diskriminierung von Frauen, Schwulen etc. Immer steht dabei der Vorwurf im Raum: Wer sich zum christlichen Glauben bekennt, deckt diese Schandtaten. Als ob nicht Millionen von Christen gegen solche Verbrechen sind. Als ob nicht Millionen von Christen sie aufklären, verurteilen, helfen wollen, sie künftig zu verhindern.
Man kann die Kirche kritisieren - und dennoch glauben
Ich wundere mich als Christ immer wieder über die Bestimmtheit, den Furor beim Abkanzeln des christlichen Glaubens. Bisher ist mir das vor allem in Berlin begegnet, also gerade in der Stadt, die ich sonst wegen vieler menschlicher Eigenheiten so mag. Das Abarbeiten am Christentum klingt dabei für mich oft merkwürdig selbstherrlich und sagt vielleicht mehr aus über die, die sich da aufregen, als über den Glauben selbst. Glaube ist doch angeblich Privatsache, höre ich immer von den Leuten, die dagegen zu Felde ziehen, dass der Staat die Kirchensteuer einzieht. Wenn es darum geht, mich unkommentiert meinen Glauben leben zu lassen, haben sie das aber schnell vergessen.
Dabei gilt doch auch für Christen: Jeder ist erst einmal für sich selbst verantwortlich. Ich bin nicht verantwortlich für einen pädophilen Priester. Wer schafft es denn wirklich, einem Fußballklub abzuschwören, wenn ein Spieler den Gegner mit Blutgrätsche zum Sportinvaliden tritt, die Vereinsführung die Schleusen zum Kommerz öffnet oder aus der Fankurve rassistische Parolen gegrölt werden? Will man da der Welt nicht erst recht zeigen, dass es auch anders geht? Und wer glaubt denn ernsthaft, man könne nicht zugleich die Institution Kirche kritisieren – und dennoch weiter glauben?
Ich bin gespannt, was das Reformationsjahr 2017 für Reaktionen hervorruft. Wer da wie gegen wen pestet. Gegen Luther. Gegen die Kirche als Institution. Oder gleich gegen alle Christen. Welche Vorurteile und Einfachheiten da herausgeholt werden.
Zweifeln gehört für mich dazu
Von einer Lehrerin hörte ich, dass Eltern in einer Schule Weihnachtslieder verbieten lassen wollten, in denen das Wort Gott vorkommt. Wie aber soll denn dieser Gott, den es doch angeblich gar nicht gibt, euren Kindern etwas anhaben? Gerade in Berlin sind Christen sowieso in der Minderheit. Und Minderheiten wecken doch sonst in dieser Stadt den Beschützerinstinkt.
Um sich für oder gegen etwas zu entscheiden, sollte man es kennen, das ist meine Überzeugung. Das ist für mich auch ein Argument als Christ für die Taufe von Kindern. Wer nicht dazugehören möchte, kann wieder austreten. Alles okay. Von der politischen Dimension der Kirche will ich hier gar nicht anfangen oder der sozialen Dimension oder kulturellen Wurzeln. Es geht mir um den persönlichen Glauben. Und wie eng er hier beurteilt wird. Ja ja, Jungfrauengeburt, wird dann gespottet, was für ein Schwachsinn.
Dabei heißt es ja Glauben. Und nicht Wissen. Das Schöne ist doch: Ich kann etwas glauben. Und ich muss nicht alles glauben. Zweifeln gehört für mich dazu. Dass mein Glaube größer ist als die Zweifel, kann man mir guten Gewissens lassen.
Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.