Wohnungsmangel in Berlin: Hausbesetzungen: Rot-Rot-Grün sucht die richtige Linie
Rot-Rot-Grün sucht eine gemeinsame Position für Hausbesetzungen und Leerstandsprobleme in der Hauptstadt. Die Jungen Liberalen kündigen eine fiktive Besetzung der Grünen-Landeszentrale an.
Für die Opposition ist das Problem, das sich Rot-Rot-Grün mit den Hausbesetzungen zu Pfingsten eingehandelt hat, ein gefundenes Fressen. Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus sieht „dringenden Klärungsbedarf, wie diese Koalition zu Recht und Ordnung steht“ und will das Thema in der nächsten Sitzung des Bauausschusses am 30. Mai besprechen. Da weitere illegale Besetzungsaktionen angekündigt seien, müssten der Senat und die ihn tragenden Parteien erklären, wie sie sich dazu verhalten.
Die Jungen Liberalen kündigten schon für Donnerstag eine fiktive Besetzung der Grünen-Landeszentrale in Mitte an. Mit Megafonen und Transparenten will der FDP-Nachwuchs „für die Verteidigung des Rechtsstaates, für Wohnungsbau und gegen Besetzungen“ vor dem Gebäude demonstrieren. Die Äußerungen von Linken und Grünen, die Verständnis für die Hausbesetzer zeigten, seien inakzeptabel. Derweil bemühen sich alle drei Regierungsparteien darum, den neuen koalitionsinternen Streit um die richtige Linie in Sachen Hausbesetzung einzudämmen und einen politischen Konsens zu finden.
Voraussichtlich wird sich der Koalitionsausschuss mit dem Thema befassen, ein Termin steht aber noch nicht fest. Schon am Montag ist Gelegenheit, dass sich die Fraktionschefs von SPD, Linken und Grünen in ihrer turnusmäßigen Lagebesprechung austauschen, und es liegt nahe, dass auch in der Senatssitzung am Dienstag beraten wird, wie die Landesregierung mit weiteren Hausbesetzungen umgehen sollte. Und weil die leer stehenden Wohnungen, die am Pfingstsonntag besetzt wurden, städtischen Wohnungsbaugesellschaften gehören, will die Koalition auch über Leerstand, fehlendes Geld und Managementfehler in den kommunalen Wohnungsunternehmen reden.
SPD-Bauexpertin schlägt Anhörung im Bauausschuss vor
Die SPD-Bauexpertin Iris Spranger schlägt dafür eine Anhörung in der nächsten Sitzung des Bauausschusses vor. Angesichts der Tatsache, dass das besetzte Haus in der Bornsdorfer Straße in Neukölln zur landeseigenen „Stadt und Land“ gehört, erwartet Spranger von der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), „dass sie tätig wird“. Zumal ihr Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) im Aufsichtsrat des Unternehmens sitze. Sie verstehe die Ängste der Berliner vor steigenden Mieten, sagte Spranger dem Tagesspiegel. „Aber das darf im Rechtsstaat doch nicht dazu führen, dass zu Hausbesetzungen aufgerufen wird.“
Diese Haltung ist in der Berliner SPD unbestritten. Linke und Grüne in Berlin haben ihre eigene Haltung. So wirbt der Grünen-Landeschef Werner Graf um Verständnis, dass seine Partei eine etwas andere Sicht auf die Dinge hat. „Wir kommen schließlich aus der Berliner Hausbesetzerbewegung.“ Die Grünen seien trotzdem nicht per se für die Besetzung leer stehender Häuser, „aber auch nicht per se dagegen“, so Graf. Für die Berliner seien die rapide steigenden Mieten derzeit das größte Problem, das verstärke den politischen Druck enorm.
Um spekulativem Leerstand effektiv entgegentreten zu können, „brauchen wir eine Debatte über die aktuelle Gesetzeslage“, sagt Graf. Und bei künftigen Besetzungsaktionen würden die Grünen darauf drängen, für die Suche nach Lösungen den Verhandlungsweg voll auszuschöpfen. Laut der „Berliner Linie“ sei dafür nach einer Neubesetzung 24 Stunden Zeit. Ähnlich sehen das auch die Linken. Weniger verständnisvoll hat sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) bereits am Dienstag geäußert. Hausbesetzungen seien kein probates Instrument, „sie verletzen Recht und Gesetz, das können wir nicht zulassen.“
„Berliner Linie der Vernunft“
Als Berlin Anfang der achtziger Jahre zu einer Hochburg der bundesdeutschen Hausbesetzerbewegung wurde, war es ein anderer Sozialdemokrat, der die Stadt regierte: Hans-Jochen Vogel. Obwohl ihm nur wenige Monate Zeit blieb, bevor die SPD in West-Berlin abgewählt wurde, entwickelte Vogel die „Berliner Linie der Vernunft“.
Sie gilt noch heute und besagt, dass neu besetzte Häuser binnen 24 Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung zu räumen sind. Bereits länger besetzte Häuser dürfen nur geräumt werden, wenn der Eigentümer Strafantrag stellt und einen zügigen Beginn von Sanierungsmaßnahmen zusichert.
Ein knappes Jahrzehnt später, im November 1990, musste der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) erkennen, welche Sprengkraft das Thema hat. Nachdem die Polizei zwölf Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain räumte, kündigte die Alternative Liste (heute: Grüne) den Koalitionsvertrag auf. Eine vergleichbare Situation gibt es derzeit aber nicht, denn es herrscht ein eklatanter Mangel an leeren, besetzbaren Häusern.