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Bellt manchmal: Ein Hund. Davon gibt es fast 150.000 in Berlin.
© picture alliance / dpa

Berlin bellt (1): Hundeführerschein in Berlin: Hang zum Leinenzwang

Berlin will den Hundeführerschein, andere Bundesländer haben ihn längst. Man puzzelt noch an Fragen: Nachweispflicht für die ganze Familie? Test auch für kleine Rassen? Und: Wie gut müssen Prüfer sein?

Der Hamburger Hundetrainer Bernd Grabau freut sich über die neuesten Nachrichten aus der Berliner Hundeszene. Dass voraussichtlich auch Hundehalter in der Hauptstadt bald einen „Hundeführerschein“ machen müssen, wenn sie ihre Lieblinge frei laufen lassen wollen, findet er „ganz prima“. Grabau weiß, warum Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist. In seiner Hundeschule in der Hansestadt bringt er seit sechs Jahren Menschen bei, wie sie ihr Haustier konsequent erziehen und unter Kontrolle behalten. Seit einiger Zeit wird sein Kundenkreis immer größer.

Seit 2007 müssen Hunde in Hamburg generell an der Leine laufen, es sei denn, sie haben mit ihren Besitzern eine Hundeschule besucht und eine Gehorsamkeitsprüfung bestanden. Dann bekommen sie den begehrten gelben Ausweis, die Befreiung von der Leinenpflicht, kurz: den Hundeführerschein. Auf ähnliche Weise will auch Berlins Senat die Hundehalter künftig mehr „in die Verantwortung nehmen“. Die Zahl der Bissattacken und Vorfälle, bei denen Hunde Passanten aggressiv anspringen, hat sich zwar in Berlin seit 2000 in etwa halbiert, 2011 waren es noch 711 Fälle – aber die rot-schwarze Koalition, Tierschützer sowie etliche Hundehalterverbände wollen dennoch „den moralisch-öffentlichen Druck verstärken“, so ein Sprecher des Tierschutzvereines. Das Problem sieht er eher am oberen Ende der Leine. Man müsse mehr Halter dazu bewegen, sich intensiv mit ihrem Hund zu beschäftigen – auch im Sinne des Tierschutzes. „Schließlich ist ein unerzogenes Tier nicht nur gefährlich für seine Umgebung, sondern bringt sich selbst in Not, wenn es etwa auf die Straße rennt.“

Bildergalerie: Die schlauesten Hunde

Letztlich gehe es bei der angestrebten neuen Regelung „um ein besseres Zusammenleben von Menschen mit und ohne Hund“, sagt Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), politisch zuständig für die 108 299 angemeldeten plus 40 000 Dunkelzifferhunde in Berlin. Heilmann will auf dem Weg zu einem überarbeiteten Hundegesetz, zu dem auch der Führerschein gehören soll, aber erst einmal einen Meinungsaustausch rund um den Hund anstoßen. Ein „bürgernahes Verfahren“ mit Foren und Kommissionen. Er nennt das „Bello-Dialog“.

Ein erstes Konzept für den Hundeführerschein haben Berliner Amtsveterinäre im Herbst 2011 erarbeitet. Dazu gehört nach Hamburger Vorbild die generelle Leinenpflicht, von der man sich und Bello durch die Gehorsamkeitsprüfung befreien kann. Es sind aber noch viele Fragen offen. Soll die Regelung für Hunde aller Größen gelten – vom Chihuahua bis zur Dogge – oder nur für Rassen ab mittlerer Schulterhöhe? Soll man Halter, die ihr Tier schon längere Zeit besitzen, von den Auflagen befreien? Und wie geht man mit Familien um? Muss jedes einzelne Mitglied die Prüfung mit dem Hund absolvieren oder reicht ein einzelner Durchgang eines Verantwortlichen? Wie werden die Prüfer zertifiziert, mit welchen Kosten müssen die Halter rechnen, und ist eine effektive Kontrolle überhaupt möglich? Die Streifen der Berliner Ordnungsämter sind ja schon mit der Ahndung der Tretminensünder völlig überfordert.

Video: Besuch bei einer Hundetrainerin

Der Hundeführerschein hat sich in Hamburg bewährt

„Nur nicht in allzu viel Bürokratie verheddern“, warnen Skeptiker. Umso aufmerksamer schauen sie auf die Hamburger Erfahrungen sowie nach Niedersachsen, dessen 2011 verabschiedetes Hundegesetz einen Hundeführerschein vorsieht. Allerdings tritt diese Neuregelung erst ab März 2013 in Kraft, und sie ist nicht mit der Leinenpflicht verbandelt: Wer sich in Niedersachsen künftig einen Hund anschafft, muss auf jeden Fall die Prüfung bestehen – auch falls er das Tier gar nicht von der Strippe lassen will. Kleine Hunde haben in beiden Ländern keinen Freibrief als Freigänger, weil mancher Dackel oder Terrier eben rascher zubeißt als ein Retriever. Das beweist auch die Berliner Bissstatistik. Nur alte und kranke Hunde sind ausgenommen.

Ansonsten ist Hamburg noch etwas strenger als das zweitgrößte deutsche Bundesland: An der Elbe müssen auch langjährige Hundehalter zum Prüfer, in Niedersachsen sind Halter befreit, die seit zwei Jahren ein Tier besitzen, das nicht auffällig geworden ist. Und in Hamburg gilt der Schein für den jeweiligen Erwerber. Nur er darf den Hund, den er vorgeführt hat, von der Leine lassen. Es sei denn, die ganze Familie hat den Test abgelegt. Den Gesetzgebern in Hannover reicht ein Führerschein für die Familie. Nur einer muss ihn erwerben, Mutter oder Vater tragen die Verantwortung für alle Gassigeher.

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Wer zur Prüfung will, muss zuvor in beiden Ländern nachweisen, dass sein Hund versichert ist und einen implantierten Mikrochip mit den Angaben zum Besitzer unter der Haut trägt. Bei den Prüfungen geht es auf Bürgersteigen, vor U-Bahnhöfen oder Kitas quer durchs Hundeknigge. Sitz! Platz! Bleib! Steh! Komm! Nicht auf entgegenkommende Passanten, Jogger oder Radler zuspringen, in einer Menschengruppe bei Fuß bleiben, nur auf Kommando über die Straße laufen. Auch die sogenannte Leinenführigkeit wird getestet: Ein Tier, das zerrt, bekommt Minuspunkte.

Bei all dem achten die Prüfer auch auf das Wesen des Hundes und die Art, wie die Halter mit ihm umgehen. Auch die Menschen werden benotet. Wer übertrieben hart kommandiert, kann durchfallen. Um all das zu trainieren, sollte ein Benimmkurs in einer Hundeschule mindestens 20 bis 30 Stunden umfassen. Kosten: 300 bis 400 Euro inklusive Prüfgebühr. Die Prüfer brauchen in beiden Ländern ein Zertifikat. Sie müssen ihre Qualifikation vor Amtsveterinären nachweisen.

Der Hundeführerschein hat sich in Hamburg offenbar gut bewährt. Bis Ende 2011wurden 22 500 Scheine ausgestellt, knapp die Hälfte aller Halter hat Schulungen besucht. Ein Anteil, von dem Berlin Schätzungen zufolge noch weit entfernt ist. Der gesetzliche Druck brachte viel in Bewegung, obwohl Hamburgs Ordnungshüter genauso wenig kontrollieren wie ihre Berliner Kollegen. „Hier ist der Hundeverstand so verbreitet wie noch nie“, sagen Hundetrainer an der Elbe. Dennoch hält Hamburg – im Gegensatz zu Berlin – an der umstrittenen Rasseliste für gefährliche Kampfhunde fest (siehe Kasten).

Kritik am Hundeführerschein? „Es gibt in Hamburg eine Inflation neuer Hundeschulen, darunter sind unqualifizierte, die nur schnelles Geld machen wollen“, sagen Szenekenner. Und: Die Prüfungen seien nur Momentaufnahmen. Hunde vergessen rasch. „Wer nicht ständig übt, ist bald wieder mit einem Raudi unterwegs.“

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