Entwicklung der Flüchtlingszahlen in Berlin: Hungerstreik, Besetzung, Flüchtlingszüge
Vor vier Jahren kam täglich eine Handvoll Flüchtlinge. Heime fehlten auch damals, Sorgen bereitete die Besetzung des Oranienplatzes. Inzwischen kommen manchmal bis zu 1000 Asylsuchende pro Tag. Eine Chronik seit 2011.
Die Flüchtlingskrise ist das Thema unser Zeit: Kein Tag, an dem nicht über das Asylrecht, fehlende Unterkünfte, den Arbeitsmarkt oder die Frage nach Kultur und Recht des Landes gesprochen wird. Hier gibt es einen kurzen Überblick, wie sich die Situation in den vergangenen vier Jahren in Berlin entwickelte: von der Oranienplatz-Besetzung in Kreuzberg über die Lageso-Affäre bis hin zur Bildung eines Krisenstabs zur Betreuung der Flüchtlinge.
Dezember 2011
Am Tag kommen oft fünf neue Asylbewerber in Berlin an. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) tritt sein Amt an. Im Nahen Osten gibt es blutige Unruhen, Libyen, Syrien und der Irak drohen zu zerfallen.
September 2012
Bislang kamen meist Roma vom Balkan und Tschetschenen aus Russland, nun viele Nordafrikaner. Am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit melden sich täglich 20 Asylbewerber.
Oktober 2012
Am Oranienplatz errichten Flüchtlinge und Unterstützer ein Zeltlager, um gegen Residenzpflicht und Abschiebungen zu protestieren. Am Brandenburger Tor treten Flüchtlinge in einen Hungerstreik.
Dezember 2012
Flüchtlinge besetzen die Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg. Bezirkschefin Monika Herrmann (Grüne) duldet beide Besetzungen. Das provoziert Streit mit dem SPD-CDU-Senat.
Februar 2013
Senator Czaja sucht Räume. Kaum ein Bezirk meldet Gebäude. Spandau und Lichtenberg bringen viele Flüchtlinge unter, Steglitz-Zehlendorf auffallend wenige.
Juli 2013
In Hellersdorf eskaliert eine Anwohnerversammlung zur Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft in der Carola-Neher-Straße. Angereiste NPD-Mitglieder heizen die Stimmung an.
Oktober 2013
Einige Flüchtlinge verlassen den Oranienplatz. Die Zelte werden aber nicht abgebaut. Andere Flüchtlinge besetzten den Platz weiter.
März 2014
Nach Verhandlungen mit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) werden die Zelte am Oranienplatz abgebaut. Die Hauptmann-Schule bleibt besetzt.
April 2014
In der besetzten Schule ersticht ein Mann aus Gambia einen 29-jährigen Marokkaner. Am nahen Görlitzer Park wird zunehmend mit Drogen gehandelt. Polizisten führen dies auch auf die Bewohner der Schule zurück.
August 2014
Rund 100 muslimische Tschetschenen greifen 30 christliche Syrer in einem Heim in Marienfelde an. Mehrfach schlagen sunnitische Muslime in Berlin säkulare, christliche, schiitische Flüchtlinge.
September 2014
Flüchtlinge besetzen das Haus des DGB. Nach tagelangen Verhandlungen wird geräumt. Das Lageso schließt tageweise wegen Überlastung.
Oktober 2014
50 Männer, Frauen und Kinder kommen pro Tag in Berlin an. Czaja lässt Wohncontainer aufbauen. In einer Turnhalle mit Flüchtlingen brechen Masern aus, die größte Masernwelle seit Jahren beginnt.
November 2014
Lageso-Chef Franz Allert im Verdacht: Sein Patensohn ist für einen Heimbetreiber tätig, mit dem das Amt zweifelhafte Verträge abgeschlossen habe. Gleiches gilt für eine zweite Firma.
Januar 2015
Der Senat belegt erneut Sportstätten mit Flüchtlingen. In Anlehnung an die Dresdner Pegida-Märsche, mit denen vor einer Islamisierung gewarnt werden soll, starten Bärgida-Demos in Berlin.
Februar 2015
In die frühere Lungenklinik in Heckeshorn in Steglitz-Zehlendorf sollen Flüchtlinge ziehen. Am meisten Asylbewerber leben nach wie vor in Spandau, Mitte, Lichtenberg – wie schon 2011.
April 2015
Czaja kündigt an, bis 2017 bis zu 36 Häuser in Modulbauweise mit je rund 200 Plätzen errichten zu lassen: Weil die Häuser dem Land gehörten, sei man unabhängiger von privaten Betreibern.
Mai 2015
Der kritisierte Heimbetreiber Helmuth Penz hat 15 Jahre nicht mit der Presse gesprochen. Nach der Patensohn-Lageso-Affäre erklärt er: Dränge die Zeit, arbeite man eben auf Zuruf, ohne Vertrag.
Juni 2015
Die Wirtschaftsprüfer stellen fest: „Intransparente Verfahren“ gab es bei den meisten Heimbetreibern. Czaja unterstellt die Heime als Extra-Abteilung seinem Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU).
Juli 2015
Bis zu 150 Flüchtlinge am Tag. Vor dem Lageso helfen Freiwillige – ohne sie würden die Behörden kollabieren. Die Bundesbehörde rechnet 2015 bundesweit mit 500 000 Neuankömmlingen.
August 2015
200 Asylbewerber pro Tag in Berlin. In Berlin leben 16 000 Flüchtlinge in Heimen, 2000 in Hostels, 9000 in Wohnungen. Flüchtlinge prügeln sich am Lageso, auch Vorwürfe gegen Sicherheitsleute.
September 2015
In Heimen wird von frauenfeindlicher Gewalt berichtet. Ex-Polizeipräsident Dieter Glietsch soll neuen Krisenstab leiten. Zeltstadt in Spandauer Kaserne.
Oktober 2015
1000 Flüchtlinge kommen am Tag. Ein vierjähriger Junge aus Bosnien verschwindet am Lageso. Ex-Zentralbank wird Erstaufnahmestelle. Bundesweit werden 1,5 Millionen Flüchtlinge erwartet.