Blitzer-Bilanz und neue StVO: Höhere Bußgelder bringen Berlin viele Millionen Euro
Eine verschärfte Straßenverkehrsordnung, neue Blitzgeräte: Tempo- und Parkverstöße werden für Autofahrer teurer. Die Landeskasse profitiert, doch Personal fehlt.
Vermutlich noch im April tritt die neue Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft – freuen wird das vor allem den Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD). Die Einnahmen aus Buß- und Verwarnungsgeldern werden sich drastisch erhöhen, eine Verdoppelung erscheint möglich. Im Jahr 2019 hat die Bußgeldstelle genau 4.349.247 Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeitet, dies brachte Einnahmen von 88.667.965 Euro - also fast 90 Millionen.
Bundeskabinett und Bundesrat haben nun einer deutlichen Verschärfung zugestimmt. Das Bußgeld für Halten in zweiter Reihe vervierfacht sich fast, nämlich von 15 auf 55 Euro. Deutlich teurer wird auch das Halten und Parken auf Geh- und Radwegen: Statt ab 15 Euro sind künftig bis zu 100 Euro fällig. Gut 3,1 Millionen „Verstöße im ruhenden Verkehr“ gab es 2019, das sind etwa drei Viertel aller Verkehrsordnungswidrigkeiten. Hier wird mindestens eine Verdoppelung der Einnahmen erwartet.
Das letzte Viertel sind Geldbußen und Verwarnungsgelder für Temposünder, sie brachten 2019 mehr als 19 Millionen Euro in die Kasse. Die Geldbußen verdoppeln sich mit der neuen StVO, allerdings nur in den unteren Kategorien (bis 20 Kilometer pro Stunde zu schnell). Statt wie bisher 15, 25 oder 35 Euro werden 30, 50 oder 70 Euro fällig. Größere Überschreitungen werden nicht teurer, hier gibt es künftig zwei Punkte statt einem in Flensburg.
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Die Strafen für Raser, die mehr als 31 Kilometer pro Stunde zu schnell sind, erhöhen sich nicht. Das Polizeipräsidium hat gerade in der Unfallbilanz für 2019 die "Spitzenreiter" veröffentlicht. Auf der Autobahn A100 in Höhe Seestraße wurde ein Pkw mit Tempo 208 geblitzt, erlaubt ist dort 80. Negativrekord auf Stadtstraßen war ein Pkw mit Tempo 157 auf dem Adlergestell, erlaubt ist dort 50. Und in der 30er-Zone am Tempelhofer Damm wurde ein Auto mit 107 km/h gemessen.
Da die große Mehrzahl der Verstöße aber im unteren Bereich liegen, kann man fast von einer Verdoppelung der Tempo-Bußgelder ausgehen.
Polizei rüstet bei den Blitzern auf
Zudem rüstet die Polizei derzeit intensiv bei der Überwachungstechnik nach. Schon von 2018 auf 2019 stieg die Zahl der geahndeten Tempoverstöße um fast 40 Prozent auf 1,15 Millionen. Und diese Zahl dürfte weiter steigen. Viele Verstöße könnten ab diesem Jahr in zwei Straßentunneln dokumentiert werden. In Kürze sollen so genannte Schwarzblitzer im Tiergarten- und im Flughafentunnel scharf geschaltet werden. Wie ein leitender Beamter im Präsidium sagte, löst die Anlage im Tunnel Tegel täglich bis zu 5000 Mal aus - allerdings ist die Anlage noch in der Testphase. Aufs Jahr hochgerechnet wären das zwei Millionen Verstöße.
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Die Kosten der neuen Technik sind gering im Vergleich zu den Einnahmen. Für den Tiergartentunnel nennt die Innenverwaltung knapp eine Million Euro, die Anlage im Flughafentunnel kostete nicht einmal 100.000 Euro.
Derzeit ist der Tempoblitzer an der A111 kurz vor der Stadtgrenze der größte Geldbringer. Das 2018 installierte Gerät löste im vergangenen Jahr fast 226 000 Mal aus. Das ist noch deutlich mehr als der bisherige Spitzenreiter, der Schwarzblitzer im Tunnel Ortskern Britz. 2019 wurden dort 93.000 Verstöße geahndet.
Berliner Autofahrer sind bis heute nicht lernfähig
Diese Zahl zeigt aber noch etwas: Berliner Autofahrer sind wirklich nicht lernfähig. Bei Inbetriebnahme des Geräts 2010 hatten viele geglaubt, dass die Zahl der erwischten Autofahrer rasch sinken werde, wenn sich die Anlage herumgesprochen habe. Als im ersten kompletten Jahr (2011) fast 150.000 Autofahrer geblitzt wurden, also mehr als in den ersten Monaten 2011, urteilte das Polizeipräsidium: „Autofahrer sind nicht lernfähig.“
Seitdem werden recht konstant um die 100.000 Autos im Jahr geblitzt. Die technisch komplizierte und deshalb teure Anlage im Britzer Tunnel hatte ihre Kosten von 1,4 Millionen Euro bereits in den ersten sieben Betriebsmonaten 2010 eingespielt, seit Anfang 2011 verdient sie Geld. Auf Platz 3 der stationären Blitzer ist die neue Anlage am Adlergestell Ecke Otto-Franke-Straße in Treptow mit 62.000 Überschreitungen – sehr viel für eine Stadtstraße.
Noch vor zehn Jahren war ein Antrag der Grünen für mehr stationäre Geräte von allen anderen Parteien abgelehnt worden. Mittlerweile hat sich die Lage angesichts des auch von Innensenator Andreas Geisel (SPD) beklagten aggressiveren Straßenverkehrs völlig gewandelt. Im August 2019 hatte das Abgeordnetenhaus einen Antrag für mehr stationäre und mobile Blitzer an Unfallschwerpunkten und vor sozialen Einrichtungen mit großer Mehrheit beschlossen. Mittlerweile gibt es 31 stationäre Blitzer, 24 davon erfassen auch Rotlichtverstöße. Darüber hinaus werden 21 Radarfahrzeuge, 23 Videofahrzeuge und 55 Handlasermessgeräte eingesetzt – und seit letztem Jahr auch zwei Blitzer-Anhänger.
Erfolgreiche Anhänger: Auf der Autobahn blitzte es jede Minute
Ein Test mit ihnen war überaus erfolgreich. In zusammengenommen 11.440 Betriebsstunden wurden 197.732 Verstöße beweissicher erfasst und fotografiert. 11.440 Stunden sind 477 Tage, die beiden Anhänger waren also nahezu rund um die Uhr aktiv. Von Mitte Januar bis Mitte Oktober hatte sich das Land die Geräte zunächst vom Hersteller geliehen, mittlerweile gehören sie der Berliner Polizei.
Meist waren die ebenso unauffälligen wie robusten vollautomatisch arbeitenden Anhänger einen oder mehrere Tage an einem Standort. Im Schnitt erfassten sie 17 Verstöße pro Stunde, wobei die Ergebnisse extrem unterschiedlich waren. Am Senftenberger Ring im Märkischen Viertel waren es in 18 Stunden nur 17. Auf der A100, wo die Anhänger öfters standen, waren es dagegen 80 pro Stunde - mehr als ein Blitz pro Minute. "In den Jahren 2020 und 2021 sollen jeweils zwei weitere Geschwindigkeitsmessanhänger beschafft werden", teilte die Innenverwaltung jetzt dem grünen Abgeordneten Harald Moritz mit. Kosten pro Stück: 120.000 Euro.
Bußgeldstelle könnte bald wegen der Knöllchen überlastet sein
Polizeiintern wird mittlerweile gewarnt, dass die Bußgeldstelle angesichts der zu erwartenden Knöllchen-Schwemme überlastet sein wird. So müssen die Blitzerfotos einzeln gesichtet werden, ob sie verwertbar sind. Es müsse zusätzliches Personal eingestellt werden, sagt ein hochrangiger Beamter.
So erfolgreich die Polizei bei Tempokontrollen ist, bei der Ahndung von Rotlichtverstößen gibt es Nachholbedarf. Mehrere Anlagen sind aus unterschiedlichen Gründen nicht in Betrieb. Der Landeskasse entgeht dadurch auch viel Geld. Die Zahl der geblitzten Rotfahrer sank von 2018 auf 2019 von 42.000 auf 26.000. Für den Finanzsenator sind das knapp zwei Millionen weniger. Denn ein "einfacher" Verstoß kostet 90 Euro. Bis zu 360 Euro sind für den "qualifizierten" fällig, also wenn eine Ampel länger als eine Sekunde Rot zeigte. Der Anteil der qualifizierten Verstöße sank von 10.000 auf 6000. Nur ganz kleines Geld brachten übrigens Fußgänger in die Kasse. Lediglich 302 mussten zahlen, weil sie bei Rot über die Ampel gegangen waren.