Erziehung zur Erinnerung: Geschichtsstunden für die nächste Generation
Vom Jahrestag der Auschwitz-Befreiung bis zur aktuellen Terrorgefahr: Ständig stehen Eltern vor der Frage, wie sie Kindern das monströse Weltgeschehen nahe bringen sollen. Und wann dafür der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Gerade war es noch gemütlich, plötzlich hockt es sich zu uns an den Abendbrottisch, das monströse Weltgeschehen, als Greta sagt: „Die Männer, die in Paris die Leute von der Zeitung getötet haben, die waren böse, weil die Leute von der Zeitung ihren Chef beleidigt haben.“ Pressefreiheit, Bilderverbot, der beleidigte Prophet – unsere achtjährige Tochter hat ordentlich was aufgetischt.
„Habt ihr in der Schule darüber gesprochen?“, will ich wissen. „Nein, das haben sie bei Logo erklärt.“ Greta schaut regelmäßig die Kinder-Nachrichten. Nein, in der Schule waren die Terroranschläge von Paris kein Thema, weder bei Greta noch bei Emma, unserer Zwölfjährigen. Luca, der 13-jährige Sohn von Freunden, erzählt, er und seine Mitschüler hätten im Ethik-Unterricht über die Ereignisse sprechen wollen, aber der Lehrer habe das abgelehnt mit der Begründung, er müsse mit dem Lehrstoff durchkommen. Kaum zu glauben.
Das Abendland überfordert selbst die Erwachsenen
Im Berliner Rahmenlehrplan für Ethik heißt es, die Lernenden sollten sich „mit den Grundlagen für ein gewaltfreies und unvoreingenommenes Zusammenleben“ vertraut machen, „sich aktiv mit persönlich, politisch, kulturell und religiös motivierten Lebensentwürfen“ auseinandersetzen. Lucas Ethiklehrer hatte bisher wohl keine Zeit, den Lehrplan zu lesen.
Es häuft sich ja auch ständig mehr Geschichte an. Von Perikles bis Pegida. Das Abendland überfordert selbst die Erwachsenen, wie sollen Kinder da hinterherkommen? Im vergangenen Jahr, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, hatten wir Mühe, unseren Töchtern die einstige Teilung der Stadt nahezubringen. Jetzt folgen im Gedenkkalender der 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, das Ende des Zweiten Weltkriegs. Für uns Babyboomer der sechziger Jahre waren das prägende Daten.
„Meinst du, Emma ist alt genug, um Schindlers Liste sehen zu können?“, fragt meine Frau. Ich denke an die mörderischen Szenen im Krakauer Ghetto, an Ralph Fiennes in der Rolle des unmenschlichen KZ-Kommandanten Amon Göth. Und erinnere mich an eine Kinoaufführung für Schüler im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, die den Spielberg-Film 1994 zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, angeschaut hatten. Als danach das Licht im Kinosaal anging, weinten viele der Jugendlichen. Auch Bubis, der Holocaust-Überlebende, rang mit seinen Gefühlen.
"Schindlers Liste" ist empfohlen ab 12 Jahren
„Das ist doch kein Film für Zwölfjährige“, sage ich. Doch als ich im Internet nachschaue, stelle ich überrascht fest, dass „Schindlers Liste“ ab zwölf Jahren freigegeben ist. Zum Vergleich: Spielbergs Action-Abenteuer „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ ist ab 16 empfohlen.
Ist mein väterlicher Beschützerinstinkt zu stark ausgeprägt? An den Empfehlungen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft wirken immerhin auch staatliche Jugendbehörden mit. Erinnern tut weh, sagte Bundespräsident Roman Herzog anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar 1996. Vielleicht schaue ich mir mit Emma demnächst irgendwann „Schindlers Liste“ an. Aber wohl nicht am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung. Am 27. Januar habe ich Geburtstag.
„Vergiss deinen Namen nicht – Die Kinder von Auschwitz“ lautet der Titel einer Ausstellung, die vom 23. Januar bis zum 29. März in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock (Stauffenbergstraße 13–14 in Tiergarten) zu sehen ist. Mehr Informationen gibt es im Internet auf der Seite der Gedenkstätte unter www.gdw-berlin.de
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