Baustellentour durch Berlin: "Hier sind wir weiter als beim Flughafen"
Von der Staatsoper zur Flüchtlingsunterkunft, von Spandau bis Kreuzberg: Berliner Parlamentarier besichtigen markante Baustellen der Hauptstadt. Mitsamt der Erkenntnis: "Mein Gott, habt ihr Kubikmeterpreise."
So mancher kennt die Straßen und Bahnen, die Bauwerke und Sportstätten, die Baupleiten und Siedlungsprojekte nur vom Papier. Dabei sollten Abgeordnete besser aus eigener Anschauung wissen, wovon sie reden und worüber sie entscheiden. Die Mitglieder des Hauptausschusses, in dem es auch um die Finanzen geht, allemal. Deshalb setzten sie sich nun in den Bus und machten sich auf den Weg zu den politischen Brennpunkten der Stadt. Der Tagesspiegel reiste mit.
1. Station: U-Bahnhof Rathaus Spandau
Erfahrungen im Untergrund – im Rathaus Spandau geht das: Denn die Endhaltestelle der U7 ist nicht wirklich das Ende. 500 Meter lang ist der „Vorratsbau“, die Erweiterung der U-Bahn-Röhre unter der Klosterstraße, die bereits in den 1980er Jahren mit dem Bahnhof gebaut wurden. Damals floss das Geld noch reichlich für U-Bahn-Projekte, weil die S-Bahn das Verkehrsmittel des Klassenfeindes in Ost-Berlin war. Am Rathaus Steglitz soll es sogar 2,5 Kilometer solcher Vorratstrassen geben, die eine mögliche Verlängerung der Strecken vorbereiten sollten.
Nun, wo die Stadt stark wächst und die Menschen in neue Siedlungen im Süden oder Westen transportiert werden müssten, wäre der Weiterbau eine Option: der U7 nach Staaken und der U2 von Ruhleben über Spandau zum Falkenhagener Feld – zwei Gleiströge ganz links und ganz rechts sind seit der Eröffnung in den 80er Jahren leer. Im Koalitionsvertrag steht nichts davon, dafür aber über Neubau oder Verlängerung von Straßenbahnen.
Was ein Kilometer U-Bahn kostet? „Dazu sage ich nichts ohne meinen Anwalt“, sagt Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne). Staatssekretärin Margareta Südhof (SPD) warnt: „Milliarden“ – von den Risiken des U-Bahn-Baus nicht zu reden. Man denke nur an die Kanzler-U-Bahn Unter den Linden. Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) ruft dazu auf, „nicht einen Verkehrsträger gegen den anderen auszuspielen“. Aber sagt auch, dass U-Bahn-Bau eigentlich nicht vorgesehen sei.
2. Station: Olympiapark
Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) stieß beim Olympiapark zur Reisegruppe hinzu – stand aber am Olympiabad vor verschlossenem Tor. „Oh Gott, das hat Konsequenzen“, raunte eine Abgeordnete. 32 Millionen Euro würde die Sanierung des Bades kosten, genauer: der beiden Tribünen. Berlins oberster Denkmalschützer Jörg Haspel lehnt deren Abriss ab. Wohl aber würde er Durchbrüche zur Liegewiese zulassen und auch einen Umbau, der zeitgemäße Sicherheitsanforderungen gerecht wird. Zurzeit sind die steil aufsteigenden Tribünen gesperrt.
Ganz oben erobern sich Gräser und Blüten das Baudenkmal. „Urban Gardening“, ulkt einer. Kollatz-Ahnen will sich nicht festlegen, ob dieses Geld fließt: „Wir sind am Anfang des Diskussionsprozesses. Dass er überhaupt auf dieser Station dabei ist, hat diesen Grund: „Schwimmen ist mein Sport“, sagt er. Als Schüler habe er es „leistungsmäßig“ betrieben. Und heute auch mal im Olympiabad, wo an diesem frischen Mai-Tag nur einzelne ihre Bahnen ziehen? „Nein“, sagt Kollatz-Ahnen.
Deshalb würde sich Denkmalschützer Haspel wünschen, dass das „Familienbad“ nebenan – dort tummelten sich bis 1994 die britischen Alliierten – zu einem Hallenbad umgebaut wird: damit mehr Menschen zum Schwimmen in das leidlich ausgelastete Olympiabad kommen.
An einem solchen Bad hätten auch die Wassersportfreunde Spandau Interesse, die auf dem Gelände beheimatet sind. Doch der Senat hat andere Pläne. Sportstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) will auf dem zuwuchernden Areal Kunststoff-Spielplätze anlegen und einen „Funktionsbau“, in dem Sportler sich umziehen können. Geld dafür gibt es in den „Siwana“-Mitteln des Senats. Und das neue Stadion von Hertha BSC, wenn es denn im Sportpark gebaut würde? Reicht nicht bis zum ehemaligen Familienbad ran, allenfalls die Parkplätze reichten so weit. Noch ist die Diskussion nicht abgeschlossen – ein Masterplan für das Gebiet wäre erwünscht.
3. Station: Messegelände
Zum Crash kam es kurz nach der Avus, nicht auf der alten Rennstrecke – sondern auf der Messe. Ratsch – der Bus touchiert die Wand im Untergrund der Messehallen. Die Kurven sind eng, ein Container steht im Weg: Zurzeit wird für den Kirchentag aufgebaut. Messechef Christian Göke schimpft ohnehin auf die Konstruktion aus den 1990er Jahren. Die Hallen stehen auf Stelzen. Und auch über die Architektur von Oswald Mathias Ungers („alles quadratisch“) spottet er.
Dass alles zu eng ist, dürfte auch am Wachstum von Berlins Messe liegen. Diese, die in Frankfurt und die in Düsseldorf sind die einzigen von über 60 in Deutschland sind, die profitabel sind – und durchgehend ausverkauft dazu. Deshalb arbeiten bis zu 20.000 Menschen beim Aufbau einer der großen Shows wie Grüne Woche oder IFA. Da wird es eng. Den Abgeordneten dankt Göke, denn der Masterplan für die Sanierung der Messe steht: Über 400 Millionen Euro in rund 15 Jahren sollen fließen. Dafür finanziert die Messe-Gesellschaft die neue Halle 27 (rund 50 Millionen Euro) selbst. Das Grundstück dafür ist bereits geebnet.
Neu gebaut wurde bis auf den CityCube seit Jahrzehnten nicht mehr viel. Von den Altbauten aus den 90ern, 70ern und den 30ern sind Göke die Letzteren am liebsten: „lichtdurchflutet für die Ewigkeit gebaut“. Im selben neoklassizistischen Stil ist auch das Gebäude am Eingang Süd aus den 2000er Jahren. Dort hält der Bus für den Mittagstisch: „Baby Pak Choi, Enoki und Cashews mit pikantem Thai-Dressing“ sowie „Seeteufelmedaillon im Dillsud gegart auf Baby-Spinat-Gemüse und Kurbis“, danach „Schichten von Vanillecreme und Gelee von der Wassermelone“ stehen unter anderem auf dem Menü.
4. Station Staatsoper
„Hier sind wir weiter als beim Flughafen“, sagt Baustaatssekretär Sebastian Scheel. Die Abgeordneten stoppen an der Staatsoper und verwandeln sich in Blauhelme, zücken das Smartphone und schießen Selfies. Das Staatsopern-Desaster lässt sich nur noch mit Fatalismus und Humor hinnehmen: 400 Millionen Euro betragen die Baukosten inzwischen, ein Vielfaches des Geplanten. Die Bauzeit dauerte auch Jahre länger als geplant Letzter Wasserstand: der 3. Oktober steht – nicht für die Eröffnung, aber für die Voreröffnung. Am 7. Dezember geht’s richtig los.
Sollte es wirklich klappen, wäre das für Scheel ein doppelter Grund zur Feier: Das ist auch sein Geburtstag. Ob wirklich was draus wird? Der Hauptsaal ist noch eine große Baustelle, nun gut: Wände sind verputzt und das aufgeständerte Dach mit der schmucken Akustik-Decke ist fertig und macht schon was her. Auch das „unterirdische Bauwerk“, das die Oper elf Meter tief unter dem Bürgersteig mit dem Bühnenhaus verbindet, ist fertig: „Da oben steht unser Bus“, sagt einer beim Rundgang und zeigt nach oben. Ein Bauverantwortlicher feixt, sogar die Bundesbauleute seien neidisch auf die Staatsoper: „Mein Gott, habt ihr Kubikmeterpreise, die hätten wir auch gerne!“ – aber das geht eben nur in Berlin.
5. Station Flüchtlingsquartier
Seiner Frau hat Grünen-Bauexperte Andreas Otto schon mal von den Grundrissen im Märkischen Viertel vorgeschwärmt. Sie aber antwortet trocken: „Kannste ja hinziehen!“
Janz weit draußen ist auch das Muf der Howoge: in Neu-Hohenschönhausen. Da franst die Stadt aus: Große Magistrale, an deren Rändern einzelne Altbauten und immer wieder Plattenbauten sich abwechseln. Wartenberg und Malchow steht auf den Straßenschildern – und da steht sie dann, die „Modulare Unterkunft für Flüchtlinge“, kurz: Muf. 53 Wohnungen für 300 Bewohner in knapp einem Jahr gebaut, weil Platten eingesetzt werden. Drei Jahre lang werden Flüchtlinge hier leben, danach werden Balkone angebaut und die Wohnungen für acht Euro je Quadratmeter und Monat vermietet.
So teuer? „Wir hoffen auf eine Förderung“, sagte Howoge-Chefin Stefanie Frensch. Dann würden Sozialwohnungen daraus. Die Großen Bäder hinterfragen die Abgeordneten – Vorschriften zur Barrierefreiheit verlangen dies. Und warum wird der Muf umzäunt? Weil das BKA es empfiehlt.
Proteste gab es nur vor Baubeginn, weil der Standort nicht zur Diskussion gestellt wurde. Seit Baubeginn herrsche aber Ruhe, heißt es. Trotzdem wird ein Sicherheitsdienst im Einsatz sein. „Das fördert nicht gerade die Integration im Bezirk“, sagt ein Parlamentarier. Und es kostet, denn außerdem gibt es einen Heimleiter und Sozialarbeiter – zwölf Angestellte insgesamt. 8,55 Euro pro Person und Tag dürfen es maximal sei, so die Vorgabe des Senats. „Das ist bei Weitem billiger als die Turnhallen“, schaltet sich Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhoff ein – da betrügen die Kosten 40 Euro.
6. Station Hauptmann-Schule
Schwarze Lederjacke, lila Iro, die Bierflasche fest im Griff – Liebling Kreuzberg, wir sind zurück: Die umkämpfte Gerhart-Hauptmann-Schule ist die letzte Station des Abgeordneten-Trips durch Berlin. Security-Leute sichern den Zugang, immer noch ist ein Teil des Gebäudes besetzt. Auf der Straße wird um das Haus nicht mehr gekämpft, sondern jetzt in Gerichtssälen: Räumungsklagen des Bezirks laufen. Der Schulbetrieb ist seit 2012 eingestellt, das Haus dient als Notunterkunft vor allem für geflüchtete Schwangere oder von Kindern begleitete Frauen. Von den 90 hier Untergebrachten sind mehr als 50 Kinder.
Zwölf Mitarbeiter kochen, übersetzen, helfen bei Anträgen, vermitteln, schlichten, kurz: betreuen die Geflüchteten. 860.000 Euro pro Jahr kostet die Überwachung des Gebäudes, die vor allem dazu dient, die geduldete Besetzung im Zaum zu halten. „Der Steuerzahler zahlt die illegale Nutzung des Gebäudes“, wirft ein Abgeordneter Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) vor. Der stutzt – und schießt zurück: „Der Steuerzahler bezahlt auch Sie und Ihre Fragen.“
Ungeduldig ist aber auch das Diakonische Werk, das die Verwaltung des Hauses nach dessen Umbau übernehmen soll: „Die Träger suchen händeringend nach Wohnungen“, sagt eine Mitarbeiterin. Die werden hier entstehen und eine Schuldnerberatung, ein Frauenraum sowie Platz für Sport und andere Aktivitäten in Zusammenarbeit mit Sozialträgern in der Nachbarschaft – „offen für alle im Kiez“, heißt es. Die landeseigene Wohnungsgesellschaft Howoge reichte den Bauantrag schon im vergangenen Jahr ein, Sony-Architekt Helmut Jahn hat die Pläne gemacht. Aber in Kreuzberg reden viele mit. Schmidt sagt, in einem Monat sei mit einer Genehmigung. Wirklich? „Naja“, sagt er.