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Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg.
© Britta Pedersen/dpa

Vorkaufsaffäre um „Diese eG“: Hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Öffentlichkeit getäuscht?

Das Bezirksamt schreibt in einer Pressemitteilung, die Akteneinsicht zur „Diese eG“ sei „ausreichend sichergestellt“ worden. Die Innenverwaltung widerspricht.

Die Mitteilung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg vom Donnerstag las sich wie ein Freispruch in eigener Sache – und für den Baustadtrat und Aktivisten Florian Schmidt (Grüne) in der Vorkaufsaffäre zugunsten der „Diese eG“. Demnach habe die Bezirksaufsicht der Senatsinnenverwaltung festgestellt, dass das Akteneinsichtsrecht der Bezirksverordneten „durch das Bezirksamt ausreichend sichergestellt wurde“.

Doch wie sich herausstellt, ist das Gegenteil der Fall. Nun steht der Vorwurf im Raum, dass das von Monika Herrmann (Grüne) geführte Bezirksamt die Öffentlichkeit getäuscht hat.

Erst die bezirkliche SPD-Fraktion, später auch CDU und FDP hatten Schmidt zu Jahresbeginn vorgeworfen, von ihnen eingesehene Akten zur „Diese eG“ manipuliert zu haben. Die Sozialdemokraten hatten Lücken in den Akten festgestellt. Und entgegen der neuerlichen Darstellung des Bezirksamts ist auch die Bezirksaufsicht fündig geworden.

In einem zweiseitigen Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, hatte die Innenverwaltung Ende Juli Stadtrat Schmidt und Bezirksbürgermeisterin Herrmann über „Abschluss und Einstellung der bezirksaufsichtlichen Prüfung“ informiert. Darin kritisiert die Bezirksaufsicht Schmidts Vorgehen, da es „der hohen Bedeutung des Akteneinsichtsrechts nicht ausreichend Rechnung trägt“. Es sei dazu geeignet, „die Transparenz des Verwaltungshandelns in Frage zu stellen“.

Und die Bezirksaufsicht stellt klar, dass das Akteneinsichtsrecht „zum Teil beeinträchtigt wurde“. Die Herausnahme von Schriftstücken aus den Unterlagen „hätte bei ordnungsgemäßer Aktenführung“ stets „nachvollziehbar gemacht und begründet werden müssen“. Weitere Schritte leitete die Bezirksaufsicht nur nicht ein, weil die Akteneinsicht inzwischen „mehrfach und vollumfänglich angeboten“ wurde und die Bezirksverordneten auch vor dem Verwaltungsgericht klagen könnten.

„Schlag ins Gesicht für Bezirksparlament und Öffentlichkeit“

Auch offiziell widersprach die Innenverwaltung am Freitag dem Bezirksamt: Dessen Pressemitteilung sei unvollständig. Denn die Bezirksaufsicht habe gerade nicht – wie vom Bezirksamt behauptet – festgestellt, dass die Akteneinsicht zur „Diese eG“ „insgesamt ausreichend sichergestellt wurde“. Vielmehr sei Baustadtrat Schmidt Ende Juli mitgeteilt worden, dass es Mängel in der Aktenführung gegeben habe und die Ablehnung der Akteneinsicht nicht rechtzeitig und erst im Nachgang begründet worden sei.

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Sebastian Forck, Fraktionschef der SPD in Friedrichshain-Kreuzberg, sagte dem Tagesspiegel: „Das Bezirksamt und die Bezirksbürgermeisterin belügen die Öffentlichkeit und die Bezirksverordneten. Unser Recht der Akteneinsicht wurde bewusst beeinträchtigt.“ Das habe Baustadtrat Schmidt selbst im Januar in der gemeinsamen Fraktionssitzung mit Grünen und Linken zugegeben. „Nun haben wir es auch schwarz auf weiß von der Bezirksaufsicht“, sagte Forck. „Die Pressemitteilung des Bezirksamts ist ein Schlag ins Gesicht für Bezirksparlament und Öffentlichkeit. Hier werden mit den Methoden von Donald Trump bewusste Falschinformationen in die Öffentlichkeit getragen.“

Der FDP-Bezirksverordnete Michael Heihsel schrieb auf Twitter: „Ich bin entsetzt, wie unverfroren mittlerweile Lügen aus dem Grünen Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg verbreitet werden. Die Richtigstellung der Senatsverwaltung folgte prompt. Schmidt ist nicht länger im Amt zu halten!“

Und auch sonst ist die Vorkaufsaffäre um die „Diese eG“ nicht ausgestanden. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt nach eigenen Angaben seit mehreren Monaten gegen Schmidt – „wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue im Zusammenhang mit der Diese eG“.

Und was das Bezirksamt in seiner Mitteilung ebenfalls unerwähnt ließ: Auch die Bezirksaufsicht der Innenverwaltung ist noch mit dem Fall befasst. Sie prüft weiter, ob die Genossenschaft nicht ausreichend leistungsfähig war und ob daher Haftungsrisiken für die Steuerzahler bestanden haben.

Landesrechnungshof warf Schmidt „pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten“ vor

Zu diesem Ergebnis kam bereits der Rechnungshof in seinem Jahresbericht Anfang Oktober. Im Lauf des Verfahrens stand die Genossenschaft kurz vor der Insolvenz. Der Landesrechnungshof warf Schmidt „pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten“ vor.

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Laut Jahresbericht ging der Bezirk durch den Vorkauf von sechs Miethäusern von Mai bis August 2019 zugunsten der „Diese eG“ ein Haftungsrisiko in Höhe von 27 Millionen Euro ein. Weil die „Diese eG“ in zwei Fällen den Kaufpreis nicht aufbringen konnte, blieb der Bezirk auf 270.000 Euro sitzen. Das Bezirksamt habe die finanzielle Leistungsfähigkeit der Genossenschaft unzureichend geprüft und damit gegen das Baugesetzbuch verstoßen, stellten die Prüfer fest.

FDP und SPD in Friedrichshain-Kreuzberg hatten deshalb den Rücktritt des Grünen-Politikers als Baustadtrat gefordert. SPD-Bezirksfraktion und SPD-Kreisverband warfen Schmidt vor, er habe durch sein eigenmächtiges Agieren und seine Verfehlungen bei der „Diese eG“ dem Vorkaufsrecht geschadet. Das Urteil der SPD über Schmidt: „beratungsresistent“, „Unwahrheit behauptet“, „im „Alleingang“, „Verstoß gegen die Haushaltsordnung“.

Schmidt will die Empfehlungen des Rechnungshofs nun umsetzen. Rechtsamt und Haushaltsbeauftragte würden künftig bei Vorkäufen beteiligt. Am Ende entscheide das Bezirksamtskollegium. Die entstandenen Kosten seien „natürlich bedauerlich“, dafür sei der Bezirk aber nicht verantwortlich. Der Grund seien höhere Anwalts- und Notarkosten wegen Verzögerungen.

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