Ankunftszentrum für Flüchtlinge in Berlin: Hangars in Tempelhof sollen noch vor Weihnachten leergezogen werden
Nach schwerer Kritik an den Zuständen in den Tempelhofer Hangars scheint eine Lösung in Sicht.
Wie geht es weiter mit dem Ankunftszentrum für Flüchtlinge in den Hangars des Flughafens Tempelhof? Nicht erst seitdem auch Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) die Zustände dort scharf kritisiert hatte, stand diese Frage im Raum. Am Donnerstag nun sickerte eine Entscheidung durch: Noch vor Weihnachten soll laut einem Bericht der Zeitung „Neues Deutschland“ alle aktuell noch in den Gebäudeteilen des ehemaligen Flughafens lebenden Menschen - mehrere Hundert - an anderer Stelle untergebracht werden. Dem Bericht zufolge ist dafür die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau vorgesehen.
Endgültiges Ende für Tempelhof steht aus
Offiziell bestätigt wurde diese Meldung am frühen Donnerstagnachmittag von Regina Kneiding, Sprecherin Breitenbachs. Sie schränkte jedoch ein, dass der Umzug von aktuell 259 in den Hangars lebenden Menschen nicht das Ende des dortigen Ankunftszentrums sein wird. Registrierung und medizinische Erstuntersuchung werden auch weiterhin dort stattfinden. Erst wenn die von Breitenbach anlässlich der Verabschiedung eines Gesamtkonzepts zur Integration von Flüchtlingen angekündigte Zwischenlösung - die Einrichtung des Ankunftszentrums auf dem Gelände des Karl-Bonhoeffer-Klinikums - umgesetzt sei, gehöre die Unterbringung von Flüchtlingen in den Tempelhofer Hangars endgültig der Vergangenheit an.
Vom Vorhaben eines zeitweisen Leerzugs der Tempelhofer Hangars wurde unter anderem Georg Classen überrascht. Der Mitarbeiter des Berliner Flüchtlingsrates hatte die in den Hangars herrschenden Zustände zuletzt als „unmenschlich“ und „katastrophal“ gegeißelt. Es fehle an medizinischer Versorgung, Zugang zu Leistungen der Sozialbehörden, Sanitärbereichen, die diesen Namen verdienen und selbst an Bettdecken, die den Flüchtlingen bei Außentemperaturen unter dem Gefrierpunkt Wärme spenden, so Classen. Tatsächlich hatten in der vergangenen Woche Sozialarbeiterinnen mehrerer Hilfsorganisationen eine Art Brandbrief an das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) geschrieben. Darin beklagten sie die Zustände in den zuletzt mehrfach unter Quarantäne gestellten Hangars. Flüchtlinge kämen mit „den schlimmsten Diagnosen“ in ihre Einrichtungen, so eine Mitarbeiterin der Berliner Stadtmission im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Hochschwangere oder Menschen mit Diabeteserkrankungen würden in Tempelhof unzureichend versorgt und von den Krankenhäusern abgelehnt. Hinzu kämen Menschen mit psychischen Erkrankungen und Traumata, die dringend auf Behandlung oder Medikamente angewiesen sind. "Diese Menschen müssen gesehen werden, die können nicht vier Wochen warten, eigentlich nicht mal zwei Tage", so Dorothea Herlemann, Mitarbeiterin von Open Med Berlin.
Kritik am Flüchtlingsrat
Michael Elias, Chef der Tamaja GmbH, die das Ankunftszentrum in den Hangars betreibt, erfuhr vom bevorstehenden Leerzug ebenfalls aus der Presse. „Ich weiß gar nicht, wo das herkommt“, sagte Elias dem Tagesspiegel. In vorhergehenden Gesprächen hatte er erklärt, die Hangars würden sich für eine langfristige Unterbringung von Menschen nicht eignen. Gegen die Fundamentalkritik des Flüchtlingsrates jedoch nahm er seine Mitarbeiter in Schutz. Diese würden täglich alles geben, um unter den gegebenen Umständen das Beste für die Flüchtlinge rauszuholen. „Äußerungen wie die des Flüchtlingsrates führen zu großen Irritationen bei meinen Mitarbeitern“, so Elias. Diese fühlten sich persönlich diskreditiert.
In die Schlagzeilen geriet das Ankunftszentrum des LAF in den Tempelhofer Hangars vor allem deshalb, weil in Berlin ankommende Flüchtlinge häufig deutlich länger vor Ort verbleiben müssen als vorgesehen. Auf der Homepage des LAF heißt es zwar, bis zum Abschluss Ihrer Registrierung sind sie „für 2-3 Werktage im Flughafen Tempelhof untergebracht“. In der Realität verbringen sie dort aber drei bis vier Wochen – trotz deutlich gesunkener Zugangszahlen. Laut LAF sind bis zum 30. November 6753 Flüchtlinge in Berlin angekommen – etwa 600 im Monat. Im Jahr 2015, als die Lageso-Krise weltweit für Schlagzeilen sorgte, waren es 55.000 Flüchtlinge.
Kein Vertrag und Schulden
Unterdessen sorgt die Unterbringung von Flüchtlingen im ehemaligen Flughafen Tempelhof auch auf parlamentarischer Ebene für Gesprächsstoff. FDP-Politiker Stephan Förster kritisiert, dass zwischen Senatsverwaltung für Soziales und Tempelhof Projekt GmbH (TPG) – einer landeseigenen Firma zum Betrieb des ehemaligen Flughafengeländes – kein Vertrag über die seit Ende 2015 andauernde Nutzung der Hangars als Flüchtlingsunterkunft existiert. Ein entsprechendes Dokument befinde sich aktuell in der Abstimmung, heißt es in einer Antwort der Senatssozialverwaltung auf eine schriftliche Anfrage. LAF-Sprecherin Monika Hebbinghaus erklärte, der Vertrag liege unterschriftsreif vor. Mit einer Unterzeichnung sei jedoch in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen.
Förster, Sprecher für Bauen und Wohnen in seiner Fraktion, irritiert noch etwas ganz anderes. So heißt es in der Antwort: „Es ist zutreffend, dass noch Außenstände vorhanden sind.“ Will sagen: Das Land Berlin schuldet der TPG, die zur Freigabe der Hangars für die Unterbringung von Flüchtlingen angewiesen worden war, Geld. Wie viel genau, ist unklar. Die TPG verweist an die Senatsverwaltung für Soziales, diese wiederum auf den zur Unterschrift vorliegenden Vertrag, der alles Weitere regeln werde. Förster spricht angesichts der „schleppenden Bezahlung der aufgelaufenen Kosten für die Flüchtlingsunterkünfte“ von einem „Armutszeugnis des Senats“. „Da es ich bei den Mietschulden um Steuergelder handelt, hat die Senatsverwaltung hier vollständige Transparenz gegenüber dem Parlament als Haushaltsgesetzgeber herzustellen“, so Förster, der mit einer weiteren Anfrage dazu Auskunft verlangen will. Über die Höhe der bestehenden „Außenstände“ kann so nur spekuliert werden. Erst im September waren, auch das geht aus der Antwort Tietzes hervor, rund 4,787 Mio. Euro vom LAF an die TPG überwiesen worden.
"Teuerste Unterbringung in Berlin"
Der Fakt wiederum, dass für die Nutzung der Hangars monatlich 250.000 Euro Betriebskosten anfallen, die Kosten für den Sicherheitsdienst und die Betreuung durch Tamaja darin nicht enthalten sind, bringt Georg Classen vom Flüchtlingsrat zu dem Schluss: Der ehemalige Flughafen Tempelhof ist nicht nur die schlechteste, sondern vermutlich auch die teuerste Unterbringung in Berlin.“
Offen bleibt, ob das auf dem Gelände des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums vorgesehene Ankunftszentrum tatsächlich wie geplant Ende 2019 eröffnet werden kann. Eine auf der Homepage des LAF veröffentlichte „Anwohnerinformation zur Standortentwicklung Ankunftszentrum“ sagt etwas anderes. „Die Belegung beginnt voraussichtlich im I. Quartal 2020“, heißt es dort. Die „mit Hochdruck“ vorangetriebene Zwischenlösung könnte länger benötigt werden, als ursprünglich angekündigt.
Robert Kiesel