Corona-Management auf dem Prüfstand: Hat Berlins Gesundheitsverwaltung Millionen verschwendet?
Die Mitarbeiter von Senatorin Kalayci sind überlastet. Die Personalräte fordern Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze. Der Rechnungshof überprüft nun das Corona-Management.
Überstunden, Rufbereitschaft, Dienst an Sonn-und Feiertagen, „fast täglich neue ad hoc-Arbeitsaufträge“ und ein „respektloses und unangemessenes Verhalten“ der Hausleitung der Senatsgesundheitsverwaltung (SenGPG) gegenüber den Beschäftigten: Der Ärger unter den 448 Beschäftigten von SenGPG ist groß, wie Personalrat und Hauptpersonalrat an Fraktionsvorsitzende und die Gewerkschaft Verdi in einem Brief schreiben.
Und es geht auch um mögliche Geldverschwendung durch kurzfristige Entscheidungen. Nach Tagesspiegel-Informationen handelt es sich um eine mehrstellige Millionensumme. Der Rechnungshof prüft jetzt das gesamte Corona-Management.
Die hohe Summe hat sich dem Vernehmen nach angesammelt, weil Bestellungen, die über SenGPG gelaufen sind, zum Teil viel zu spät nach Mahnungen bezahlt wurden und so zusätzliche Kosten entstanden sind. Zu den Bestellungen zählen Schutzanzüge, medizinische Masken, Impfstoffe, die Bereitstellung von landeseigenen Impf- oder Teststellen. Auch Personal wurde kurzfristig neu eingestellt.
Wie hoch die über die Verwaltung von SenGPG gelaufenen pandemiebedingten Mehrausgaben sind, ist noch nicht geklärt. Ein Sprecher sagte, das Zahlenwerk werde derzeit hausintern zusammengestellt. Hinzu kommen Vergabeverfahren zum Beispiel für den Betrieb der landeseigenen Corona-Testzentren, die von der Vergabekammer geprüft werden. Dem Krisenstab der Gesundheitsverwaltung arbeiten viele Beschäftigte des Hauses zu.
Diese pandemiebedingten Aufgaben hätten so viel Personalkapazität gebunden, dass die Senatsverwaltung „teilweise nicht mehr handlungsfähig ist“, schreiben die Personalräte in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt. Allein durch die Honorare für die Impfzentren und die mobilen Teams seien monatlich mehr als 600 Honorarvorgänge zu bearbeiten. Andere Fachaufgaben könnten einfach nicht mehr erledigt werden.
Beschäftigte und Senatorin wandten sich an Rechnungshof
Nicht nur die Beschäftigten, auch Senatorin Dilek Kalayci (SPD) hatten sich an den Rechnungshof mit der Bitte gewandt, die organisatorischen Strukturen und die kurzfristig veranlassten Mehrausgaben durch die Pandemie zu prüfen. Ein Sprecher des Rechnungshofes bestätigte die Prüfung, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll.
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Im ersten Teil seines Jahresberichts 2021 kritisierte der Rechnungshof zum Beispiel die fehlende Kontrolle der Gesundheitsämter in den Bezirken durch die Senatsgesundheitsverwaltung in folgenden Bereichen: Bei den Ersthausbesuchen für den präventiven Kinderschutz, bei der infektionshygienischen Überwachung von Einrichtungen und Unternehmen sowie beim Schutz für psychisch kranke Menschen.
Der Rechnungshof stellt einen jährlichen Jahresbericht vor, in dem Fehler im Verwaltungshandeln dokumentiert sind und Lösungsvorschläge empfohlen werden. Für alle beanstandeten Fälle gilt dabei: Der Rechnungshof stellt Mängel und Schäden in richterlicher Unabhängigkeit und parteiunabhängig fest.
Personalräte fordern Auflösung des Krisenstabs
Einen Vorschlag, was die Gesundheitsverwaltung als eine wesentliche Konsequenz veranlassen sollte, unterbreiten die Personalräte: den Krisenstab aufzulösen und die Aufgaben in die zuständigen Abteilungen überführen. Ein Krisenstab sei normalerweise „auf eine kurzfristige Intervention bei gesundheitlichen Großschadenslagen ausgerichtet und kann keine dauerhafte Struktur ersetzen“, schreiben die Personalräte.
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Ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung sagte auf Anfrage: „Wir sind im Gespräch und prüfen die Vorschläge, die gemacht wurden.“ Daniela Ortmann, Vorsitzende des Hauptpersonalrats im Land Berlin, sagte dem Tagesspiegel, sie erwarte, dass „Überstunden und Urlaubansprüche von Mitarbeitern erfasst werden. Es muss auch möglich sein, Urlaub am Stück zu nehmen.“
Verdi: Müller und Kalayci müssen Gespräche anbieten
Feierabend müsse Feierabend sein. „Die Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben muss beendet werden“, wies Ortmann auf die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen hin. „Die Lage für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Verwaltung muss sich dringend bessern.“ Versuche der Personalräte, mit der Hausleitung Gesprächstermine zu finden, seien in der Vergangenheit gescheitert.
Die Gewerkschaft Verdi fordert neben der Auflösung des Krisenstabs, dass auch andere Verwaltungen für die pandemiebedingten Aufgaben hinzugezogen werden und Mitarbeiter in die Gesundheitsverwaltung entsenden, um die dortigen Mitarbeiter:innen zu entlasten. „Der Berliner Pandemie-Krisenstab ist selber in Not geraten und braucht jetzt Hilfe, wir sehen dringenden Handlungsbedarf“, sagte die stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann. Man erwarte, dass der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Gesundheitssenatorin Kalayci dazu zeitnah Gespräche anbieten.