Streit um den Tagebau: Gottes Wort statt Vattenfalls Bagger
Viele Menschen in der Lausitz fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Die Kirche organisiert den Widerstand gegen den näher rückenden Tagebau.
Auf den ersten Blick wirkt das kleine Dorf Atterwasch kurz vor der polnischen Grenze in der Lausitz wie ausgestorben. Kein Mensch und kein Auto ist auf der Dorfstraße zu sehen. Nicht einmal ein Rasenmäher brummt, und selbst das Postauto biegt vor dem Ortseingang ab. Die Wahlplakate wirken etwas seltsam, fordern die Parteien darauf doch „bezahlbaren Vereinssport“ oder „Schützen statt Blitzen“. Doch es gibt einen Hinweis, dass hier jemand leben muss: Beide Türen zur Kirche stehen weit offen, ebenso der Eingang zum großen Garten. Vor dem Altar brennen drei Kerzen.
Da tritt schon der Pfarrer hinzu, reicht die Hand zur Begrüßung. „Die drei Kerzen brennen für unsere drei Dörfer, die vom Tagebau geschluckt werden sollen“, sagt Mathias Berndt. „Neben Atterwasch will Vattenfall auch Kerkwitz und Grabkow beseitigen.“ 900 Menschen müssten weichen, damit die Bagger an die Kohle unter den Häusern kommen könnten. Das Kraftwerk Jänschwalde, für Umweltschützer eine der größten „Dreckschleudern Europas“, liegt in Sichtweite.
Der 64-Jährige lädt zum weiteren Gespräch ins benachbarte Pfarrhaus ein. Papiere, Plakate, Postkarten und Zeitungsartikel deuten darauf hin, dass hier die „Zentrale des Widerstandes“ gegen die schon vor sieben Jahren erstmals angekündigte Abbaggerung ist. „Hier laufen alle Fäden zusammen. Wir wollen unsere Heimat nicht aufgeben“, sagt Pfarrer Berndt. Die evangelische Kirche hat Berndt deshalb auf eine „Sonderpfarrstelle“ nach Atterwasch geschickt. Es bestehe hier ein „erhöhter Seelsorgebedarf“. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern und zweifache Großvater erzählt von vielen Gesprächen mit Einwohnern gerade vor der Landtagswahl. Keine Partei sei direkt im genau 197 Einwohner zählenden Atterwasch aufgetreten. Nur im benachbarten Guben musste sich Dietmar Woidke von den Tagebaugegnern Pfiffe gefallen lassen. Viele Einwohner wüssten noch immer nicht, wen sie am Sonntag wählen sollen, sagt der Pfarrer, der keine Empfehlung abgeben darf. „CDU und SPD sind für die Braunkohle und die Linken tricksen ständig herum. Nur die Grünen sprechen sich zwar eindeutig gegen neue Tagebaue aus, aber die haben im Osten wegen ihrer strengen Naturschützer einen schweren Stand“, schildert Berndt die Situation.
Nicht nur deshalb sei die Stimmabgabe am Sonntag spannend. „Der Streit um die Braunkohle hat nicht wenige Familien regelrecht zerrissen.“ Die jungen Leute, die fast ausnahmslos wegen fehlender Jobs weggezogen seien, würden ihren Eltern und Großeltern zum Verkauf der Häuser und Grundstücke an Vattenfall raten. Das Geld, so glaubten sie, reiche anderswo für eine neue Existenz. Die Alten aber hingen an ihrer Heimat. „Sie sind einfach stolz darauf, was sie in ihrem Leben geschaffen haben, und wollen sich diese Leistung nicht einfach zerstören lassen“, erzählt der Seelsorger.
Genau deshalb stünden die Türen zum Gotteshaus jederzeit offen. Schließlich würden sich viele Einwohner mit Rat- und Kraftlosigkeit und manchmal auch mit Suizidgedanken plagen. Die Kirche mische sich nach den Erfahrungen aus der Wendezeit ganz bewusst ein. „Es geht schließlich um die Bewahrung der Schöpfung“, sagt Pfarrer Berndt. „Schließlich haben wir auch in der Wendezeit 1989 mit Kerzen symbolisch die Panzer zurückgehalten und erst vor wenigen Jahren ein neues Bombodrom in der Ruppiner Heide verhindert.“
Draußen herrscht weiter Stille. Der Wind zerrt an den Wahlplakaten. Die sind in den nächsten Tagen sicher verschwunden – anders als die Sorgen in Atterwasch.