Franziska Giffey nennt Befund "schockierend": Hälfte der Drittklässler aus Neukölln kann nicht schwimmen
In Berlin können viele Grundschüler nicht richtig schwimmen, besonders ernst ist die Situation in Neukölln. Die designierte Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey spricht von "schockierenden" Zahlen. Einer der Gründe: Muslimische Eltern verbieten Töchtern den Schwimmunterricht. Jetzt ist ein Bußgeld im Gespräch.
In Neukölln kann rund die Hälfte der Kinder nach der dritten Klasse nicht schwimmen. „Das ist schockierend, das ist ja nur der Durchschnittswert“, sagt die Schulstadträtin und designierte Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). „In Nord-Neukölln liegt dieser Wert an einigen Schulen bei 70 Prozent.“ Der Hauptgrund dafür sei, dass viele Familien in dem Bezirk ihre Kinder nicht frühzeitig ans Wasser gewöhnten; die Schulen fangen dann in der dritten Klasse bei Null an.
Außerdem gebe es immer wieder Diskussionen mit muslimischen Eltern, die ihre Kinder, speziell die Töchter, nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen wollten.
Schwimmunterricht könnte Pflichtprogramm werden
Am Ende gelinge es Schulleitern aber meist, die Eltern umzustimmen. Der Bezirk will jetzt mit der Schwimmgemeinschaft Neukölln ein Projekt starten, Schüler schon in Klasse 2 ans Wasser zu gewöhnen.
Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) erwägt sogar, Eltern zu zwingen und notfalls Bußgelder zu verhängen, wenn sie nicht mitziehen. „Es ist eine Katastrophe, dass diese Kulturkompetenz des Schwimmens nicht weitergegeben wird“, sagt Liecke. Schwimmen sei nicht nur schön und mache Spaß, sondern könne auch Leben retten. Die Adipositas-Sprechstunde der Charité habe zudem eine Erhebung gemacht: Unter den fettleibigen Kindern haben 63 Prozent einen Migrationshintergrund. Die größte Gruppe stellen Türken mit 31,7 Prozent aller Fettleibigen.
Motorische Fähigkeiten der Schulanfänger verschlechtern sich
„Es ist ein großer Fehler von Eltern, die Kinder vom Schwimmunterricht fernzuhalten“, finden sogar die Grünen in Gestalt der sportpolitischen Sprecherin Anja Schillhaneck: „Das ist Unterricht, das ist Schule, das ist Pflicht.“ Dass es sich um ein Migranten- oder speziell Moslemproblem handelt, wollte sie so nicht stehen lassen: „Aus den Zahlen lassen sich die Gründe ja nicht ableiten.“
Ein paar Schlüsse erlauben die Zahlen aber schon. Aus einer parlamentarischen Anfrage vom Sommer geht hervor, dass die Zahl der Nichtschwimmer am Ende der dritten Klasse direkt korreliert mit der Zahl vor allem der türkisch- und arabischstämmigen Migranten im Bezirk. So können in Pankow mit 6,1 Prozent Nichtschwimmern fast alle Kinder am Ende der dritten Klasse schwimmen, in Neukölln hingegen können 40,2 Prozent nicht schwimmen. Studien haben ergeben, dass die motorischen Fähigkeiten der Berliner Schulanfänger sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert haben.
Aus der Anfrage geht auch hervor, dass das Verhältis des Elternhauses zum Sport und zum Schwimmen eine wichtige Rolle spielt: „Während insgesamt in Berlin 42,7 Prozent der Schüler zu Beginn der Jahrgangsstufe 3 Vorerfahrungen mit zielgerichteten Bewegungen im Wasser haben, liegt der Anteil im Bezirk Mitte bei nur 24 Prozent, im Bezirk Neukölln bei nur 24,8 Prozent und im Bezirk Marzahn-Hellersdorf bei nur 28,7 Prozent“, heißt es darin. Aber die Marzahn-Hellersdorfer Kinder holen den Rückstand auf: Am Ende der dritten Klasse können nur 12,7 Prozent nicht schwimmen.
Berliner Bäder sehen Mitschuld - und wollen schöner werden
Bäder-Sprecher Matthias Oloew sieht das Problem auch in den Bädern selbst. „Vielen Familien sind die Bäder nicht attraktiv genug, und das Wasser ist zu kalt“, sagt Oloew. In anderen Städten, zum Beispiel im Ruhrgebiet, gebe es auch viele Muslime und trotzdem weniger Nichtschwimmer – weil die Bäder einfach schöner seien. Daran werde gearbeitet.
Fatina Keilani