Rot-Rot-Grün in Berlin: Gespaltene Koalition
Der „Fall Holm“ erzürnt die Grünen und spaltet die Sozialdemokraten. Nur die Linken sind mit sich im Reinen. Michael Müller nennt die Debatte eine "Belastung".
"Es ist ja kein Geheimnis, dass die Debatte um den Staatssekretär Andrej Holm für die Koalition eine Belastung ist. Ich hoffe sehr, dass die Linkspartei weiter selbstkritisch damit umgeht.“ Diese zwei Sätze rang sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Montag auf einer Pressekonferenz der Technischen Universität ab. Der Frage eines Journalisten konnte Müller, der auf den „Fall Holm“ bisher sehr einsilbig reagierte, an dieser Stelle nicht ausweichen.
Eigentlich war es ein vorweihnachtlicher Wohlfühltermin – es ging um die Ergebnisse einer „Gründungsumfrage der Universitäten in der Metropolenregion“. Doch in diesen Tagen wird die Sachpolitik der neuen Regierung, sofern sie überhaupt stattfindet, vom Streit ums Personal überlagert.
Das drückt aufs Gemüt. „Rot-Rot-Grün ist für uns ein Herzensprojekt, der Senat sollte schnell Aufbruchsstimmung erzeugen, und zwischen den Jahren wollten wir uns alle eigentlich ein bisschen erholen“, sagt ein linker Sozialdemokrat. Stattdessen sei die SPD schon Anfang Dezember in ihren Landesparteitag zur Absegnung des Koalitionsvertrags „hineingestolpert“, die Probleme mit Staatssekretären hätten die schlechte Laune verfestigt. „Die Euphorie des Neuanfangs ist weg.“
Zwei Drittel der Berliner denken, dass Rot-Rot-Grün nicht viel bewegen wird
Der SPD-Mann spricht damit nicht nur den Streit um die Stasi-Vergangenheit des linken Stadtsoziologen Holm an. Auch das Ermittlungsverfahren gegen den Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, und die Diskussion über die Bundesrats-Beauftragte Sawsan Chebli werden im SPD-Landesverband als Belastung empfunden. Nach den zähen, anstrengenden Koalitionsverhandlungen war ein Durchstart geplant. Mit schnellen, bürgernahen Projekten sollte Vertrauen geschaffen und spätestens im Februar ein Regierungsprogramm für die ersten 100 Tage verkündet werden, um bei den Berlinern für 2017 gut Wetter zu machen.
Stattdessen droht der Absturz in ein neues Umfragetief. Die Mehrheit der Berliner rechne damit, dass vor allem die SPD weiter an Zustimmung verlieren wird, sagen die Meinungsforscher von Civey im Auftrag des Tagesspiegels. Momentan stehen die Sozialdemokraten bei 19 Prozent, gefolgt von Grünen (17 Prozent) und Linken (16 Prozent). Auch gehen zwei Drittel der Bürger davon aus, dass Rot-Rot-Grün nicht viel bewegen – oder gar scheitern wird.
Der Senat, der sich vor zwei Wochen konstituierte, steht also mächtig unter Druck. Von außen und von innen. Nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Grüne beklagen die Kommunikations- und Steuerungsprobleme im neuen Regierungsbündnis.
Kritik aus der Opposition
Intern wächst die Sorge, dass die Klärung der Frage, ob Holm Staatssekretär bleiben darf, ins nächste Jahr geschleppt wird. Für die Opposition im Abgeordnetenhaus ist das eine Steilvorlage. Der CDU-Fraktionschef Florian Graf kritisiert den Regierenden Bürgermeister als handlungsunfähig und führungsschwach. Die Union will nicht nur ein „eindeutiges Signal im Fall Holm“, sondern auch eine Überprüfung der Staatssekretärin Chebli durch den Verfassungsschutz.
Die AfD spricht von einem „armseligen provinziellen Schmierentheater“, die FDP beklagt die „Arroganz der Macht“. Ein Antrag der CDU, dass niemand Staatssekretär oder Senator sein kann, der mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat (in Anlehnung an die Praxis in Thüringen und Brandenburg), wird ab Januar im Parlament beraten.
Wären die Grünen nicht in der Regierung, könnte der Antrag auch von ihnen stammen. Der kleinste Koalitionspartner fühlt sich von den Linken schlecht informiert und sogar ausgetrickst. Denn mit der kurzfristigen Einberufung des Koalitionsausschusses ist die politische Verantwortung für den „Fall Holm“ von der Linken auf die gesamte Koalition verlagert worden.
In der SPD ist die Gemengelage deutlich komplizierter. Zwar hat sich nur die Juso-Landeschefin Annika Klose öffentlich mit Andrej Holm solidarisiert. Aber in der organisierten SPD-Linken, das bestätigen mehrere Funktionsträger, denken viele ähnlich. Sie sehen keinen Grund, den umstrittenen Staatssekretär zu entlassen.
Einzig die Linken sind mit sich im Reinen
An der sozialdemokratischen Parteibasis, außerhalb der Funktionärskreise, rumort es dagegen. Dort sehen viele Genossen den Regierungs- und SPD-Landeschef Müller jetzt schon beschädigt, weil er kein Machtwort spricht. Zumal es nicht nur Probleme mit Staatssekretären gibt, sondern auch mit anderem Führungspersonal. Der Regierende hat, seitdem er sich im September von der Senatssprecherin Daniela Augenstein trennte, noch keinen Nachfolger (oder eine Nachfolgerin) gefunden. Und die Stelle des SPD-Landesgeschäftsführers Dennis Buchner, der auf Betreiben Müllers gehen muss, ist ab Januar vakant.
Es scheint so zu sein, als wenn im Regierungs-Trio derzeit nur die Linken mit sich im Reinen sind, auch wenn die Führungscrew in Partei und Fraktion mit der Intensität und Härte der Auseinandersetzung um Andrej Holm so nicht gerechnet hat. „Wir kriegen viel positives Feedback, auch von außerhalb der Partei“, ist in Kreisen der Linken zu hören. Außerdem sei das Gesprächsklima im Koalitionsausschuss am Freitag gut gewesen, entgegen anderslautender Berichte. Und Müller verhalte sich abwägend und korrekt. Er habe von der Personalauswahl zugunsten Holms ja auch frühzeitig gewusst.