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Wichtiges Ehrenamt. Eine Wahlhelferin sortiert Briefwahlstimmen.
© Hauke-Christian Dittrich/picture alliance / dpa
Update

Stadträtin vermutet Impf-Trittbrettfahrer: Hunderte Wahlhelfer in Berlin melden sich wieder ab

Die Corona-Impfung lockte. Kaum hatten Wahlhelfer die Bescheinigung über ihr Ehrenamt, meldeten sie sich ab – allein in drei Bezirken sind es rund 400.

Die Wahlen in diesem Jahr stellen besonders in Berlin die Wahlämter, die für einen reibungslosen Ablauf verantwortlich sind, vor große Herausforderungen. Denn in der Stadt dürfen die Wählerinnen und Wähler am 26. September über die Zusammensetzung des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses sowie der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) entscheiden. Außerdem ist es so gut wie sicher, dass zeitgleich auch der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zur Abstimmung steht.

Von einem „Super-Super-Wahljahr“ spricht die zuständige Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg, Christiane Heiß (Grüne). Da werden jede Menge Freiwillige als Wahlhelfer gebraucht. Allerdings erlebte die Stadträtin in den vergangenen Wochen in dieser Beziehung eine Enttäuschung.

60 Menschen haben in Bezirk Tempelhof-Schöneberg nach Angaben des Bezirksamtes kurz nach oder im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erhalt einer Impfbescheinigung ihre Bereitschaft als Wahlhelfer zurückgezogen.

In Pankow waren es sogar noch mehr. In Berlins bevölkerungsreichstem Bezirk sei "ein bisher nicht gekanntes Aufkommen entsprechender Bewerbungen als Wahlhelfer zu verzeichnen", erklärt Kreiswahlleiterin Christine Ruflett auf Nachfrage. "In Pankow liegen derzeit über 6000 dieser Bewerbungen vor."

Nach Erhalt der Bestätigungsschreiben zur Impfberechtigung ab dem 7. Mai zogen allerdings jede Menge Freiwillige ihre Zusage zurück.

60 Rücknahmen in Tempelhof-Schöneberg, 130 in Pankow

In Pankow "gingen bis zum heutigen Tage 130 Rücknahmen der entsprechenden Bereitschaftserklärungen ein", erklärt Ruflett. "Aussagen über schon erfolgte Impfungen bei diesem Personenkreis können hier nicht getroffen, sondern im besten Fall nur vermutet werden."

Etliche Absagen gehen auch im Wahlamt Friedrichshain-Kreuzberg ein. Dort hatten sich nach Auskunft des Bezirksamtes 10.000 Freiwillige als Wahlhelfende gemeldet. Es sei eine „höhere Bereitschaft erkennbar als bei vorigen Wahlen“, sagt Sara Lühmann, Sprecherin des Bezirksamts. Bislang hätten 180 Wahlhelfende einen Rückzieher gemacht. „Uns stehen zum jetzigen Zeitpunkt ausreichend Wahlhelfende zur Verfügung“, betonte Lühmann.

In Tempelhof-Schöneberg hat man zu den Absagen ein recht eindeutige Vermutung. „Offenbar hat der Vorrang bei den Impfterminen für Wahlhelfende Trittbrettfahrer:innen angelockt, die weder die bevorstehende Mega-Wahl noch die gemeinsame Bewältigung der Pandemie hinreichend ernst nehmen“, sagt Stadträtin Heiß.

„Allein die Bearbeitung dieser Absagen kostet das Wahlamt Zeit und Kraft, die für andere Aufgaben fehlen. Schlimmer wiegt aber das Risiko unzuverlässiger Wahlhelfer, da am Wahltag wirklich jede und jeder Ehrenamtliche zählt.“

Wie Heiß sagt, haben die abtrünnigen Wahlhelfer anscheinend nicht realisiert, welche Verpflichtung dieses Ehrenamt mit sich bringt, wenn man erst einmal zugesagt hat. Ohne einen wichtigen Grund darf man sich der Pflicht dann nämlich nicht mehr entziehen. So sehen es die Wahlgesetze des Landes und des Bundes vor.

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Wichtige Gründe können beispielsweise eine Krankheit, eine Behinderung oder eine dringende berufliche Angelegenheit sein. Das Wahlamt des Bezirks prüft jetzt die Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren. Es können Geldbußen bis zu 500 Euro drohen.

Kein weitverbreitetes Phänomen

Diese Art der Absagen scheinen aber kein weitverbreitetes Phänomen zu sein. Wie der Sprecher der Landeswahlleitung, Geert Baasen, sagte, sind ihm derartige Rückmeldungen aus anderen Bezirken nicht bekannt. Natürlich gebe es immer wieder Absagen, wenn jemand beispielsweise verzogen sei. "Ich habe das Gefühl, dass die Leute diese Aufgabe ernst nehmen", sagt Baasen.

Auch in anderen Bezirken haben sich Wahlhelfer abgemeldet. Aus Steglitz-Zehlendorf hieß es, dass bei den bislang 20 Abmeldungen kein erkennbarer Zusammenhang mit der Impfbescheinigung bestehe. „Es wurden jeweils individuelle Begründungen angegeben, weshalb eine Tätigkeit als Wahlhelfende doch nicht möglich ist“, sagte Stadtrat Michael Karnetzki (SPD).

Seit in Berlin die Impfpriorisierung aufgehoben wurde, müssen die künftigen Wahlhelfer, die noch keine Impfung hatten, sich ebenso wie alle anderen Impfwilligen auf Wartelisten bei den Hausärzten setzen lassen oder ihr Glück bei der zentralen Nummer für die Impfzentren probieren.

Allerdings soll im Juli spezielle Möglichkeiten für noch ungeimpfte Wahlhelfer geben; über die Modalitäten will die Landeswahlleitung ab Mitte Juni informieren.

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In den meisten Bezirken werden auch keine einfachen Wahlhelfer mehr gesucht. Allerdings fehlen noch Menschen für die verantwortungsvolleren Tätigkeiten im Wahlvorstand, also Vorsteher und Schriftführer. Insgesamt sei die Resonanz gut gewesen; die Bezirke hätten zeitig geworben und beispielsweise rund 60.000 Erstwähler angeschrieben.

Wegen der drei Wahlen und des Volksentscheids werden in diesem Jahr auch viel mehr Wahlhelfer gesucht.

Während bei der Bundestagswahl 2017 rund 20.000 Wahlhelfer im Einsatz waren, werden jetzt 34.000 Menschen für diese Aufgaben benötigt. Auch die Zahl der Wahllokale wurde stark erhöht - von 1779 auf 2257. Die Zahl der Briefwahllokale wurde von 653 auf 1507 sogar mehr als verdoppelt.

"Wir haben uns an den Erfahrungen anderer Bundesländer orientiert", sagt Baasen. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wurden in diesem März die Landtage unter Pandemiebedingungen gewählt.

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