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Ab in den Süden. 1979 brachte Air Berlin erstmals West-Berliner auf kürzestem Wege auf die Mittelmeerinsel.
© promo/Air Berlin

Air Berlin streicht Mallorca-Flüge: Herzlos nach Palma

Der Jungfernflug von Air Berlin ging nach Palma de Mallorca. 37 Jahre später wird die Verbindung nun eingestellt.

Keine Frage, diese Nachricht markiert eine Zäsur: Air Berlin will ab 2017 nicht mehr nach Mallorca fliegen. Ausgerechnet, denn da fing doch alles an. Am 28. April 1979 startete eine Boeing 707 in Tegel, brachte 178 Urlauber auf die Mittelmeerinsel. Schon bald sollte die Verbindung so selbstverständlich werden wie Bus fahren. Wäre es damit vorbei, sind die Folgen gar nicht absehbar. Zum Beispiel könnten sich ferienhungrige Gewohnheitsmenschen, die nicht wissen, wo Schönefeld liegt, nun auf den Weg zum Busbahnhof machen, um sich zu ihrem feierwütigen Nachwuchs in den Bus nach Lloret de Mar setzen. Da werden sich die Abiturienten nächstes Jahr aber bedanken.

1979. Der West-Berliner hatte seinerzeit ja nicht viel. Windbeutel-Essen an der Okertalsperre im West-Harz vielleicht. Bayrischer Wald, ab und zu Amrum, so sahen sie aus, die Fernwehträume in der Mauerstadt. Jedenfalls die, die man sich auf die Schnelle erfüllen konnte. Wobei man es in zweieinhalb Stunden – so lange dauert der Flug nach Palma de Mallorca – auf der rappeligen Transitstrecke bei streng kontrollierten Tempo 100 nicht mal bis Rudolphstein schaffte, dem Grenzübergang in den bayerischen Teil der alten Bundesrepublik.

Die Deutschen lernten Tomatensaft lieben

Was aber hatte Mallorca, das die Harz-Metropole Clausthal-Zellerfeld nicht hat? „Eine Luft wie Samt, der Himmel wie Seide, die Mühlen wie lauter kleine Sancho Pansas am Rande des Rollfelds.“ Derart euphorisiert beschrieb Tagesspiegel-Autor Lothar Heinke seinen ersten Flug nach Palma im Jahre 1990, noch als DDR-Bürger. Eine Reise übrigens, die er noch mit der Interflug antrat. 999 Mark der DDR plus 150 DM kostete der Trip. Ein Jahr später war es mit der Interflug vorbei. Und Air Berlin übernahm auch diese Passagiere. Da wuchs was zusammen.

Bis Februar 2015 waren bereits 80 Millionen Fluggäste mit Air Berlin nach Palma de Mallorca gekommen. Die kamen natürlich nicht alle aus Tegel, sondern auch aus Düsseldorf oder Frankfurt, aus Österreich oder der Schweiz. Jedenfalls hatte das Unternehmen regen Anteil daran, dass die Deutschen den Tomatensaft schätzen lernten. Hat irgendwie mit dem niedrigen Luftdruck an Bord zu tun, der schlägt auf die Nerven, und es braucht eine stärkere Dosis, bevor man etwas empfindet. Weshalb einem plötzlich Dinge schmecken, die man unter normalen Umständen nie zu sich nehmen würde. Wahrscheinlich sind auch nur so Zeilen zu erklären wie „Kerosin im Blut und Flugzeuge im Bauch“, der langjährige Erfolgs-Hit der Airline. Im August dieses Jahres war auch mit dem kostenfreien Tomatensaft Schluss. Ein deutliches Zeichen für den Niedergang.

Der kurze Weg ans Meer. Auf dem Flughafen von Palma, begannen die Ferien fernab von Mauerschatten, Transitstrecke und Wannsee.
Der kurze Weg ans Meer. Auf dem Flughafen von Palma, begannen die Ferien fernab von Mauerschatten, Transitstrecke und Wannsee.
© promo/Air Berlin

Heute steigen die Passagiere in Flip Flops ein

Mallorcas Immobilienboom? Konnte nur funktionieren, weil man die Insel jederzeit konkurrenzlos schnell erreichte. Was passiert, wenn solche Bedingungen nicht mehr erfüllt sind – schon jetzt bietet Air Berlin nur eine tägliche Direktverbindung an, immer um 9 Uhr 55 – lässt sich an den Preisen für Ferienwohnungen entlang der alten Zonengrenze studieren. Die wollte auch keiner mehr haben, nachdem sich die West-Berliner neuen Zielen zuwandten.

Nicht zuletzt dank Air Berlin sind auch die Sitten an Bord im Lauf der Jahrzehnte lockerer geworden. Damals, im April 1979, flogen die Passagiere noch in Anzug und Kostüm, erinnert sich Stewardess Claudia Rößler in der „Mallorca-Zeitung“. Anzug und Kostüm! Wenn heute in Tegel der Palma-Flieger bereit zum Start ist, dann gehen die Passagiere in Flip Flops, Shorts und Hawaii-Hemd an Bord. Und der Security müssen sie vorführen, dass aus ihrem Ghettoblaster wirklich Musik kommt.

Nicht mal das Schokoherz kommt noch aus Berlin

Die DDR-Staatslinie Interflug konnte Air Berlin 1991 noch abhängen. Inzwischen sind andere am Start. Wer zum Beispiel Weihnachten doch lieber auf seiner Finca verbringen will, der kann mit Easyjet oder Ryanair günstiger an den Start gehen. Air Berlin folgt erst auf dem dritten Platz, hat aber andere überzeugende Argumente: Ein Schokoherz zum Abschied, 20 Gramm schwer – wenngleich das seit 2015 nicht mehr vom Berliner Unternehmen Rausch, sondern aus der Schweiz, von Lindt, kommt. Und wer den Weg nach Schönefeld 27 Jahre nach dem Mauerfall immer noch nicht kennt, musste bislang nicht umdenken. Noch nicht. Bekanntermaßen soll Tegel ja auch irgendwann nach 2017 geschlossen werden. West-Berliner gehen wirklich einer ungewissen Zukunft entgegen. Übrigens, ein Trost: Der Windbeutelkönig am Okerstausee im Harz serviert seine Schlagsahne-Berge wie vor 20 Jahren.

Was aber passiert, wenn Air Berlin wie angekündigt den Wienern von Niki Air im nächsten Jahr das Mallorca-Geschäft überlässt? Nun, die empfangen ihre Gäste schon mal mit Wiener Walzer an Bord. Walzer in Flip Flops, das ist nicht einfach.

Andreas Austilat

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