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Craftbier liegt im Trend - und wird völlig überschätzt.
© picture alliance / dpa

Craftbier-Hype: Hört auf mit dem Gepansche!

Es ist völlig überteuert und schmeckt nach Seife. Das Schlimmste an Craftbier aber ist der Hype – und Berlin fällt darauf rein. Ein Wutausbruch.

Es ist der vielleicht schlimmste Auswuchs der Gentrifizierung. Es folgt dem Geld in immer mehr Kieze. Breitet sich wie Schimmel aus in den Kneipen der Stadt: Craftbier.

Mir ist klar, dass man über Geschmack nicht zu streiten braucht. Es gibt ja auch Leute, die mögen Salbeitee oder Rosé, und ich würde sie trotzdem nicht dafür verurteilen. Was Craftbier – vom Geschmack abgesehen – so unerträglich macht, ist der Hype. Das Selbstverständnis von hippen Brauern, die sich als Szene, als Bewegung, Revolutionäre verstehen. Und das Heer von Hipstern, das einer großen Marketinglüge auch noch zum Siegeszug verhilft. Allein in Berlin-Brandenburg sind in den vergangenen zehn Jahren laut statistischem Bundesamt rund 30 neue Brauereien entstanden.

Der Kaiser Craftbier ist nackt

Soll von mir aus jeder trinken, was er will, aber belehrt mich nicht über die angeblichen Vorzüge von Craftbier und um wie viel es die deutsche Bierkultur bereichert habe. Wäre Bier ein Kaiser, müsste man sagen, Craftbier ist nackt.

Craftbier kommt natürlich aus den USA und bedeutet so viel wie „handwerklich hergestelltes Bier“. Jeder, der in den Staaten mal ein Bier der großen Marken wie Bud Lite oder Miller getrunken hat, ahnt, dass Craftbier dort eine Art Notwehr war. Hobby-Brauer taten sich zusammen und erweiterten den traditions- wie geschmacklosen und von Großkonzernen dominierten US-Markt um eigenständige Sorten. Daher der Mythos.

In Deutschland bedarf es dieser Notwehr nicht. Im Gegenteil. Das beginnt schon damit, was die Amis unter „handwerklich“ verstehen. Die Brewers Association legt als Kriterium unter anderem an, dass eine Craftbier-Brauerei nicht mehr als zehn Millionen Hektoliter pro Jahr produzieren darf. Zum Vergleich: Selbst Oettinger produzierte im vergangenen Jahr nur 8,48 Millionen Hektoliter. Demnach könnte praktisch jede der 1400 Brauereien in Deutschland von sich behaupten, Craftbier zu produzieren.

Größenwahn mit Seifen-Geschmack

Tatsächlich brauen gerade die Berliner Craftbier-Anbieter viel, viel kleinere Mengen. Das macht sie auch noch teuer. Woher die jungen Brauer aber den Größenwahn nehmen, zu glauben, ausgerechnet ihre Kombination aus Hopfen, Malz, Gerste und Wasser füge den rund 6000 verschiedenen Biersorten, die es in Deutschland gibt und die teils über Jahrhunderte erprobt und verfeinert wurden, etwas Einzigartiges, Großartiges hinzu, erschließt sich mir nicht.

Dass es mit dem Handwerk (Ausnahmen soll es geben!) nicht so weit her ist, sieht man an zweierlei. Erstens: am Trend, einigen Kreationen Früchte, Kräuter, Gewürze oder andere Zutaten beizumischen, die dem Reinheitsgebot zuwiderlaufen, um Geschmack ins Bier zu kriegen. Zweitens: daran, dass die Mehrheit der Craftbiere IPAs sind, „India Pale Ales“. Die schmecken zwar aufgrund ihres hohen Hopfenanteils nach Seife, was man mögen muss, sind aber mit wenig Aufwand zu brauen, weil sie zu den obergärigen Bieren gehören. Sprich: Da können auch Anfänger einfach mal was zusammenpanschen. Hauptsache, Craftbier draufschreiben, dann geht der halbe Liter auch für 8 Euro übern Tresen.

Korrekturhinweis: Unser Autor verachtet Craftbier so sehr, dass er vor Wut ober- mit untergärig verwechselt hat. Der Fehler wurde korrigiert.

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