Fahrraddiebstahl in Berlin: Hätte hätte Fahrradkette
72 Räder werden pro Tag in Berlin geklaut – fast keines taucht wieder auf. „90 Prozent sind eigenes Verschulden“, meint die Verkäuferin eines Fahrradladens.
Ob die Frau recht hat? „90 Prozent sind doch eigenes Verschulden“, meint die Verkäuferin im „Fahrradladen im Mehringhof“. Sie glaubt, dass 90 Prozent aller geklauten Fahrräder nicht fachgerecht gesichert waren: entweder gar nicht abgeschlossen oder nur mit einem billigen Schloss oder mit einem teuren, allerdings nicht gekettet an einen festen Gegenstand. Im ersten Fall steigt der Dieb auf und fährt weg. Im zweiten Fall nestelt er drei Sekunden mit einem unauffälligen Mini-Bolzenschneider am Schloss herum. Und im dritten Fall trägt er das Rad einfach weg. Seit Jahren predigen Polizei und Fahrradverband ADFC, den Rahmen und mindestens ein Rad mit einem guten Schloss an einem festen Gegenstand anzuschließen. Doch diese Predigt scheint Radfahrer nicht zu erreichen.
Der Trend für zwei sichere Räder heißt: Fahrradversicherung
26.513 Fahrraddiebstähle wurden laut Polizei im vergangenen Jahr in Berlin geklaut, das sind pro Tag 72. Der in dieser Woche veröffentlichte Wert ist der höchste seit 1998, nur Mitte der 90er lag er höher. Etwa 2000 der gestohlenen Räder waren laut Kriminalstatistik gar nicht abgeschlossen. Bundesweit werden knapp zehn Prozent der Taten aufgeklärt, in Berlin kann man darauf nur zu 4,3 Prozent hoffen.
Der Trend für zwei sichere Räder heißt deshalb: Fahrradversicherung. Nahezu alle Berliner Radlerläden bieten beim Kauf neuer Modelle mittlerweile spezielle Versicherungen an. Im „Räderwerk“ an der Bergmannstraße schätzt ein Verkäufer, dass etwa jeder zehnte Kunde eine Versicherung mitabschließt. Im Mehringhof sei es etwa jeder Dritte, schätzen Chef Peter Stage und seine Kollegin. Überall liegen Broschüren aus. Die Prämien sind happig, bei den großen Anbietern sind mindestens zehn Prozent des Kaufpreises pro Jahr fällig. Wer eine alte Hausratspolice habe, für den lohne sich eine spezielle Radversicherung nicht, sagt der Verkäufer im Räderwerk. Doch wegen der vielen Diebstähle sind in neueren Hausratsversicherungen schon lange keine Fahrräder mehr eingeschlossen.
Die Spezialversicherungen wie „Wertgarantie“ und „Enra“ verlangen für ein 1000-Euro-Rad 120 Euro Prämie pro Jahr. Beide Firmen verlangen in ihren Bedingungen, dass ein Schloss der drei Marktführer „Abus“, „Trelock“ oder „Kryptonite“ mit einem Mindestpreis von 20 Euro verwendet werden muss (bei Rädern über 1000 Euro muss ein Schloss mindestens 50 Euro wert sein). Unisono berichten Verkäufer und Kunden, dass die Versicherungen „nicht diskutieren, sondern zahlen“. Selbst das dritte gestohlene Rad sei ersetzt worden, und zwar zum Neupreis, berichtete ein Radfahrer aus Prenzlauer Berg.
Passanten reagieren nicht
Versichert sind auch Ersatzteile, denn selbst die kosten viel Geld. Für einen guten Sattel werden bis zu 200 Euro bezahlt, ebenso für eine Sattelstütze. Und um beides zu klauen, reicht ein Griff zum Schnellspanner oder ein Dreh mit dem Imbusschlüssel. Ähnlich wie für hochwertige Autofelgen gibt es deshalb diebstahlsichere Spezialschrauben für Vorder- und Hinterrad sowie Sattelstützen.
Der ADFC rät, mindestens zehn Prozent des Werts des Rades in ein Schloss zu investieren. Auch im Fahrradladen im Mehringhof heißt es: „Gute Bügelschlösser selten geknackt.“ Für Laien ist das fast unmöglich, wie ein Selbstversuch nach einem Schlüsselverlust zeigte: Weder ein 60-Zentimeter-Bolzenschneider noch eine eigens gekaufte Metallsäge konnten dem gehärteten Stahl des 45-Euro-Schlosses mehr als nur einen Kratzer zufügen.
Und noch etwas zeigte das gescheiterte Experiment: Obwohl der Aufbruchsversuch mittags an einem Werktag auf dem Mittelstreifen der Joachimstaler Straße geschieht, direkt am Zoo, reagiert keiner der zahlreichen Passanten. Auch nicht, als die beiden zusammengeschlossenen Räder später in einen gemieteten Lastwagen gewuchtet werden. Zum Glück waren die Räder nicht ans Geländer geschlossen, sonst hätte nur eine elektrische Flex geholfen. Aber auch die wäre wohl am Zoo nicht aufgefallen.
Diebstähle: Was von den Autos unserer Reporter übrig blieb
Papas Caddy
Beladen mit leeren Flaschen, die sich in der WG in Kreuzberg angesammelt hatten, trottete ich aus der Haustür, zu meinem Auto. Dachte ich! Doch statt meines geliebten VW-Caddy fand ich eine leere Parklücke vor. Mein Herz raste. Vor Wut. Vor Hilflosigkeit. Ich tippte die Nummer der Polizei ins Handy. Ich hoffte, dass das Auto abgeschleppt worden war. Doch, nein. „Ist wohl gestohlen“, hörte ich am Telefon. Weltuntergang! Es war nicht irgendein Wagen. Darin wuselten vollgekritzelte Zettel, lagerten ein leeres Asthmaspray, eine verbogene Sonnenbrille und andere Schätze, die ihn so wertvoll für mich machten. Sie alle und der Caddy selbst gehörten meinem Vater. Er war ein halbes Jahr davor gestorben. Anna Grieben
Navi, zum zweiten
„Lassen Sie mich raten“, sagt der Polizist: „Audi?“ Bingo. Der Beamte lacht mit Kennermiene, ich nicht. Es geht um mein Navigationsgerät. Geklaut, zum zweiten Mal. Als wir schon losgefahren waren, wollte die rechte Hand automatisch das Radio anschalten. Aber da ist kein Knopf mehr. Einbruchsspuren? Keine. Türschlösser? Unbeschädigt. Für die Polizisten auf der Wache in Mitte keine Neuigkeit. „Machen die allet elektronisch“, sagt einer. Man kann raushören: Selber schuld, wer in Mitte eine sauteure Audi-Navigations- und Audioeinheit hat. Man spürt richtig, wie entschlossen die Beamten diesen „besonders schweren Fall des Diebstahls“ aufklären wollen. Wenigstens ist keine Scheibe eingeschlagen worden wie beim ersten Diebstahl. Kostet 500 Euro Selbstbeteiligung. Am teuersten aber ist der Verlust an Gelassenheit: Soll man sich nun jeden Abend Gedanken machen, wo das Auto am sichersten steht? „Ach was, denen ist der Standort egal“, sagt der Beamte. Die neue Navi-Audio- Einheit gar nicht einbauen lassen? Sieht nur blöd aus, das große Loch in der Konsole. Und das Radio fehlt uns auch. Dafür hat die Staatsanwaltschaft inzwischen geschrieben: „Die eingeleiteten Ermittlungen haben leider nicht zu Feststellung des Täters geführt.“ Gerd Nowakowski
Nicht nur ein Rad ab
Er hatte ein paar Schrammen, doch die Gattin fuhr ihn gern: Opas silbergrauer Audi A4, zehn Jahre alt, aber rüstig, bloß 60 000 Kilometer auf den Achsen. So stand er in unserem Carport am Rande Berlins, so sollte er die Gattin an einem Morgen im Sommer in die Stadt befördern. Konnte er aber nicht. Anderthalb Stunden zuvor hatte er noch still und audimäßig elegant vor der Tür gestanden: ganz sicher. Der kleinere der beiden Söhne war mit seinem Fahrrad drum herum gefahren. Autoklau im morgendlichen Sonnenlicht, zu einer Zeit, in der viel los ist auf der Straße: Sehr cool, das ließ auf starke Diebesnerven schließen. Anzeige erstatten, erschüttert sein im Idyll, Schulterzucken. Zwei Tage später ein Anruf von der Polizei: „Wir haben Ihr Auto gefunden!“ Beziehungsweise Opas Auto. Und beziehungsweise: was davon übrig war. Ein paar Dutzend Kilometer weiter auf einer Wiese stand ein Audi- Wrack. Demontiert war alles, was man leicht verkaufen kann. Der Abschlepper stellte sich an: Wie das Auto auf die Pritsche bekommen, wenn es keine Räder hat? Bei der Potsdamer Polizei gibt es eine Extra-Abteilung für den permanenten Autoklau; die Gattin wurde aufs Präsidium gebeten, um sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen – für den Fall, dass man mal jemand festnehmen würde, würde man dem dann nachweisen können, dass er... Es wurde niemand festgenommen. Die Versicherung zahlte rasch und organisierte den Verkauf des Wracks. Die Versicherungsfrau bemerkte noch: Audis und Passats stünden ganz oben auf dem Wunschzettel der Autoklauer. Und in Meckpomm sei es noch schlimmer als in Brandenburg. Werner van Bebber
Leere Garage
Wir haben eine Garage, das tut besonders weh. Denn in der Nacht, in der unser Auto geklaut wurde, haben wir es nicht hineingestellt. Die Party hatte länger gedauert, mein Mann und ich wollten einfach nur schnell nach Hause. Er ging vor, ich stellte den Wagen an der Straße ab, schloss zu und kam nach. Am nächsten Morgen: Auto weg! Ich völlig aufgebracht zur Polizei. Dort Achselzucken: „Was hattense denn, VW?“ – „Ja, einen herrlichen Multivan!“ – „Na, der is’ jetz schon inne Ukraine, oder zerlegt.“ Inzwischen haben wir einen Viano. Egal wie müde ich bin, wir stellen ihn jede Nacht in die Garage. Ich hasse euch Diebe. Fatina Keilani
Doppelter Versuch
Irgendetwas stimmte an meinem Auto nicht. Die Türknöpfe waren oben. Dabei hatte ich den Golf am Abend zuvor abgeschlossen. Ich öffnete das Fahrzeug und sah, dass die Verkleidung der Lenksäule weggerissen war; alle Kabel lagen offen. Ich rief sofort die Polizei an. Zwei Diebstahlsspezialisten aus Spandau waren nach zehn Minuten in Schmargendorf an meinem Auto. „Es ist nicht das erste Mal, dass wir heute hier sind“, sagte ein Beamter und deutete auf einen VW Golf, der etwa 30 Meter von meinem Fahrzeug entfernt abgestellt war. Diese Diebe interessierten sich für ältere Autos und dachten wohl, sie könnten ein Exemplar ohne Wegfahrsperre erbeuten. Wenigstens damit hatten sie kein Glück. Sabine Beikler
Toast geklaut
Da hatte wohl der Hunger gesiegt! Als ich am späten Abend aus dem Babylon in Kreuzberg nach Hause fahren wollte, war mein alter Golf aufgebrochen. Die Sporttasche hinten auf dem Rücksitz war noch da, ebenso das Kleingeld für Parkautomaten im Aschenbecher. Was fehlte? Die 500-Gramm-Packung Toastbrot, die ich auf den Beifahrersitz gelegt hatte! Zur Polizei ging ich nur, weil die Reparatur des Schlosses unglaublich teuer werden sollte und die Versicherung nur bei einem angezeigten Einbruchsschaden zahlte. Auf die Frage der Polizisten, was denn gestohlen worden sei, sagte ich, das sei so unerheblich, darum gehe es mir nicht. „Das mag für Sie unwichtig sein, für uns und die Statistik ist es das nicht. Es geht darum, ob es schwerer Diebstahl ist oder nur der Versuch“, sagte die resolute Beamtin. „Es war ein Toastbrot“, sagte ich. „Na, sehen Sie, also schwerer Diebstahl. Mundraub ist das nicht.“ Sigrid Kneist