Die Queen in Berlin: Hüte, Hunde, Humor
Für die Zuschauer heißt es warten können, bis sie die Queen zu Gesicht bekommen. Ihre Majestät hat einen vollen Tag zwischen Kanzleramt und Technischer Universität - und wir am Ende mit Blick auf Europa politisch.
Es sind noch Fähnchen da, im Schwarz-Rot-Gold der Bundesflagge und im Rot-Weiß-Blau des Union Jack. Wer immer dafür verantwortlich sein mag: Die Schülerzahl der 10. Klasse der Spandauer Martin-Buber-Oberschule wurde um einiges zu hoch eingeschätzt, und so bleibt von den im Garten des Schlosses Bellevue verteilten Winkelementen noch eine gute Handvoll über. Die anderen eingeladenen Bürger, die wie die ziemlich herausgeputzten Schüler darauf harren, dass die Queen sich ihnen zeige, Seite an Seite mit Bundespräsident Joachim Gauck, dazu ein wenig im Hintergrund Prinz Philip und Daniela Schadt – sie könnten die überzähligen Fahnen nun übernehmen, das Bild wäre um so bunter, die Begeisterung um so glaubwürdiger – aber nein, niemand bietet sie ihnen an.
"Awful" Wetter, "fabulous" Queen
Solch ein Staatsbesuch besteht genaugenommen vor allem aus Warten. Nicht für die beteiligten Hauptpersonen, bei denen läuft der Tag, klack, klack, klack, einem Uhrwerk gleich ab, ein zigfach erprobter Mechanismus, der dem Zufall kaum eine Chance lässt. Aber für die dienstbaren Geister, die das Zeremoniell vorbereitet haben und jetzt mit allenfalls feindosierter Nervosität seinem Gelingen entgegensehen, ist Warten Teil der Pflicht. Die Zaungäste hätten immerhin die Wahl, einfach zu gehen, was aber schade wäre.
Denn viele sind es noch nicht an diesem Mittwochvormittag, die sich am Spreeweg vor dem Schloss Bellevue versammelt haben. Immerhin, eine Frau aus dem Havelland wartet seit halb sieben, samt dem sechsjährigen Sohn, der mit ihrer Erlaubnis die Schule schwänzt, wegen des „ergreifenden Moments“, den sie sich erhofft – „mein Anteil an der Geschichte“. Auch eine Touristenfamilie aus Australien hat sich eingefunden, die das Berliner Wetter „awful“, die Queen aber „fabulous“ findet und sie sogar schon einmal in Alice Springs gesehen hat. Aber die größte Gruppe ist vorerst die Mahnwache der Gesellschaft für bedrohte Völker, die sich für die Rechte der Aborigines stark macht und royale Unterstützung erhofft.
Ganz in Weiß
Aber jetzt hat das Warten ein Ende. Die Ehrenformation des Wachbataillons ist im Garten des Schlosses mit klingendem Spiel aufmarschiert. Auch „Preußens Gloria“ steht auf der Titelliste, wie stets bei Staatsbesuchen, später folgen die Hymnen, die des Gastes zuerst: „God Save The Queen“ und „Einigkeit und Recht und Freiheit“ als Instrumentals, die Königin und der Präsident auf einem kleinen Podest, bevor es über den roten Teppich geht, mit knapper Verneigung vor der von den Soldaten mitgeführten Bundesflagge.
Ganz in Weiß ist Königin Elizabeth II. erschienen, der Mantel mit Glitzersteinen veredelt, der Hut geschmückt mit einer übergroßen Schleife. Die Bewegungen sind ebenso sicher wie behutsam, sie achtet, so scheint es, sorgfältig auf jeden ihrer Schritte: Eine Frau, die sich offensichtlich nicht sonderlich anstrengen muss, um im Mittelpunkt zu stehen. Eine Majestät eben.
Der Punkt, an dem ihre Person über das Amt hinausgewachsen ist, seitdem „die Queen“ - an der TU wird Museumsdirektor Neil MacGregor später darauf inweisen, dass es laut Duden im Deutschen da ausdrücklich keinen Plural gibt - durch ihre Persönlichkeit die formale Macht des Amtes überstrahlt, ist nur noch schwer zu bestimmen. Irgendwann in den neunziger Jahren muss es gewesen sein, dass man den Eindruck hatte, diese eigenwillige Person rechtfertige das überkommene Amt, gewissermaßen als Popstar eigener Kategorie. Niemand muss überhaupt mehr eine Haltung zur Monarchie entwickeln, um Fan der Königin zu sein.
Es ist nur dieser Gedanke, durch den sich erklären lässt, was am Mittwoch in Berlin passiert: Das völlig ernsthafte Ausrufen von Kleider- und Hutfarben, die endlosen Benimm-Ratschläge, als habe sich praktisch jeder Passant sorgfältig auf ein zufälliges Treffen mit der Königin vorzubereiten. Die lückenfreie Berichterstattung. Die Salutschüsse, die plötzliche Existenz von Blumenmädchen und ausführliche Erwägungen über die symbolische Bedeutung von Bootsfahrten. Kurz: dieser englische Feiertag. Reporter im demokratischen Berlin fühlen sich schon durch ein Winken geadelt. Sogar die Polizei, die bei Staatsbesuchen normalerweise auch Proteste von Gegnern vermeldet, sagt diesmal: nichts. Die Aborigines-Verteidiger gelten da nicht, sie haben ja ausdrücklich nichts gegen die Queen, sind Bittsteller, nicht Gegner.
Schlichtes Mietboot für Ihre Majestät
Stattdessen die Anmutung von Galopprennbahn im Garten des Schlosses Bellevue, jedenfalls wenn man den ebenso kecken wie ausladenden Hut von Daniela Schadt betrachtet und die der anderen Besucherinnen. Ein Pferd gibt es dann tatsächlich noch, als Geschenk von Joachim Gauck: ein Gemälde der jungen Königin hoch zu Ross, ein Mann hält es am Zügel. „Und das soll mein Vater sein?“, fragt die Queen. Als pflege sie längst selbst ironischen Abstand zu den Ritualen.
So ist es auch, als das Boot naht. Es wirkt an sich schon ironisch, dass die Berliner Regie für die ungewöhnliche, noch nie dagewesene Bootsfahrt auf der Spree keinen Musikdampfer mit Flotillenadmiral am Steuer, Jagdbomber-Eskorte und klingendem Spiel geschickt hat, sondern ein schlichtes Berliner Mietboot namens „Ajax“, das jeder chartern kann und das von jenen Männern geführt wird, die dies auch sonst jeden Tag tun. „Zu Fuß zum Bootssteg“, jubelt das Fernsehen. „Und das in ihrem Alter!“ Da steigt die Queen auch schon die extra angebauten drei Stufen zur schwankenden „Ajax“ hinab.
Man kann diese schlichte Inszenierung als Zeichen des Niedergangs der Seemacht sehen, die über Jahrhunderte waffenstarrend die Wellen der Weltmeere beherrschte, muss aber nicht – es handelt sich einfach nur um ein praktisches Boot, das den Gegebenheiten leicht anzupassen ist. Es ist oben komplett offen, aber das Wetter zeigt sich bei aller Kühle nachsichtig, und die Fahrt verläuft ohne Zwischenfälle; die Begleitboote mit den Fotografen, den notwendigen Teilen des Hofstaats und den vermummten Elitepolizisten tuckern für alle Fälle im respektvollen Abstand hinterher.
Nur 17 Minuten auf der Spree
Der Königin dürfte das alles gefallen, sie war in ihrer Regentschaft allem nur erdenklichen Pomp ausgesetzt, sie nimmt das große Getue um ihre öffentlichen Auftritte zwar routiniert und souverän hin, findet aber selbst keinen allzu großen Gefallen mehr daran – es wird sogar überliefert, sie könne es nicht leiden, wenn Unbeteiligte ihretwegen im Stau warten müssten. Schließlich hat sie ihr Weltreich rapide schrumpfen sehen, zahlt längst Steuern wie jeder ihrer Untertanen und musste erleben, wie 1997 wegen Geldknappheit sogar die stolze Yacht „Britannia“ stillgelegt wurde, dieser schwimmende Palast, mit dem sie jahrelang über die Weltmeere gefahren war.
Kranzniederlegung und Queen's Lecture
Kurz nach 12 Uhr, nach nur 17 Minuten Fahrt, ist die Anlegestelle nahe dem Bundeskanzleramt erreicht, die Queen hat wieder Boden unter den Füßen, politischen Boden. Der Bundespräsident springt, sobald die Brücke zum Ufer geschlagen ist, ritterlich voraus, was in dieser Reihenfolge sicher ein Ergebnis umfangreicher Abwägungen des Protokolls ist; ihm folgt die Queen, dann Daniela Schadt, Prinz Philip sichert gentlemanesk den Rückzug.
Während sich aber Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin elegant in die Kulissen entfernt, steigt das Paar die Ufertreppe hinauf, um zum Kanzleramt gefahren zu werden. Dort warten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzleramtsminister Peter Altmaier, die wie ein altgedientes Ehepaar aussehen. Die Kanzlerin nickt knapp zur Begrüßung, ohne die geringste Knicks-Andeutung, das wirkt nicht ehrerbietig, ist eine Geste auf Augenhöhe – man kennt sich ohnehin persönlich. Altmaier zeigt einen wohlerzogenen Diener.
Arbeitsgerät: Handtasche und Blumenstrauß
Das Programm im Amt ist schlicht und knapp, beschränkt auf allenfalls 15 Minuten netto, zu wenig für politische Impulse von Weltgeltung. Merkel hat für die Königin ihr Arbeitszimmer nett gemacht, Altmaier zeigt Prinz Philip den Kabinettssaal. Über den Inhalt der Gespräche wird nichts bekannt, es ist anzunehmen, dass in der Kürze der Zeit mehr als freundlicher Smalltalk ohnehin nicht möglich ist. Dafür gibt es ein Video vom Balkobesuch der Queen mit Merkel.
Mit ihrem Besuch in Berlin soll sie den Boden bereiten für die Botschaften ihres Premiers Cameron. Arbeitsgerät: Handtasche und Blumenstrauß – aber eben auch eine klare persönliche Position. Deshalb ist die Reise nach Deutschland ohne politische Kommuniques auch ein Zeichen heimwärts an die Adresse Camerons, der sich mit seinem stetigen Drängen nach Sonderbehandlung im europäischen Rahmen derzeit keine Freunde macht.
Kunstvoll bescheidener Auftritt
Als nächsten Programmpunkt nach dem Treffen im Kanzleramt hat die Regie die Kranzniederlegung in der Neuen Wache Unter den Linden angesetzt. Die Limousine fährt vor, die Queen lässt sich die Türen öffnen, steigt aus. Drinnen ist alles vorbereitet, zwei Soldaten in vollem Gepränge ordnen den Kranz auf einem Ständer vor der Kollwitz-Bronze des Gefallenen mit seiner Mutter. Dann tritt die Königin vor, zupft mit der Routine vieler Jahrzehnte im Staatsdienst knapp an der Schleife, hält inne, wendet sich dann zum Gehen. Vermutlich mit einem fröhlichen Seufzen, denn das Programm sieht nun eine Pause vor: Rückkehr zum Adlon, ein bisschen Zeit zum Frischmachen vor der „Queen’s Lecture“ in der Technischen Universität. Die findet nun schon im 50. Jahr statt und ist der eigentliche zentrale Programmpunkt des Berlin-Besuchs. Diesmal, zum Jubiläum, mit der Queen persönlich. Und mit der Kanzlerin: Deren Besuch war zunächst nicht vorgesehen, doch dann stürmte sie so überraschend wie entschlossen über den roten Teppich ins Audimax an der Straße des 17. Juni.
Tierschutz und Liberalismus
Dort referierte der von der Kanzlerin geschätzte Neil MacGregor, Direktor des British Museum und designierter Intendant des Humboldt-Forums, mit britischem Humor und passend zu Berlin beispielsweise über Hunde - und zwar in der britischen Porträtmalerei und als Symbol für Menschlichkeit und Liberalität, die auch den Tierschutz miteinbeziehe. Dass sich der eine oder andere Terrier laut MacGregor im britischen Unterhaus wohl fühlen würde, wo sich Abgeordnete - teils zur Belustigung, teils zum Erschrecken ausländischer Beobachter - „offen beschimpften", tue der Sache keinen Abbruch. Weder dem Tierschutz noch dem Liberalismus.Zumal man sich ja nicht direkt angehe, sondern immer auf dem Umweg über den „Speaker“: „Dieser hochehrwürdige Gentleman hier redet völligen Unsinn.“
MacGregor hatte angekündigt, dass es in seiner Queen’s Speech um „pets, plants und politics" gehen würde, um Haustiere, Pflanzen und Politik. Vom Hund zur Grünanlage ist es kein weiter Weg und so sei nicht nur die von der Royal Family bis heute verkörperte Institution der Tierliebe typisch britisch. Auch Schutz und Gestaltung von Natur und Landschaft seien untrennbar verbunden mit dem britischen Kulturideal, englische Parks und Gärten seien weltweit prägend. „Hier konnte man seine Grand Tour, also die große Bildungsreise durch Europa, unternehmen, ohne die Heimat zu verlassen.“ Dass die Nachahmer dabei das Vorbild überholen können, beweist für MacGregor ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt: „Jeder britische Park möchte insgeheim so sein wie Wörlitz.“
Dann wird die Queen sogar noch politisch
Abschluss des Abends: das Staatsbankett im Schloss Bellevue. Guter Rat des TV-Adelsexperten Rolf Seelmann-Eggebert: Man möge dabei die Hand der Queen nur sehr zart drücken – in Anbetracht der Menge, die sie zu drücken habe. Als ob irgendjemand die Hand einer 89-jährigen Regentin unbedacht in den Schraubstock nehmen würde!
Da wird es dann aber sogar noch richtig politisch: In ihrer kurzen Rede beim Bankett (Wortlaut im englischen Original hier) sagt die Queen in für sie ungewöhnlich deutlichen Worten mit Blick auf Europa: "Wir müssen uns vor einer Spaltung in Acht nehmen". David Cameron, der sich zu Hause der Europa-Skeptiker in der eigenen, konservativen Partei erwehren muss und vor einem Referendum zum EU-Austritt steht, hört aufmerksam zu.