Bebauung der Berliner East Side Gallery: Grüne kritisieren: "Verheerender Baustein für Reichenghetto"
Teile des Berliner Mauerdenkmals sollen Luxuswohnungen weichen, die Bauarbeiten starten noch im Februar. Das sagen Politiker, Investoren und Aktivisten dazu.
Der aktuelle Streit um die East Side Gallery ist eine typische Berlin-Geschichte. Die Protagonisten, die hier aufeinander stoßen, erinnern an Rigaer Straße, Bethanien oder Cuvrybrache: Investoren, die in diesem Fall ab diesem Monat auf einem Teil des ehemaligen Todesstreifens direkt neben dem einst gleichfalls heftig umstrittenen Wohnturm „Living Levels“ einen Hotel- und Apartmentkomplex bauen wollen, das Projekt „Pier 61-63“.
Bezirkspolitiker, die sich vom Senat im Stich gelassen fühlen. Eine Bürgerinitiative, die sich einen Begegnungsort für Künstler und Zivilgesellschaft wünscht, mittlerweile aber selbst gespalten ist. Nun scheint das Ringen um den Mauerstreifen entschieden zu sein. Sechs Beteiligte erzählen:
Die Politiker
Für Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) ist die Bebauung des Streifens vor der East Side Gallery „ein trauriges Kapitel der Stadtentwicklungsgeschichte“ und der „letzte und symbolisch verheerendste Baustein im Rahmen einer Quartiersentwicklung zum Reichenghetto“.
Mit dieser Sicht ist er nicht allein, doch die Bezirksverordnetenversammlung lehnte im vergangenen Dezember mit 20 zu 19 Stimmen ab, das Bebauungsplanverfahren für das geplante Projekt Pier 61-63 wiederaufzunehmen. Die Mehrheit der BVV-Mitglieder befürwortet den Bau, lediglich die Grünen und zwei Linke stimmten dagegen. Die Baugenehmigung war 2014 dem damaligen Investor von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erteilt und 2016 bis Februar 2018 verlängert worden. Für eine Intervention also reichlich spät.
Auf 60 Millionen Euro schätzte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber der BVV die Summe, die bei der Nicht-Bebauung vom Bezirk beziehungsweise vom Land getragen werden müsste. Stadtrat Schmidt kritisiert: „Es gab keine Auskunft vom Senat, ob ihm das Thema überhaupt etwas wert ist. Auf meine Frage kamen sehr formale Antworten, dass hierfür keine Gelder zur Verfügung gestellt werden, nicht mal die Summe wurde bewertet.“
Zwar beschloss der Senat im Koalitionsvertrag, die East Side Gallery durchgehend zu erhalten und mit den Investoren über Ausgleichsgrundstücke zu verhandeln. Im Sommer 2017 erklärte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aber nach einer Anfrage des Grünen-Abgeordneten Daniel Wesener: „Für das Gebäude gibt es eine Baugenehmigung, der entsprechend die Errichtung erlaubt ist.“ Dem Tagesspiegel sagte die Sprecherin der Verwaltung, Katrin Dietl: „Ein Ersatzgrundstück konnte nach Rücksprache der beteiligten Senatsverwaltungen leider nicht angeboten werden.“
Die Diskussion sei jahrelang verschleppt worden, bedauert Werner Heck (Grüne), der die Wiederaufnahme des Verfahrens in die BVV eingebracht hatte. Ihm fehle eine klare Position des Senats zur East Side Gallery: „Es heißt immer, man könne die Bebauung nicht verhindern. Man kann schon, es wird bloß einfach teuer“, sagt Heck. „Es handelt sich hier um das drittmeistbesuchte Denkmal in Berlin. Die Frage ist, ist es uns das wert oder nicht?“
Eine Option gebe es noch, meint er: Man müsse überprüfen, ob der Besitzer der Mauer wegen Verstoßes gegen das Denkmalschutzgesetz klagen könne. Da die Stiftung Berliner Mauer bald die East Side Gallery übernehmen soll, ist die Zuständigkeit dafür zur Zeit in der Schwebe.
Die Investoren
„Die Baugenehmigung ist gültig, wir bauen gesetzeskonform“, sagt der Geschäftsführer der Trockland GmbH, Heskel Nathaniel. Die Projektentwicklungsgesellschaft führt die Bebauung in einem Joint Venture mit einer internationalen Investorengemeinschaft durch, deren Mitglieder anonym bleiben und ihre Anteile nicht kommunizieren wollen. Trockland hält ebenfalls Anteile und entwickelt das Projekt für alle Eigentümer.
Medienberichte über einen Streit mit den Bewohnern des Nachbarwohnturms Living Levels, der optisch an das Kult-Spiel Jenga erinnert, dementieren die Investoren: „Es gab drei Klagen, darunter die Klagen der Eigentümergemeinschaft und einer Einzelperson gegen die Baugenehmigung“, sagt Vitali Kivmann, der die internationalen Investoren vertritt.
„Wir haben diese Klagen so verstanden, dass wir die Nachbarschaft bei den Bauarbeiten schützen sollen. Wir sind schließlich in Nachbarschaftsverhandlungen mit den Bewohnern eingetreten und konnten mit der Zusicherung der notwendigen Schutzmaßnahmen ihre Klagen abwenden.“
Behördensprecherin Dietl bestätigt, dass die beiden Klagen zurückgenommen worden seien und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Ende Dezember 2017 darüber informiert wurde. Diese waren Ende 2016 gegen die Verlängerung der Baugenehmigung für die Mühlenstraße 61-63 eingereicht worden, unter anderem wegen der Abstandsflächen und Beeinträchtigung des Gebietscharakters. Living-Levels-Investor Maik- Uwe Hinkel wollte sich dazu gegenüber dem Tagesspiegel nicht äußern. Auch die Wohnungseigentümer, die wegen der Bebauung geklagt hatten, möchten anonym bleiben.
2021 soll der Pier 61-63 mit 167 Hotelzimmern und 62 Wohnungen fertig sein. Auf eine von rund 43.000 Menschen unterschriebene Online-Petition gegen das Vorhaben angesprochen, sagt Nathaniel: „Die Petition richtet sich nicht gegen uns, sondern gegen die Entscheidung des damaligen Senats, das Grundstück zu bebauen.“
Mit den Aktivisten hätten die Investoren sich vertraulich ausgetauscht. „Diese Entscheidung fiel weit bevor wir eingestiegen sind. Wir haben die Bebauung nicht erwirkt.“ Ein Ausgleichsgrundstück lehnt er ab. „Wir haben Finanzierung, Pächter, Bauvertrag, der Zug ist längst abgefahren“, so Nathaniel
Anders als ursprünglich vorgesehen, werde man Miet- statt Eigentumswohnungen bauen. Ein „Beitrag“ zur Stadt, denn Berlin brauche Wohnungen, kommentiert der Trockland-Chef. Die Vermietung dürfte in der erstklassigen Uferlage äußerst ertragreich sein. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung im achten Stock des Nachbarturms wurde zuletzt auf einem Immobilienportal für rund 1540 Euro Kaltmiete angeboten. Über das Preissegment der Mieten und Hotelzimmer am Pier 61-63 äußern sich die Investoren nicht.
Ihr Sprecher Vitali Kivmann äußert Verständnis für die Kritiker des Projekts: „Wir haben es hier mit einem Baugrund zu tun, der eine sensible Vorgehensweise erfordert. Uns ist bewusst, dass die Menschen besorgt darum sind. Wir werden behutsam damit umgehen und der Mauer keinen Schaden zufügen.“
Einen vier Meter breiten Uferweg müssen die Investoren laut Baugenehmigung herrichten, um damit beide bestehenden Grünanlagen an der East Side Gallery miteinander zu verbinden. Sie müssen zudem eine neue Grundstückszufahrt erstellen. Damit werden, anders als ursprünglich im Gespräch, beide Grundstücke eigene Zufahrten durch zwei einzelne Mauerlücken erhalten – statt einer gemeinsamen.
Die Aktivisten
Gegen die Bebauung sammelte das Bündnis „East Side Gallery retten“ mit seiner Online-Petition zehntausende Unterschriften und mobilisierte Mauer-Paten David Hasselhoff, der die Aktivisten in einer Videobotschaft unterstützte. Die Mühe scheint vergebens, denn dem Baubeginn haben die Aktivisten nichts mehr entgegenzusetzen. Was bleibt, ist die Mauer.
Reto Thumiger, Mitglied der Bündnis-Gruppe „Monument to Joy“, die fünf bis zehn Aktive umfasst, sagt: „Wir denken, das Denkmal gehört den Menschen. Deshalb wollen wir mit den Menschen für die Menschen ein Denkmal an die Freude mit Blick auf 1989 gestalten.“
Dieses Ziel sehen die Aktivisten durch die Übergabe der Mauer an die landeseigene Stiftung Berliner Mauer gefährdet. Sie betreibe „eine negative Erinnerungskultur“, findet Thumiger. Die Gedenkstätte Bernauer Straße gilt als ernster Gedenkort. Die Galerie stehe dagegen für einen positiven Ansatz der Erinnerungskultur, für die friedliche Überwindung von Grenzen. Die Aktivisten von „Monument to Joy“ fordern ein „lebendiges Denkmal“, etwa mit einer Speakers Corner und einem kleinen Amphitheater für Konzerte oder Theaterstücke.
„Das einzige, was jetzt noch passieren könnte, ist, dass die Berliner sich aufraffen und das Gelände besetzen“, sagt Thumiger. Die Aktivisten kritisieren, dass ein möglicher Verstoß gegen den Denkmalschutz durch das Bauprojekt nicht öffentlich diskutiert worden sei.
Abgesehen von der Petition und offenen Briefen an den Senat planen sie gegenwärtig keine Aktionen. „Aus meiner Einschätzung ist es auch gar nicht realistisch, jetzt noch eine Demo auf die Beine zu stellen“, sagt er. An ihren Zielen halten sie jedoch weiterhin fest.
Clubkommission-Chef Sascha Disselkamp, der bereits 2013 Proteste gegen den Bau der Living Levels organisierte, ist mittlerweile aus dem Bündnis „East Side Gallery retten“ ausgetreten. Zerwürfnisse mit anderen Aktivisten führt er an, aber auch die fehlende Perspektive: „Die Würfel sind gefallen. Ich sehe keine Möglichkeiten für weitere Aktionen, um eine Bebauung zu verhindern.“
Eine Besetzung des Grundstücks hält Disselkamp für wenig aussichtsreich: „Der Investor wird sein Hausrecht ausüben, das Grundstück räumen und schließlich bebauen.“ Natürlich stehe er noch hinter dem Ziel, die Bebauung zu stoppen, doch nicht mehr als Teil des Bündnisses: „Die Luft ist raus.“