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Sergey Lagodinsky, Oppositionsführer in der Jüdischen Gemeinde Berlin.
© dpa

Jüdische Gemeinde Berlin: „Gesetzlosigkeit, Nepotismus und Despotismus“

Sergey Lagodinsky, Oppositionsführer der Jüdischen Gemeinde Berlin, wendet sich an den Zentralrat. Anders sei der Zerfall der Gemeinde nicht zu stoppen.

Nur der Zentralrat der Juden in Deutschland und sein Präsident Josef Schuster könnten die Jüdische Gemeinde in Berlin noch retten, schrieb Sergey Lagodinsky am Mittwoch in einem Brandbrief an den Zentralrat. „Die Gemeinde braucht eine starke politische Stimme, um den Zerfall der größten jüdischen Institution dieses Landes zu verhindern“, heißt es darin. Es herrsche „ein Zustand der Gesetzlosigkeit, des Nepotismus und Despotismus“.

Der 40-jährige Lagodinsky ist mit seinen Eltern aus Russland eingewandert, hat Jura studiert und arbeitet als Referatsleiter in der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Er kann gut auftreten, ist smart und ehrgeizig, und auch eine gewisse Eitelkeit ist ihm nicht fremd. Als Repräsentant im jüdischen Gemeindeparlament hat er schon oft bewiesen, dass er so schnell nicht aufgibt. Der Brandbrief an den Zentralratspräsidenten klingt aber nicht nur dramatisch, die Situation ist tatsächlich besorgniserregend.

Die knapp 10 000 Mitglieder zählende Gemeinde ist tief gespalten, in den vergangenen vier Jahren wurden zunehmend demokratische Gepflogenheiten ausgehöhlt, das Gemeindeparlament tagte zuletzt kaum noch. Mitarbeiter berichteten von Mobbing. Bei der Wahl zum Gemeindeparlament am 20. Dezember setzte der Gemeindevorstand keinen neutralen Wahlleiter ein, sondern den eigenen Anwalt. Lagodinsky landete mit nur 87 Stimmen Abstand hinter dem bisherigen und designierten Vorstandschef Gideon Joffe. Lagodinsky und sein Bündnis punkteten an den Wahlurnen, während die Briefwähler mehrheitlich für Joffe votierten. Nachdem Augenzeugen berichtet hatten, dass am Ende der Stimmenauszählung plötzlich eine weitere Wahlurne aufgetaucht sei, fochten Lagodinsky und sein Team die Wahl wegen Manipulation an.

Josef Schuster hat noch nicht geantwortet

Der Wahlleiter wies die Anschuldigung zurück, erklärte das Ergebnis für endgültig und berief die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments für kommenden Sonntag ein – ohne das Urteil der Schiedsgerichte abzuwarten. Das Schiedsgericht der Gemeinde ist allerdings nach zwei Rücktritten momentan nicht arbeitsfähig, und die Schiedsrichter des Zentralrats haben Lagodinskys Eilantrag zur Verhinderung der konstituierenden Parlamentssitzung zurückgewiesen. Aber das Verfahren um die Vorwürfe wegen Wahlmanipulation ist noch nicht entschieden, und Josef Schuster hat noch nicht geantwortet. Es besteht für Lagodinsky also noch lange kein Grund, die Hoffnung aufzugeben.

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