Gamescom in Köln: Hier wird die Katastrophe einmal durchgespielt
Kein Baller-, sondern ein Rettungsspiel: Das ist der Kern von „Emergency 2017“. Der Entwickler sagt: Beliebt ist es bei Feuerwehrleuten.
Essensbuden und Bierstände reihen sich dicht gedrängt. Besucher unterhalten sich, ein Junge setzt sich auf eine freie Bank. Dann schwenkt die Kamera in eine Ecke zwischen zwei Ständen, zoomt heran, ein Mann legt etwas auf den Boden und läuft davon. Wenige Sekunden später die Explosion: Chaos, Tote, Verletzte – der Spieler ist gefragt.
Die Firma sitzt in Potsdam
Die Szene entstammt der Neuauflage des Spiels „Emergency 2017“ der Potsdamer Firma Serious Games Solutions; gezeigt wird es auf der Gamescom, der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltungselektronik wie Computer und Videospiele, die an diesem Mittwoch bis Sonntag in Köln stattfindet.
In der Simulation schlüpft der Spieler in die Rolle eines Einsatzleiters der Feuerwehr, der versuchen muss, die Folgen eines solchen Attentates möglichst gering zu halten. Die meisten Spieler von „Emergency“ seien Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren im Land, sagt der Geschäftsführer von Serious Games Solutions, Ralph Stock. Mit den Simulationen könnte für den Ernstfall trainiert werden. „Tausende Spieler unterstützen den Einsatzleiter in schwierigen Situationen“, sagt Stock. So seien in dem Spiel Szenen aus den Städten Berlin, München, Hamburg und Köln eingebaut. Der Pariser Platz und das Brandenburger Tor kommen darin vor, ebenso der Reichstag und andere Orte in Berlin. Eine Art Vorbereitung für den Ernstfall, sagt Stock selbstbewusst.
Mit den Spielen mit ernsthaftem Hintergrund hat die Firma eine Nische gefunden, die aber zugleich wegen der wachsenden technischen Möglichkeiten immer wichtiger wird. So arbeitet das Unternehmen aktuell an einer VR-Version des Feuerwehrspiels. VR, das heißt: Virtuelle Realität. Der Spieler wird mithilfe einer speziellen Brille quasi in die Spielewelt eingebettet. Das sei durchaus ein interessanter Markt, so Stock. Noch spannender sei aber die Augmented Reality, in der Elemente des Spiels der Realität hinzugefügt werden, etwa über Google Glass, einem vor dem Auge getragenen Minicomputer. Hier könne das noch relativ kleine Unternehmen aber nicht mit den großen Konzernen wie Sony mithalten.
Das Unternehmen hat 23 Mitarbeiter
Rund zwei Millionen Euro hat es in den vergangenen Jahren erwirtschaftet – bei 23 Mitarbeitern. Für ein Spiel wie das aktuell sehr beliebte „Pokémon Go“ oder auch das wesentlich ältere „Angry Birds“ habe er nicht die Kapazitäten, sagt der 47-jährige Stock. Auch sei das Risiko eines Flops zu groß.
1993 wurde Serious Games Solutions in Tübingen gegründet. Neben dem Katastrophenspiel übernehmen die Programmierer auch Auftragsarbeiten für Firmen, unter anderem für Siemens und das Pharmaunternehmen Roche. „Das ist sogar unser Hauptgeschäft“, so Stock. Die Gamescom ist für ihn auch nicht die wichtigste Messe. Bedeutender seien etwa die „Didacta“ in Stuttgart oder die „Laerntec“ in Karlsruhe. So entwickelte der 47-Jährige ein Managertrainingsspiel, über das Führungskräfte in Echtzeit zum Thema Mitarbeiterführung geschult werden. Die dargestellten Angestellten agieren wie unter realen Bedingungen. „Wenn sie schlecht gelaunt sind, ist vielleicht mal wieder ein Mitarbeitergespräch angebracht“, so Stock.
Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Vermittlung von Wissen und Information im Gesundheitsbereich. So engagiert sich das Unternehmen in dem EU-geförderten Projekt „iManageCancer“, das sich vor allem an krebskranke Kinder und Jugendliche richtet. Daran beteiligt sind acht Firmen aus fünf europäischen Ländern. Ziel sei es, dass chronisch kranke Krebspatienten spielerisch ihren Alltag besser managen können – von Hilfen bei der Medikamentenvergabe bis hin zu kleinen Minispielen für das Smartphone, so Stock. „iManageCancer“ ist aktuell noch in der Entwicklungsphase.
Seit 2009 gibt es auch in Babelsberg eine Filiale, im Guido-Seeber-Haus in der Medienstadt. Man habe in der Nähe von Berlin sein wollen und sei schließlich in Potsdam gelandet, sagt Stock. Dennoch gebe es immer wieder Überlegungen, nach Berlin zu ziehen. Es sei schwierig, geeignetes Personal zu überzeugen, in der Landeshauptstadt zu arbeiten. „Es ist für einen 23-Jährigen einfach hipper, in Mitte in einem Loch zu sitzen.“ Der Standort Potsdam stehe aber nicht zur Diskussion.(mit pb)
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Stefan Engelbrecht