Dürre in Deutschland: Hurra, die Spree trocknet aus
Wie lange es dauern wird, bis die Spree austrocknet, ist umstritten. Danach kann die Stadt der Lethargie vollends zu sich selber finden. Eine Glosse.
In ein paar Tagen, das berichtete Berlins Umweltstaatssekretär neulich dem Landesparlament, soll es so weit sein: Die Spree-Talsperren werden kaum noch Wasser in den Fluss leiten können, nach einem halben Jahr Trockenheit sind die Speicher leer. Berlins Schleusen werden den Betrieb einstellen, Schiffe nicht mehr fahren. Wie lange es dann noch dauern wird, bis die Spree ausgetrocknet ist, ist umstritten. Es gilt jedoch – und das wird für die Welthauptstadt der Lethargie eine Herausforderung sein –, diesen Zeitpunkt auf keinen Fall zu verpassen.
Denn er wird der Anfang einer Entwicklung sein, an deren Ende Berlin vollends zu sich selbst gefunden haben wird. Also, liebe Mitbürger, kurz aufwachen, dann aber unbedingt weiterschlafen. Euer Schlaf ist wichtig, nur so kann eure Obrigkeit ihre Visionen in die Tat umsetzen.
Dabei sollte wie folgt vorgegangen werden: In das trockene Flussbett ist eine Autobahn zu bauen. Sie verläuft – parallel zur noch recht neuen, dennoch schon mal kaputtgegangenen A 113 – von Köpenick bis zur Grenze von Treptow und Friedrichshain. Sie muss an der kaputtgegangenen Elsenbrücke enden. Um das Vorhaben im Senat durchzusetzen, verspricht der Bürgermeister der grünen Verkehrssenatorin als Gegenleistung einen Eimer grüne Farbe für ihre Fantasieradwege.
Von der Elsenbrücke bis zum Hauptbahnhof wird – parallel zur U 5 und zur S-Bahn – eine U-Bahn-Linie gebaut. Die ist nötig, um für die Zeit nach Einstellung des S-Bahn-Verkehrs vorzusorgen.
Von dem Geld werden 1000 Flitzebögen für die Polizei gekauft
Obendrüber kommt ein lang gestrecktes, neues Stadtviertel, das in seiner Schönheit dem gerade fertig werdenden zwischen Oberbaum- und Schillingbrücke gleichkommt. Das neue Viertel muss dem Mangel an Vergnügungsflächen in der Stadt entgegenwirken, der sogenannten Vergnügungsnot.
Beim Ausheben der Baugruben fällt die East Side Gallery um, die nächstgelegene Schinkelkirche auch. Das Fundament der zwischen Multiplexkino und Spielothek errichteten Schule darf nicht gegen Grundwasser abgedichtet sein, damit sie so schnell wie möglich so angegammelt ist wie die meisten anderen in der Stadt. Vom Geld aus den Grundstücksverkäufen werden ein neuer Interimsintendant für die Volksbühne und 1000 Flitzebögen für die Polizei bezahlt. Deren Heckler-&-Koch-Pistolen werden auch bis dahin nicht einsatzbereit sein.
Spätestens ab der Jannowitzbrücke, dem Beginn der innersten Innenstadt, ist Prinzipientreue gefragt. Es wird Leute geben, die sich von dort bis nach Charlottenburg „Urbanität“ wünschen, das Wort „Aufenthaltsqualität“ wird fallen. Stattdessen sollten „Begegnungszonen“ eingerichtet werden. Lieber Senat, pflastert sie nicht! Asphaltieren Sie, auf die Art und Weise, der Ihre Hingabe gilt: mit Huckeln und Löchern und Rissen. Kippen Sie am Tiergartenrand Farbe drüber, nehmen Sie den Grünvorrat der Verkehrssenatorin.
Die Verpuffung, zu der es beim feierlichen Angrillen zu Ehren der versehentlich auf die Reichstagswiese gestrichenen Farbe kommt, reißt die Berliner aus dem Schlaf. Sie schauen aus dem Fenster, befinden, dass alles so sei wie immer – und legen sich wieder hin.
Torsten Hampel