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Demonstranten protestieren in Berlin gegen das Verhalten der FDP bei der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten von Thüringen.
© Carsten Koall/dpa

„Wer hat uns verraten?“: Hunderte demonstrieren vor FDP-Zentrale gegen Thüringen-Wahl

Die Wahl eines FDP-Regierungschefs in Thüringen mithilfe der AfD führt in Berlin zu Protesten: Mehr als Tausend Menschen kamen vor die Parteizentrale..

Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Thüringer Ministerpräsident, haben sich mehr als 1000 Menschen zu einer spontanen Demonstration vor der Berliner FDP-Parteizentrale in Mitte versammelt. Das sagten sowohl Veranstalter als auch die Berliner Polizei. Sie protestieren gegen die Wahl Kemmerichs durch Stimmen der AfD. Kemmerich setzte sich am Mittwoch im dritten Wahlgang gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow von den Linken durch und sorgte bei vielen Politikerinnen und Politikern für heftige Reaktionen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration verurteilen, dass CDU und FDP gemeinsame Sache mit „Faschisten“ gemacht hätten. Auch in anderen deutschen Städten, darunter Erfurt, Köln, Hamburg und München, wurde am Mittwoch demonstriert. Bei der CDU wurden in Berlin laut Polizei etwa 30 Demonstranten gezählt.

„Wer hat uns verraten?“ - „Freie Demokraten!“ - „Und wer lässt es zu?“ - „Die CDU!“

Es ist 16.50 Uhr als sich etwa hundert Personen vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus in der Reinhardtstraße versammeln, hauptsächlich junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Zu Beginn herrschte unter ihnen kurzzeitig Verwirrung, da zunächst zwei unterschiedliche Uhrzeiten angekündigt worden waren. „Ab 18 Uhr müssten nochmal mehr kommen“, sagt ein Demonstrant. Die Polizei ist mit mehreren Mannschaftswagen vor Ort und positioniert die Teilnehmenden vor einem Schönheitssalon an der Straßenecke.

Gegen 18 Uhr schlossen sich immer mehr Gruppen dem Aufruf an. Die gesamte Straßenseite füllte sich mit Demonstrierenden, die Parolen wie „Wer lässt sich mit Nazis ein? FDP - Scheißverein“ oder „Ganz Berlin hasst die FDP“ gegen die Kälte anschrien. Vertreter von Verdi, Antifa, den Grünen, der Seebrücke Berlin und der SPD sind vor Ort und schwenken Fahnen. Demonstrierende verteilen Zettel auf denen steht: „Shame on You“ und „Nie wieder“.

Die Sprechchöre werden immer lauter, der Gesang gibt die Stimmung wider: „Wer hat uns verraten?“ - „Freie Demokraten!“ und „Und wer lässt es zu?“ „Die CDU!“.

„Ich bin unglaublich enttäuscht von der FDP“

Einer der Demonstrierenden ist Bodo Quart. Eigentlich wollte er nur einen Nachmittagsschlaf einlegen, es war 16 Uhr und Quart ist 81 Jahre alt. Dann bekam er eine E-Mail. Die Linkspartei rief zur Demo auf, und Quart, seit Jahren Mitglied, verschob sein Schläfchen, lief zur S-Bahn-Station und fuhr von Biesdorf zur Friedrichsstraße. Jetzt steht er inmitten einer skandierenden Menge, er trägt eine Fellmütze und stützt sich auf einen knorrigen Gehstock. „Man muss sich politisch einordnen“, sagt Quart.

Die Demonstrierenden halten ein Banner mit der Aufschrift: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD“
Die Demonstrierenden halten ein Banner mit der Aufschrift: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD“
© REUTERS

Neben ihm steht Ginga Eichler. Sie ist 74 Jahre alt. Als Eichler von der Wahl erfuhr, nahm sie ihren Kalender von der Wand, riss die Pappe herunter und schrieb mit dickem Edding darauf: „Pfui FDP! Schämt euch! Welch unselige deutsche Tradition.“ Nun stößt sie das Plakat rhythmisch in die Höhe und steigt in den Sprechchor ein. „Ich bin unglaublich enttäuscht von der FDP“, sagt sie. Wenn es nach ihr geht, sollen die Wahlen wiederholt werden. „Ich hoffe, dass das ein juristisches Nachspiel hat.“

Eichler und Quart sind eigentlich nicht mehr in einem Alter, um noch bei Eiseskälte zu demonstrieren. „Aber gerade deswegen sind wir da“, sagt Eichler. „Ich will verhindern, dass wieder eine faschistische Regierung an die Macht kommt“, sagt Quart. Er war sechs als der Krieg endete, dann jahrelang Frieden. Doch jetzt, so sieht es Quart, sei die Gefahr wieder groß. Was er mit der Demo erreichen will? „Die Machthaber sollen nachdenken, wie das Volk denkt“, sagt Quart.

Die Reinhardtstraße ist mittlerweile verstopft. Die Polizei hat sie kurz vor dem Friedrichstadtpalast abgesperrt. Währenddessen rückt die Menge weiter auf die Straße, näher zur Zentrale. Die Polizei hat sich zum Eingang zurückgezogen und schirmt mit einem Mannschaftswagen den Bereich ab. Zwischenfälle gab es nach Auskunft eines Polizeisprechers zunächst nicht. (mit dpa)

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