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Bestens informiert. 2015 wurden in den Gefängnissen in Berlin 1426 Handys gefunden, davon 335 in der JVA Tegel.
© Kitty Kleist-Heinrich

Handy-Dealer in der JVA Berlin-Tegel: Beamte sollen Geschäfte mit Gefangenen machen

2015 wurden in der JVA Tegel 335 Handys gefunden, dabei sind sie verboten. Mitarbeiter sagen, auch Beamte verkauften die Geräte.

Da ist die Geschichte mit der Briefmarke. Die Briefmarke ist ein Test, die erste, die kleinste Stufe. „Aber wenn er gelingt“, sagt Jörg Winter*, „dann hat der Gefangene einen Fuß in der Tür.“ Und irgendwann, in der letzten Stufe, ein Handy in der Hand.

Winter ist ein hagerer Mann, Mitte 50, der Scheitel akkurat gezogen. Er sitzt in einem Restaurant, stochert mit der Gabel in seinem Reis und erzählt von dem Test. Winter arbeitet seit Jahrzehnten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, er kennt den Test bestens.

Er geht so, der Test: Der Gefangene erzählt einem Vollzugsbeamten, dass er einen wichtigen Brief an die Ehefrau geschrieben und leider keine Marke zu kleben hat. Ob ihm der Beamte nicht eine Marke besorgen könne, ist doch wirklich kein Aufwand. Oder, Variante zwei, ob der Beamte den unfrankierten Brief nicht einfach bei der Frau einwerfen könne. Liege doch auf dessen Heimweg. Das wisse er doch, der Gefangene. Hat er doch mitbekommen.

Rund 850 Gefangene sitzen derzeit in Tegel

„Wenn der Beamte nachgibt, weiß der Gefangene, dass es der andere mit Vorschriften nicht so genau nimmt“, sagt Winter. Die Vorschrift verbietet einem Beamten jede Geschäftsbeziehung zu einem Gefangenen. Er darf auch keinen Gefallen erfüllen. „Nach dem ersten Versuch steigern sich die Wünsche“, sagt Winter. „Der Beamte hat sich nun erpressbar gemacht. Später verlangt der Gefangene ein Handy. Gegen Geld natürlich.“

Martin Grotewohl* arbeitet auch seit Jahren in der JVA Tegel. Ein Mann Mitte 40, pummelig, die Haare etwas wirr, aber sein Lächeln ist gewinnend. Er kennt die Tarife hinter den JVA-Mauern. „Ein Handy, das draußen gebraucht noch 20 Euro kostet, bringt im Knast 150 Euro.“ Grotewohl schätzt, „dass jeder zweite Gefangene in der JVA ein Handy besitzt“.

Rund 850 Gefangene sitzen derzeit in Tegel, etwa 800 waren es im vergangenen Jahr. 335 Handys wurden 2015 dort bei Gefangenen gefunden. In allen Haftanstalten in Berlin waren es 2015 insgesamt 1426. Dazu kamen in Tegel 1,6 Kilogramm Cannabis, 99 Gramm Heroin und 32 Gramm Kokain. In allen Haftanstalten zusammen waren es 3,7 Kilogramm Cannabis und 108 Gramm Heroin.

Vollzugsbeamte verkaufen Handys

Die Zahlen hat die Senatsverwaltung für Justiz mitgeteilt, auf Anfrage des Tagesspiegels und auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Sven Kohlmeier. Aber sie müssen ja auch in die Anstalten kommen, die Handys, die Drogen, irgendwie. Und wie? Die Senatsverwaltung sagt, „Gefangene aus dem Drogenmilieu der Organisierten Kriminalität nutzen erfahrungsgemäß alle sich ihnen in einer Anstalt bietenden Freiräume zur Bedienung anstaltsinterner Drogenmärkte. Derartige Gefangene sind in den Anstalten Tegel und Moabit konzentriert.“

Und bei Handys? Wo sind da die Freiräume? Es gibt Besucher, die Geräte einschmuggeln. „Wir können nicht jeden komplett kontrollieren“, sagt Winter. Und es gibt Würfe über die Anstaltsmauern. Aber nur wenige. Die Gefahr, dass der Falsche ein Handy findet, ist zu groß.

Und dann ist da noch ein Punkt. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Vollzugsbeamte Handys verkaufen“, sagt Winter. Die Gabel hat er jetzt hingelegt, der Blick ist konzentriert. „Das passiert immer wieder, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Das ist organisierte Kriminalität.“ Gut, „es sind nur wenige, schwarze Schafe, aber natürlich gibt es sie. Das zeigen ja die Erfahrungswerte.“

335 konfiszierte Handys in der JVA Tegel

335 konfiszierte Handys in einem Jahr? „So viele können gar nicht durch Würfe oder durch Besucher reingeschmuggelt werden“, sagt Winter. Blieben also als Quelle noch JVA-Mitarbeiter. „Die Gefangenen bekommen doch mit, wer in finanziellen Nöten steckt. Die hören Gespräche oder Telefonate.“

Grotewohl sagt: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass Beamte Handys an Gefangene verkaufen.“ Ein offenes Geheimnis? Claudia Engfeld, die Pressesprecherin von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), sagt: „Konkret ist in den letzten drei Jahren in der JVA Tegel ein Fall einer Bediensteten bekannt geworden, die u.a. Handys für Inhaftierte eingebracht haben soll. In diesem Fall dauern die staatsanwaltliche Ermittlungen an.“ Auch in anderen Anstalten seien dies „Ausnahmefälle“.

Für Karsten Zeh* sind es keine Ausnahmefälle. Er saß vor einiger Zeit in einer Zelle der JVA Tegel. Er sagt nicht warum, bei diesem Thema ziehen sich die Augen unter der Baseballkappe zusammen. Zeh ist 38 Jahre alt, ein muskulöser Mann in Jeansjacke, der jetzt in Spandau in einem Schnellimbiss vor einem Pappbecher mit Kaffee sitzt. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Handys über Bedienstete reinkommen“, sagt er auch. Und ja, die Briefmarke, das sei ein Test.

Kinderpornos entdeckt

Er selber, behauptet er jedenfalls, habe sich kein Handy besorgt. Aber er habe das System gesehen, bei anderen Gefangenen. „Fast immer geht der Gefangene auf den Beamten zu.“ Die erste Testphase, sehr konspirativ. Der Kreis der Mitwisser bleibe klein. Und das System funktioniere über Zwischenhändler.

Der Gefangene, der von dem Beamten die Handys kaufe, verkaufe diese weiter. Er sei der Ansprechpartner für andere Gefangene, bei ihm könnten sie ein bestimmtes Modell bestellt oder gleich kaufen. „Das ist professionell organisiert.“ Manchmal deponiere der Zwischenhändler die Handys in der Zelle eines anderen Gefangenen. „Als Gegenleistung gibt’s dann Kaffee oder Tabak.“ Zwischenhändler, sagt Zeh, seien meist Gefangene mit langjährigen Haftstrafen. Leute, die Zeit hätten, Beamte zu testen, um den richtigen zu finden.

Ob es wirklich so läuft, ist schwer zu sagen. Fest steht, dass in Tegel heftig telefoniert wird. Es gab den Häftling, der abends in der Zelle seinem Kind aus einem Märchenbuch vorlas. Es gab Pädophile, die Kinderpornos herunterluden. Es gibt Zocker, die mit ihren smartphones Online-Poker spielen. Es gibt Häftlinge, die auf einem Dating portal surfen. Alles Geschichten, die Grotewohl und Zeh erzählen.

Die Kinderpornos wurden nach einer Razzia entdeckt. Ein Kollege von Grotewohl stieß beim Auslesen des Handys auf die Bilder. „Danach litt der Mann unter Schlafstörungen“, sagt Grotewohl. Konfiszierte Handys werden immer ausgelesen, eigentlich auf der Suche nach sicherheitsrelevanten Punkten. Drogenhandel, Fluchtpläne, Bedrohungen, solche Dinge. Aber manchmal stoßen Beamte dann auf fürchterliches Material.

Die Geschichte mit den Kinderpornos bestätigt Claudia Engfeld, die Pressesprecherin. „In zwei Fällen wurden in der JVA Tegel in den letzten drei Jahren bei gefangenen Smartphones mit kinderpornografischen Speicherinhalten sichergestellt. In den beiden genannten Fällen wurden Strafanzeigen erstattet.“

Das Geld wird auf das Haftkonto des Händlers gezahlt

Die Suche nach verbotenem Material ist ein permanenter Kampf um Kontrolle. Es gibt Handyfinder, ein elektronisches Gerät, das ausschlägt, wenn ein Handy angeschaltet ist. Außerdem, sagt Claudia Engfeld, „Durchsuchungen von Gefangenen bei Zuführung, Kontrollen der Besucher, von Fahrzeugen, des Brief- und Paketverkehrs sowie der Bekleidung.“ Na ja, sagt Winter, „trotzdem wir finden sicher nur die Hälfte aller Geräte.“

Die Geräte müssen aber ja auch bezahlt werden. Und 150 Euro hat ein Häftling nicht einfach in der Zelle liegen. „Na und?“, sagt Grotewohl. „Da pumpt man dann die Oma an und die überweist aufs Haftkonto der Gefangenen.“ Eine andere Methode, sagt Karsten Zeh, sei die Direktüberweisung. „Da wird Geld von einem Angehörigen direkt aufs Konto des Zwischenhändlers gezahlt. Mit dem Vermerk: ,Schöne Grüße von Peter’.“

Wenn Peter also grüßen lässt, dann klingt ein Pilotprojekt des Senats etwas seltsam: ein eingeschränkter Internetzugang für Inhaftierte. SPD und CDU möchten, dass Häftlinge „unter besonderer Beachtung der besonderen Sicherheitserfordernisse des Justizvollzug“ zuvor ausgewählte Seiten nützen dürfen. Alles, was der Resozialisierung dient. Seiten der Arbeitsagentur, Wohnungsportale, Wikipedia, so etwas. An die Seiten dürfen erstmal auch nur „ausgewählte Inhaftierte einer Teilanstalt in Heidering unter genau definierten Rahmenbedingungen“.

Ja, aber 1426 gefundene Handys, läuft das Pilotprojekt der Praxis nicht hoffnungslos hinterher? „Nein“, sagt Cornelia Seibold, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU. „Die Handyblocker, die es in den Anstalten in Teilen bereits gibt, werden auch weiterhin ausgeweitet. Damit wird das Einschmuggeln von Handys immer unattraktiver.“

Bedienstete werden nicht ohne Anlass kontrolliert

Das mag für Freigänger oder Besucher gelten. JVA-Mitarbeiter aber werden ohne konkreten Anlass nicht kontrolliert. Eine permanente Kontrolle, sagt Justizsprecherin Engfeld, „würde einen Generalverdacht von Justizbediensteten implizieren und lässt sich nicht mit dem Fehlverhalten Einzelner begründen.“

Das Pilotprojekt? Da lacht Winter auf. „Wer denkt, dass man den Internetzugang kontrollieren kann, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

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