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In der JVA Tegel laufen Ermittlungen.
© dpa
Update

Gefängnis in Berlin-Tegel: Grüne fordern Aufklärung in Schmuggel-Affäre

Insassen beschuldigen Beamte, auch der gerade entlassene Busentführer Dieter Wurm kritisiert eine "Beamten-Klau-Mafia". Die Grünen fordern Aufklärung von Justizsenator Heilmann.

Nach Bekanntwerden der Schmuggelaffäre in der JVA Tegel fordert Dirk Behrendt, rechtspolitischer Sprecher der Berliner Grünen, Aufklärung von Justizsenator Heilmann. "Die Vorwürfe eines Schmuggels durch womöglich mehrere Bedienstete wiegen schwer. Sie müssen schnell und umfassend aufgeklärt werden", teilte Behrendt mit.

Über die Schmuggelaffäre hatte als erstes der Tagesspiegel in seiner Ausgabe von Dienstag berichtet:

Die Polizei ermittelt gegen einen Mitarbeiter der JVA Tegel, der gegen Bezahlung mehrfach verbotene Gegenstände in das Gefängnis geschmuggelt haben soll. Justizsprecherin Claudia Engfeld bestätigte am Montag entsprechende Informationen des Tagesspiegels.

Die Hintergründe des Falls sind selbst für Tegeler Verhältnisse bemerkenswert: Den entscheidenden Hinweis zu diesem Beamten hat einer der bekanntesten Gefangenen geliefert. Am 13. Mai führte Timo Funken, ehemaliger Redakteur der Gefängniszeitschrift „Lichtblick“, der Anstaltsleitung einen Teil eines Videos vor, in dem der Beamte in einer Privatwohnung zu sehen ist – nach Funkens Angaben bei einer Geldübergabe. Zudem sollen Gefängnisbedienstete Produkte aus den Werkstätten der JVA Tegel herausgeschmuggelt und "draußen" verkauft haben.

„Wir haben noch am selben Tag die Polizei informiert“, sagte Engfeld am Montag. Dem Vernehmen nach wollte Funken von der JVA Tegel einen Deal: Haftlockerungen und eine Verlegung nach Bremen gegen diese Information. Denn der 2008 zu einer langen Haftstrafe verurteilte Betrüger hatte schon 2015 Schlagzeilen gemacht: Er war am 31. Juli von einem Ausgang nicht zurückgekehrt, der Tagesspiegel hatte die Flucht damals öffentlich gemacht. Erst am 18. Dezember war er in Hamburg wieder festgenommen worden.

"Keine Hinweise auf ein Netzwerk"

Durch diese Flucht verlor der 44-Jährige natürlich alle Vergünstigungen. Die JVA Tegel ging auf den von ihr so genannten „Kuhhandel“ nicht ein. Funken selbst bestreitet, dass er einen Deal angestrebt habe. Auf Bitten der Polizei verzichtete die Anstalt bislang auf disziplinarrechtliche Sanktionen, um den Beamten nicht zu warnen. Dem Vernehmen nach wurde er durch eine fingierte Umstrukturierung an einen anderen Arbeitsplatz versetzt, damit er keine weitere Taten begehen kann. Die Ermittlungen laufen noch.

Kontrolliert werden Bedienstete beim Betreten und Verlassen des Gefängnisses nicht. 2015 wurden in Tegel 335 Mobiltelefone beschlagnahmt, seit vielen Jahren geht das Gerücht, dass neben Anwälten auch Bedienstete an dem regen Schmuggel beteiligt sind.

Justizsprecherin Engfeld betonte, dass nur ein Beamter verdächtigt werde: „Mit Stand Montag gibt es keinen Hinweis auf ein Netzwerk.“ Allerdings fürchtet sich die Justiz vor Dienstag: Da soll abends im ZDF bei "Frontal 21" ein Bericht über den Fall ausgestrahlt werden, in dem möglicherweise das komplette Video gezeigt wird. Haftende für Funken ist der 18. November 2020. Der als hochintelligent eingeschätzte Betrüger hatte für den "Lichtblick" unter anderem Justizsenator Thomas Heilmann und Oberstaatsanwalt Ralph Knispel interviewt.

Nach dem Artikel im Tagesspiegel veröffentlichte die Gefangenengewerkschaft eine Stellungnahme unter dem Titel „Kriminelle Beamten-Klau-und-Schmuggel-Mafia in der JVA Tegel-Berlin". Offenbar gebe es "seit Jahren einen schwungvoller Handel unter JVA-Bediensteten mit Produkten und Materialien", heißt es darin.

In einer Mail an den Tagesspiegel schrieb der gerade entlassene Busentführer Dieter Wurm: "Ich habe selbst miterlebt, wie die Beamten klauen und lügen und betrügen." Nach seinen Angaben funktioniert der "Tegeler Ringtausch" so: Die vielen von Gefangenen produzierten Waren werden unter den Bediensteten regelrecht getauscht und können per Lastwagen ohne Kontrolle nach draußen gebracht werden. "Die JVA hat überhaupt keine Kontrolle über die Sachen: also wer was wie produziert, schreibt niemand auf und überprüft keiner. So ist es üblich, dass Beamte sich selbst bedienen", schreibt Wurm an den Tagesspiegel. Wurm war im April nach 13 Jahren Haft entlassen worden, er kennt die Anstalt also gut.

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