"Tag gegen Gewalt an Frauen": Hate Speech ist nicht nur virtuell
Opfer von sexualisierter Gewalt müssen besser geschützt werden. Allein mit der Verschärfung des Strafrechts ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen. Ein Gastbeitrag.
Vor wenigen Tagen ist die Änderung des Sexualstrafrechts in Kraft getreten, die bis zuletzt für heftige Diskussionen gesorgt hat. Mit der Gesetzesverschärfung ist das Prinzip „Nein heißt Nein“ im Strafgesetzbuch festgeschrieben worden und stärkt nun die Rechte der Opfer von sexualisierter Gewalt. Es ist die Fortsetzung der Debatte, die 1997 endlich zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geführt hat.
Mit dieser Reform wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen. Nicht nur sexuelle Handlungen, die durch Gewalt oder Gewaltandrohung erzwungen wurden, sind jetzt strafbar. Zukünftig geht es vor Gericht um die Frage, ob der Täter sich über den erkennbaren Willen der Frau hinweggesetzt hat. Das ist ein wichtiger Schritt zur Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung.
Wir brauchen für den Schutz der Opfer umfassende Maßnahmen
Klar ist nach dieser Reform aber auch: Das Problem der sexualisierten Gewalt ist juristisch allein nicht in den Griff zu bekommen. Die diversen Abhängigkeits- und Machtverhältnisse, die solchen Taten zugrunde liegen, lassen sich nicht mit juristischen Federstrichen beseitigen. Für das Jahr 2015 verzeichnet die Polizei in Berlin 623 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Dazu kommen 686 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern. Die tatsächliche Fallzahl liegt wohl um ein Vielfaches höher, denn nur ein minimaler Prozentsatz wird angezeigt.
Wir brauchen für den Schutz der Opfer umfassende Maßnahmen, wie sie zum Beispiel das Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt in den letzten Jahren erarbeitet hat. Herausragende Gewaltschutzprojekte, wie die Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité, sollen nicht mehr nur anlassbezogen finanziert werden, sondern auf eine verlässliche Finanzierungsbasis gestellt werden. Und die Gewaltschutzambulanz soll künftig rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche geöffnet sein. Eben Hilfe bieten, wenn sie dringend nötig ist.
Dazu zählt auch, dass Frauen Orte brauchen, an denen sie sich sicher fühlen. Mehr Plätze in Frauenhäusern und Schutzeinrichtungen und mehr Unterkünfte für obdachlose Frauen sind hierzu die richtigen Weichen. Heute aber wissen wir, nicht nur im analogen Leben, sondern auch digital sind gerade Frauen vom Druck durch hate speech betroffen. Diese Gewalt ist alles andere als nur virtuell. Sie ist für Betroffene real und hat für sie konkrete und schwerwiegende Folgen. Hier braucht es Online-Beratungsangebote und die entsprechende Spezialisierung von Strafverfolgungsbehörden.
Sexismus im öffentlichen Raum muss unter die Lupe genommen werden
Gewalt gegen Frauen im Internet sowie Gewalt gegen LSBTTIQ* muss mehr Eingang in Aus- und Weiterbildung der Polizei finden, um das Personal stärker zu sensibilisieren. Aber die Strafverfolgungsbehörden kommen bekanntlich in der Regel nach der Tat. Auch deshalb muss von Facebook und Co. endlich das Telekommunikationsgesetz eingehalten werden. Sie müssen sicherstellen, dass strafbare Inhalte sofort erkannt und beseitigt werden. Psychischer Druck durch hate speech darf nicht hingenommen werden.
Zudem muss der Sexismus im öffentlichen Raum, zum Beispiel zu Werbezwecken, unter die Lupe genommen werden. Die häufige, profitorientierte Darstellung von Frauen als Sexobjekte prägt unser Verständnis davon, welche Rolle Frauen in unserer Gesellschaft spielen und welches Verhalten wir von ihnen erwarten. Für private Werbeflächen soll es deshalb in Zukunft ein Prüfgremium geben, um sexistische Werbung einzudämmen. Öffentliche Reklameflächen dürfen schon gar nicht diskriminierenden Werbezwecken dienen.
Rechtliche Vorgaben und gesellschaftliche Normen spielen gerade bei Emanzipation immer zusammen. Gesetzesänderungen brauchen aber die Unterstützung durch praktische Schritte, indem Institutionen ausgebaut und gestärkt werden. Der heutige internationale Tag gegen Gewalt an Frauen sollte uns Anlass sein, einen umfassenden Schutz auf den Weg zu bringen.
Renate Künast (MdB) ist Vorsitzende des Ausschusses für Recht & Verbraucherschutz. Friederike Schwebler ist frauenpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen Berlin.
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