Plattenläden in Berlin: Gut aufgelegt
Zum Start der Plattenladenwoche im Heimathafen Neukölln erzählt Ärzte-Schlagzeuger Bela B., warum er Musik zum Anfassen braucht und noch immer in „die Kathedralen der wichtigsten Nebensache der Welt“ geht.
Musik zum Anfassen. Das ist heute schon fast eine Rarität geworden. In Zeiten von Streaming-Diensten und MP3 scrollt der Musikkonsument am Bildschirm durch lange Listen von Titeln und Interpreten. Die Auswahl ist unendlich, der Kaufprozess eine Sache von wenigen Minuten. Für Dirk Albert Felsenheimer ist das nicht unbedingt ein Fortschritt, wie er auf der Eröffnung der Berliner Plattenladenwoche im Heimathafen Neukölln am Montagabend sagte.
Der Berliner Rockmusiker, besser bekannt als Bela B., Schlagzeuger und Sänger der Band Die Ärzte, wünscht sich oft in alte Zeiten zurück. Als er in den 80ern noch in das „Musicland“ in Spandau ging und langsam durch die schwarzen Scheiben blätterte, die in den Regalen nach Musikstilen und Alphabet sortiert waren. 5000 Platten hat er zu Hause. Der Musikkauf ist für Bela B. ein heiliger Akt, eine Zeremonie. Deswegen geht er heute noch immer in „die Kathedralen der wichtigsten Nebensache der Welt“, wie er poetisch sagt. In seine „Kirchen der Musikwelt“, das sind für ihn die Plattenläden. Zwar werden es auch in Berlin immer weniger neben den großen Ketten Saturn und Media Markt mit ihren CD-Regalen, aber es gibt noch einige.
Bela B. erinnert sich noch genau, welche Scheibe sein Jungfernkauf war: Eine LP von Suzi Quatro. Auf dem Cover: drei Männer in dunklen Muskel-Shirts, biertrinkend und rauchend. Die amerikanische Rockmusikerin Suzi, ihre Arme lässig in die Hüfte gestützt, steht mittig vor ihren Bandjungs und guckt den Betrachter herausfordernd an. Die Sängerin trägt biederen Mittelscheitel, aber stilechte Rocker-Lederjacke. Das ist für Bela B. „ein geiles Cover“. Es ist immer noch eine seiner Lieblingsplatten. Fotos und Plattenhülle sind für Bela B. das, was „das Drumherum“ der Musik ausmacht. „Davon träumt immer noch jeder Musiker“, sagt er. „Einmal im Leben eine Platte rausbringen, sich selbst auf dem Cover sehen.“
Bis heute Kontakt zum ersten Plattendealer
Die eigene Musik, in den Händen zu halten, dieses Gefühl könnten Pixel nicht ersetzen, sagt er. Seine bislang letzte Platte: das neue Album von Tom Petty. Seine Lieblingsläden sind „Mr. Dead und Mrs. Free“ sowie „Vopo Records“ in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg, wo es vor allem Punk-Scheiben gibt. Der Plattenladen macht die Musik für Bela B. zu einem echten „Gefühlserlebnis“. Ein Laden lebt mit und von seinem Inhaber, der hinter dem Verkaufstresen steht, sagt er. Der Kunden berät, zuhört und auch mal „alte Schätzchen“ bestellt. Auch Bela B. hat seinen ersten Plattenhändler nicht vergessen. Noch heute halten sie „sporadisch“ Kontakt. Sein „Plattendealer“ habe ihn musikalisch geformt und auf Nick Caves Band Birthday Party hingewiesen. Erfahrungen, von denen Bela B. bis heute profitiert.
So geht es vielen Musikliebhabern. Sie wollen Musik nicht nur hören, sondern ein Gesamtkunstwerk, die Platte, in den Händen halten. Das bestätigen die Verkaufszahlen. Seit dem vorigen Jahr gehe es seit langem wieder aufwärts mit dem Plattenverkauf, meldet der Fachhandelsverband in Deutschland. Die Zahl der Platten, die über die Ladentheke gingen, sei um ein Drittel gestiegen. Was also kann die Platte noch toppen? Na klar: ein Konzert. Und davon gibt es bis Sonnabend einige in den Plattenläden der Stadt. Der Start am Montagabend im Heimathafen klang jedenfalls mit Bela B., Rainbirds, Bollmer, The Dead Lovers und Laith Al-Deen klang schon mal vielversprechend.
Die Plattenladenwoche geht noch bis zum 8. November. Mehr Infos unter www.plattenladenwoche.de
Hauptstadt der Platte: Vinyl ist überall in Berlin
CITY MUSIK, Charlottenburg
Früher gab es im Herzen der City-West eine Reihe von Plattenläden – zum Beispiel Bote & Bock, Fnac, Virgin, Wom oder „Die Schallplatte am Kurfürstendamm“. Heute handelt nur noch Saturn im Europa-Center mit Tonträgern – und City Music, seit 30 Jahren eine Institution. Zwar musste der Laden vor zwei Jahren aus dem inzwischen abgerissenen Schimmelpfeng-Haus am Breitscheidplatz ins Ku’damm-Karree, Kurfürstendamm 207, umziehen, doch an der Stellung des Ladens bei Musikfans aus aller Welt hat sich nichts geändert. www.citymusicberlin.de
RECORD LOFT, Kreuzberg
Im zweiten Hinterhof, Adalbertstraße 9, gibt es seit Januar ein kleines Paradies für Vinyl- Liebhaber. Kisten voller Platten stehen auf den Tischen, am Boden und in den Regalen, Wohnzimmeratmosphäre. Gewolltes Chaos, nennt Betreiber Christian Pannenborg das. 20.000 Platten stehen hier, die meisten kosten um die fünf Euro, der Preis ist in der Regel Verhandlungssache.
MUSIK DEPARTMENT, Prenzlauer Berg
Bernd Leyon verhilft seit mehr als 20 Jahren als Plattenhändler Vinylfreunden zu ihren Lieblingsscheiben – in seinem gut sortierten Laden in der Kastanienallee 41. Sein Faible für Schallplatten mit Berlin-Covern hat Leyon kürzlich in den Bildband „Berlin on Vinyl“ gegossen. www.musikdepartment.de
HARD WAX, Kreuzberg
Elektronische Tanzmusik wie Techno, Electro und House sowie Drum & Bass, Reggae und Dubstep auf Vinyl gibt es am Paul-Lincke-Ufer 44a in Kreuzberg. Einer der bekanntesten Kunden ist DJ Paul van Dyk. T-Shirts und andere Merchandisingartikel. www. hardwax.com
MR. DEAD AND MRS. FREE, Schöneberg
Der 40-Quadratmeter-Laden in der Bülowstraße 5 am Nollendorfplatz besteht seit 1983 und macht zwei Drittel des Umsatzes mit Vinyl. Zum Spektrum gehören Jazz, Reggae, Soul, Country, Blues und Folk. Hier kaufen auch Radio-DJs ein, Musiker spielen bei Gigs. www.deadandfree.com
PLATTEN PEDRO, Charlottenburg
Das größte Schallplattenantiquariat Deutschlands kauft und verkauft Vinyl seit 36 Jahren. Mehr als 110.000 Platten soll es am Tegeler Weg 102 geben, darunter einige Raritäten. Hier werden zum Beispiel auch Fans deutscher Schlager aus früheren Jahrzehnten fündig. www.platten-pedro.de
FIDELIO, Schöneberg
Seit rund 20 Jahren hat sich der Laden an der Akazienstraße 30 auf klassische Musik spezialisiert, auch Jazz und Weltmusik gibt es. Früher standen hier bis zu 20.000 Langspielplatten zur Auswahl, inzwischen machen aber CDs den größeren Teil des Sortiments aus.
OYE RECORDS, Neukölln/Prenzlauer Berg
Das Geschäft an der Oderberger Straße 4, Prenzlauer Berg, führt neue und gebrauchte Platten und CDs – vor allem Techno, Electro, House und Disco, aber auch Funk, Soul und Jazz. Eine Besonderheit ist die große Auswahl an Singles. Inzwischen gibt es auch einen Ableger in der Friedelstraße 49 in Neukölln. www.oye-records.com
DODO BEACH, Schöneberg
Er ist Millionär und zog bereits mit Kurt Cobain um die Häuser. Jetzt verkauft der Geschäftsführer von Trinity Music, Thomas Spindler, Schallplatten in Schöneberg – einfach aus Liebe. Dodo Beach, Vorbergstraße 8. www.dodobeach.deamy/CD