Gasstreit in Berlin: Gutachten: Gasnetzvergabe war rechtswidrig
Helge Sodan, Ex-Präsident des Berliner Verfassungsgerichts, kommt zu dem Schluss: die Gasnetzvergabe war rechtswidrig und muss wiederholt werden. Jetzt ist Finanzsenator Ulrich Nußbaum gefragt.
Das Auswahlverfahren zur Vergabe des Berliner Gasnetzes durch die Senatsverwaltung für Finanzen ist rechtswidrig und muss wiederholt werden. Zu diesem Schluss kommt der ehemalige Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes, Helge Sodan, in einer rechtlichen Beurteilung im Auftrag der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), die am Montag vorgestellt und auch allen Senatoren zugeleitet wurde.
Laut Sodan verstößt das Vergabeverfahren, nach dem das Versorgungsnetz von der Gasag-Tochter NBB an die landeseigene Gesellschaft „Berlin Energie“ übertragen werden soll, gegen das Diskriminierungsverbot und verletze außerdem das daraus resultierende Transparenzgebot. So enthalte der zweite Verfahrensbrief der Ausschreibung zahlreiche Unter- und Unterunterkriterien, ohne dass für die Bewerber deutlich geworden sei, welchen Anteil diese Auswahlkriterien an der Bewertung hätten.
Diese Einschätzung sei durch einschlägige Musterurteile des Bundesgerichtshofes belegt. Als Beispiel nannte Sodan die „willkürliche Mindergewichtung der Netzsicherheit“. Diese sei im Berliner Konzessionsverfahren nur mit 16 statt mit 25 Prozent der möglichen Gesamtpunktzahl im Musterkriterienkatalog bewertet worden. Außerdem könne sich „Berlin Energie“ nicht schon vor der geplanten Übernahme der NBB-Mitarbeiter auf deren Expertise berufen. Denn es sei fraglich, ob insbesondere leitende Mitarbeiter bereit seien, zum neuen Netzbetreiber zu wechseln.
Wiederholung ist nötig
Die Finanzverwaltung habe im Vergabefahren die einschlägige Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Schleswig-Holstein und des Bundesgerichtshofes ignoriert, sagte der Jurist. Sodan ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Freien Universität. Das Vergabeverfahren müsse deshalb ab dem zweiten Verfahrensbrief wiederholt wären. Ein jetzt mit „Berlin Energie“ abgeschlossener Vergabevertrag wäre nichtig, die Gasag könnte die Übergabe des Netzes verweigern oder mit Schadensersatzansprüchen „in erheblicher Höhe“ dessen Rückgabe einklagen.
Ein Vergabeentscheid des Senats sei aus diesen Gründen kurzfristig nicht möglich, erklärte UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck. Andernfalls drohe ein jahrelanger Rechtsstreit und in dessen Konsequenz ein Investitionsstau zulasten des Wirtschaftsstandorts Berlin. Er appellierte an den Senat, das Gesprächsangebot der Gasag anzunehmen, um alternative Lösungen wie Kooperationen zu prüfen. Dies sei auch ein Gebot der Fairness gegenüber dem seit 160 Jahren bestehenden Berliner Versorgungsbetrieb. Das Land Berlin sei dabei, der Gasag, die „in den letzten 15 Jahren bewiesen habe, dass sie den Betrieb des Gasnetzes wirtschaftlich und technisch zur allgemeinen Zufriedenheit der Kunden beherrscht“, die Konzession zugunsten eines „Newcomers ohne jegliche Erfahrung im Betrieb von Netzen“ zu entziehen.
Senat berät über Vergabe
Ob der Senat am heutigen Dienstag die Vergabe der Gaskonzession für zehn Jahre an die landeseigene „Berlin Energie“ beschließt, ist unklar. Dem Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) liegt, wie berichtet, ein 35 Seiten starker Fragenkatalog der Amtskollegen Cornelia Yzer (Wirtschaft) und Thomas Heilmann (Justiz) zu seiner umstrittenen Vergabeentscheidung vor. Nußbaums Sprecherin sagte dazu nur: „Wir haben die Fragen bekommen und werden sie beantworten.“ Ob rechtzeitig bis zur Kabinettssitzung am Dienstag, wie von der CDU gefordert, blieb weiterhin offen.
In der Staatssekretärskonferenz am Montag, die turnusmäßig die Senatssitzung vorbereitet, lieferten sich Justiz-Staatssekretär Alexander Straßmeir und Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhoff einen harten fachpolitischen Schlagabtausch. Einer Einigung in der Sache kamen sie dem Vernehmen nach nicht näher. Auf der Senatssitzung am Dienstag steht die Vergabe der Gaskonzession, die schon einmal vertagt wurde, „zur Erörterung“ auf der Tagesordnung.
Die christdemokratischen Senatsmitglieder warten nun ab, ob der Fragenkatalog vom Kollegen Nußbaum „hinreichend und plausibel“ beantwortet werde, verlautete aus Unionskreisen. Nur dann ergebe sich ein neuer Status quo. Auch wenn es zum Senatsbeschluss im Sinne des Finanzsenators kommen sollte, muss der Konzessionsvertrag noch vom Parlament genehmigt werden.