Trotz Coronavirus-Regeln: Hunderte bei Demonstrationen am 1. Mai in Berlin
Partystimmung in Kreuzberg, Festnahmen am Rosa-Luxemburg-Platz: Der Tag der Arbeit in Berlin blieb weitgehend friedlich. Nur beim Infektionsschutz haperte es.
Die Berliner Polizei hatte alles im Griff – jedenfalls beim Verhindern nicht erlaubter Demonstrationen. Bis zum frühen Abend blieb der 1. Mai weitgehend ruhig und friedlich.
Es gab 27 Demonstrationen, die genehmigt waren, nach der Corona-Eindämmungsverordnung mit maximal 20 Teilnehmern und bei Wahrung des Mindestabstands von 1,5 Metern. Dennoch hatte die Polizei aufgerüstet.
5000 Beamte, darunter 1400 aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei, waren im Einsatz. Das sind nur wenige Hundert weniger als an einem üblichen 1. Mai in den Vorjahren ohne die Corona-Beschränkungen.
Wenige Demonstrationen, keine Feste, ein ruhiger 1. Mai – warum also dieser Aufwand? Die linke Szene hatte dezentrale Aktionen in Friedrichshain-Kreuzberg angekündigt, die Polizei rechnete mit Gewaltattacken und einem Katz-und-Maus-Spiel.
Angriff auf Kamerateam des ZDF
Doch am frühen Abend stand Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) in der Kruppstraße, wo die Bereitschaftspolizei einen Dienstsitz hat, und berichtete über den bis dahin schwersten Vorfall: Ein Dutzend Vermummte hat am Nachmittag am Hackeschen Markt ein Kamerateam der ZDF-„heute show“ angegriffen. Fünf Mitarbeiter wurden verletzt, vier so schwer, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Die Polizei nahm fünf Männer und eine Frau fest. Das Team war nach Dreharbeiten auf dem Weg zu seinen Fahrzeugen gewesen, als es angegriffen wurde. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler verurteilte den Angriff: „Die Pressefreiheit ist – gerade in diesen Tagen – ein hohes Gut.“
Gleich in der Nähe, auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, wollten Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Linke und Impfgegner rund um die sogenannte „Hygiene“-Demonstration gegen die Eindämmungsmaßnahmen trotz Verbots aufmarschieren.
80 Freiheitsbeschränkungen bei „Hygiene“-Demo
Der Platz vor der Volksbühne war von der Polizei mit Gittern abgesperrt worden. Sie begann direkt am Nachmittag, die Menschen auf der Rosa-Luxemburg-Straße über Lautsprecher zum Gehen aufzufordern, vereinzelt wurden Menschen von Beamten hinter die Absperrungen geführt.
Hinter den Polizeisperren versammelten sich zahlreiche weitere Anhänger der „Hygiene“-Demo. Laut Geisel waren es etwa 300. Wer der mehrfachen Aufforderung der Polizei, die Abstandsregeln einzuhalten und sich zu entfernen, nicht nachkam, wurde kurzzeitig festgenommen und musste eine Identitätsfeststellung hinnehmen – wegen Verstößen gegen die Eindämmungsverordnung.
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Geisel sprach später von „80 Freiheitsbeschränkungen“. Einen erneuten Auflauf dort mit bis zu 1000 Menschen, wie an den vergangenen Wochenenden, wollte die Polizei verhindern. Oberstes Ziel sei es gewesen, keinen Infektionsherd zuzulassen.
Ebenfalls am Nachmittag hielt die linke Szene einen Autokorso mit zehn bunt geschmückten Fahrzeugen durch das Villenviertel in Grunewald ab. Am Abend sollte es dann in Kreuzberg weitergehen.
Zu den dezentralen Aktionen rund um Oranienplatz, Heinrichplatz, Kottbuser Tor und Görlitzer Park, zu denen die linke Szene mobil gemacht hatte, kamen zunächst etwa tausend Menschen.
Auch dort setzte die Polizei auf massive Präsenz, weiträumige Absperrungen und entschiedenes Einschreiten gegen Ansammlungen. Auch aus der Luft beobachtete sie das Geschehen: Bewegten sich die Masse oder Grüppchen, sperrten Beamten davor die Straßen ab.
Ein paar Böller - viel mehr passierte nicht
Die Guerilla-Taktik der linken Szene ging deshalb nicht auf, die Polizei war stets schneller. Ein paar Böller, viele Menschen, einige unvermummt, ein paar Festnahmen – viel mehr passierte nicht. Vorsorglich riegelten Polizisten die Brücken über die Spree nach Friedrichshain ab, um Ansammlungen rund um die Rigaer Straße zu verhindern.
Später gab es an der Manteuffel- Ecke Skalitzer Straße Rangeleien. Bis zum Abend blieb es sonst weitgehend ruhig.
Zwar kam es nicht zu den nicht erlaubten Demonstrationen, dennoch waren Tausende Menschen in Kreuzberg unterwegs, teils durch die Absperrungen dicht gedrängt, ohne Abstand, bei weitem nicht alle mit Maske, viele Bier trinkend, Partystimmung.
Klares Statement gegen Infektionsschutz
„Die geballte Unvernunft, das ärgert mich“, sagte Innensenator Geisel. „Der Tag hat auf der einen Seite gezeigt, wie die Meinung aktuell auf die Straße gebracht und wie Versammlungen verantwortungsbewusst durchgeführt werden können“, sagte die Polizeipräsidentin Barbara Slowik am späten Abend.
„Auf der anderen Seite haben wir die Situation in Kreuzberg. Die Personen, die sich dort zu einer größeren Demonstration formieren wollten, haben ein klares Statement gegen den Infektionsschutz, gegen den Schutz anderer gesetzt, unverantwortlich gehandelt.“
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Unerlaubte Demonstrationen seien von der Polizei verhindert worden. „Wir waren immer wieder gefordert, zu verhindern, dass sich Hunderte zusammenfinden und damit ein Super-Spreading-Event veranstalten.“
Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Anwohnerin, sagte: „Stand 19.20 Uhr ist das ein durchgängig friedlicher 1. Mai. Kreuzberg ist wieder fest in der Hand von Anwohnern. Ich muss gestehen, ich war in den letzten Jahren zusehends genervt von Müllvolumen und Partytourismus. Es ging kaum um politische Demonstrationen.“ Die deeskalative Strategie habe gewirkt.
Infektionssicherer Protest nur eingeschränkt möglich
So war es auch schon in der Walpurgisnacht. Es ist das traditionelle Warmlaufen der linken Szene für den 1. Mai: Proteste in Wedding und Friedrichshain waren angekündigt, dezentral und angeblich „infektionssicher“. Die Nacht auf den 1. Mai verlief weitgehend friedlich.
Statt der kleinen kreativen Aktionen kamen am Donnerstagabend vor den üblichen Hotspots der linken Szene – am Boxhagener Platz und in der Rigaer Straße – größere Gruppen zusammen, eine echte Demo gab es nicht. Die Polizei schritt schnell gegen größere Versammlungen ein. Nicht immer gelang es wie am Boxhagener Platz, größere Menschenansammlungen zu verhindern.
Der 1. Mai und die Walpurgisnacht zeigten, dass der von beiden Seiten angestrebte infektionssichere Protest in der Praxis nur eingeschränkt möglich ist.