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Ausgebremst. Grünen Fraktionschef Volker Ratzmann, Parteichefin Bettina Jarasch, Fraktionssprecher Matthias Schröter und Fraktionschefin Ramona Pop am Mittwoch.
© dpa

Gescheiterte Koalitionsverhandlungen: Grüne ziehen Bilanz: Wowereit wollte den Bruch

Die Berliner Grünen geben der SPD die Schuld am Scheitern der Koalitionsverhandlungen. Kritik gibt es aber auch an Fraktionschef Volker Ratzmann.

Die Enttäuschung bei den Grünen ist spürbar, aber auch Töne der Erleichterung sind nach dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen zu hören. Zugleich gab es Kritik über die Verhandlungsgruppe. Vor allem dem Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, werden intern Fehler vorgeworfen. Mit seiner ultimativen Festlegung gegen den Ausbau der Autobahn A 100 drei Tage vor der Wahl habe er die Sondierungen von Anfang an erschwert. Ihm wird angelastet, zu unabgestimmten Alleingängen zu neigen, hieß es.

Unmittelbare Konsequenzen für den Fraktionschef, der schon 2006 bei den gescheiterten Verhandlungen mit der SPD eine Rolle spielte, werden nicht erwartet. Von Parteikennern war zu hören, Ratzmann strebe bei der Bundestagswahl 2013 ein Mandat an. Einige Grüne ärgerten sich, dass die Verhandlungen mit Klaus Wowereit (SPD) von einem engen Zirkel im relativ unerfahrenen Landesvorstand vorbereitet wurden. Die Kompetenz erfahrener Grüner, wie sie im vor kurzem abgeschafften erweiterten Landesvorstand vorhanden gewesen wäre, sei nicht genutzt worden.

„Absolut bedauerlich und schwer vermittelbar“, nannte der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland das Scheitern der Verhandlungen. Nach dem bisherigen Verlauf könne man aber nicht überrascht sein, sagte der frühere Berliner Justizsenator. Es sei nach 2001 und 2006 „das dritte Mal gewesen, dass mit Wowereit keine rot-grüne Koalition zustande gekommen ist“. Bundesweit sei aber schwer zu erklären, warum eine in Berlin gewünschte Koalition an drei Kilometern Autobahn scheitere. Wowereit, der die A100 nur knapp in der SPD durchsetzen konnte, habe nach der Devise gehandelt, „meinen Sieg über meine Partei lasse ich mir nicht wegnehmen“.

Für die Grünen sei es darum gegangenen, nach der Zustimmung zum Kraftwerk Moorburg in Hamburg und der Mosel-Hochbrücke mit der A100 nicht zum dritten Mal den „Makel Umfallerpartei“ zu haben – befürchtet würden Auswirkungen bei der Bundestagswahl 2013. Aus Sicht der Gesamtpartei hätte dies schwerer gewogen als eine gewünschte Regierungsbeteiligung in Berlin. Wieland, der die Festlegung gegen die A100 kurz vor der Wahl als ungeschickt bezeichnet hatte, gibt die Hoffnung auf eine erneute Wende nicht auf: „An eine Regierung Wowereit/Henkel glaube ich erst, wenn sie vereidigt ist.“

Dirk Behrendt, grüner Rechtsexperte und entschiedener Gegner der A 100, sagte: „Die Koalitionsverhandlungen sind nicht an der Autobahn gescheitert, sondern wohl eher daran, dass Wowereit eine sicherere Mehrheit im Abgeordnetenhaus will. Er traut seinen Fraktionsmitgliedern nicht.“ Rot-Grün hätte mit nur einer Stimme mehr regieren müssen, als die Opposition zusammenbekommen hätte. Behrendt hatte am 18. September in seinem Kreuzberger Wahlkreis mit 49,8 Prozent das beste Erststimmenergebnis der Stadt geholt. „Wowereit wollte keinen Kompromiss, er wollte den Bruch“, urteilt der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer: „Er hat Angst, von seinen eigenen Leuten keine Zustimmung zu bekommen und musste uns die Schuld in die Schuhe schieben, um Rot-Schwarz machen zu können.“ Die Grünen hätten sich bei der A100 bewegt, aber „wie Wowereit mit uns umgesprungen ist, war schlimmer als Koch und Kellner“. Cramer erinnerte daran, dass es in der ersten rot-grünen Koalition 1989 möglich war, einen Autobahnbau zu stoppen, Busspuren und Tempo 100 auf der Autobahn einzuführen sowie vier neue S-Bahn-Linien einzurichten. Wowereit falle hinter Walter Momper (SPD) zurück.

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende – derlei war am Mittwoch nur vereinzelt in grünen Bezirksverbänden zu hören. Benedikt Lux, Grünen-Abgeordneter aus Steglitz, wollte sich dem nicht anschließen: „Politiker wollen gestalten!“ Lux kritisierte die Zuspitzung beider Parteien auf den Autobahnausbau: „Berlin interessiert sich für andere Themen mehr.“ Er bedauere, dass es in der Politik oft darum gehe, Gesichtsverlust zu vermeiden: Die SPD-Führung wäre den Grünen deshalb nicht entgegengekommen, obwohl viele Genossen den A100-Ausbau selbst abgelehnt hätten. Eine „zerrissene SPD“ wird nun Probleme mit der CDU haben.

Politikwissenschaftler Richard Stöss von der Freien Universität sieht das ähnlich, kurz nach der Wahl hatte er gesagt, es gebe Drängenderes als die A 100. Dennoch: „Für die meisten Grünen gehört der Ausbau anders als in der SPD zur politischen Identität.“ Hätte die SPD nachgegeben, wären die Auswirkungen für sie selbst wohl überschaubar gewesen.

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