Ex-Bürgermeister von West-Berlin: "Hätte das Geld auf die hohe Kante gelegt"
Nach dem Mauerfall veranlasste Walter Momper, dass die Zahlstellen rund um die Uhr für die Ost-Berliner öffneten. Trotzdem ging bald das Geld aus.
Herr Momper, Sie waren zur Zeit des Mauerfalls Regierender Bürgermeister von West-Berlin. Was hätten Sie denn damals mit Ihren ersten 100 Westmark gemacht?
Das, was die meisten taten: Ich hätte das Geld auf die hohe Kante gelegt. Westgeld war im Osten ja wie Gold, dafür bekam man alles. Etwa einen neuen Auspuff für den Trabi.
Wann erfuhren Sie, dass es mit dem Mauerfall nicht mehr lange dauern konnte?
Dem ging ja eine umfängliche Planung voran. Wir wussten seit dem 29. Oktober, dass eine Änderung im Reisegesetz der DDR in Planung war, da rechneten wir mit einem Ansturm von 500.000 Ostberlinern und DDR-Bürgern in West-Berlin. Tatsächlich kamen dann in der Nacht zum 10. November und den darauffolgenden Tagen eine Million Menschen – täglich.
Was auf den Straßen zu spüren war?
Natürlich, in einer kleinen Zwei-Millionen-Stadt wie West-Berlin! Plötzlich verdoppelte sich die Menschenmenge auf den Straßen. Überall waren Leute unterwegs, die DDR-mäßig aussahen und nach dieser Straße oder jenem Platz fragten. Und alle hatten Anspruch auf 100 Mark Begrüßungsgeld.
Wie haben Sie das logistisch gelöst?
All diese Leute konnte man natürlich nicht in den normalen Bankzeiten abfertigen, also mussten wir möglichst viele Zahlstellen schaffen. Zuerst sagte der Verband der privaten Banken zu, die Bankfilialen auch sonnabends, sonntags und in der Nacht zu öffnen. Dann kriegte ich den Vorsitzenden der Postgewerkschaft herum, die hielten dann auch durchgehend die Postämter geöffnet. Am schwersten aber war es, den Hauptpersonalrat der Betriebe und Verwaltungen Berlins zu überzeugen. Aber wir brauchten noch mehr Zahlstellen, und so entstanden diese dann an jeder Schule, Kita, Feuerwehr, Polizei, im Abgeordnetenhaus, in der Senatskanzlei – an jeder Dienststelle. Im Rathaus Schöneberg gab es vier Zahlstellen. Es bildeten sich trotzdem überall Schlangen.
Da ging aber enorm viel Geld über die Schalter.
Ja, und das Problem war: Es kam nichts in den Geldkreislauf zurück. Die DDR-Bürger bekamen hier ja alles geschenkt – Bananen, Bier, Benzin, Taxifahrten. Und so bekamen wir bereits am Mittwoch, also eine knappe Woche nach Mauerfall, einen Anruf von der Landeszentralbank: „Wir haben bald kein Geld mehr.“ Darum flog das amerikanische Militär über Nacht sieben Tonnen Frischgeld aus der Bundesdruckerei in Frankfurt am Main herüber.
Es gibt Berichte, denen zufolge die BRD in den ersten drei Wochen Begrüßungsgeld an 18 Millionen Besucher auszahlte – bei einer DDR-Einwohnerzahl von gut 16 Millionen Menschen.
Ja, viele holten es sich zwei Mal ab. Aber wir bekamen später Briefe, denen hundert Mark beigelegt waren – da meldete sich bei einigen wohl das späte schlechte Gewissen.
Am 29. Dezember wurde die Zahlung des Begrüßungsgeldes eingestellt. Warum?
Es war politisch nicht mehr nötig, Bonn änderte das Gesetz. Es gab einen jährlichen Anspruch auf das Begrüßungsgeld – das es vor dem Mauerfall ja auch schon gab für Westreisende – und man wollte kurz vor dem Jahreswechsel einen erneuten Ansturm vermeiden.
Ihr Ausruf „Berlin, nun freue dich!“ bei der Öffnung des Brandenburger Tores ging in die Stadtgeschichte ein. Denken Sie gern an die Wendezeit zurück?
Ja, das war eine wunderbare Zeit. Politisch gab es so viel zu tun, täglich so viel zu regeln, viel mehr als normalerweise. Und das Schöne: Man brauchte kaum jemanden zu fragen. Alle, die sonst immer mitreden wollen – Parlament, Öffentlichkeit – akzeptierten jede Entscheidung, die auf die Einheit hinauslief. Denn die wollten wir ja alle.
Walter Momper, 73, von 1989 bis 1991 Regierender Bürgermeister (SPD) von West-Berlin. Heute entwickelt er Projekte für Bauträger, aus der Politik hat er sich zurückgezogen.
+++
Lesen Sie mehr aus den Berliner Bezirken - einmal pro Woche gebündelt in unseren Tagesspiegel-Newslettern "Leute". Kostenlos bestellen unter www.tagesspiegel.de/leute