Roman Herzog: Ein kritischer Geist ist er geblieben
Der frühere Bundespräsident Roman Herzog nahm kein Blatt vor den Mund. Jetzt wird der konservative Politiker und evangelische Christ 80 Jahre alt.
Für die breite Öffentlichkeit ist der frühere Bundespräsident Roman Herzog unlösbar mit dem Ruck verbunden – dem Ruck, der endlich durch Deutschland gehen müsse. Das war am 26. April 1997, im Parterre des noch ziemlich zementstaubigen Hotel Adlons am Pariser Platz. Roman Herzog hielt dort seine erste „Berliner Rede“, die Auftakt einer Folge grundsätzlicher Botschaften an die Nation aus dem Munde des jeweiligen Staatsoberhauptes oder anderer prominenter Politiker sein sollte – so die Idee des früheren Berliner Senators Hassemer. Berliner Reden wurden seitdem viele gehalten, und den meisten erging es wie dem Staub im Parterre des Adlon – sie sind Schall und Rauch.
Die Ruck-Rede jedoch wird bestehen, Symbol für Roman Herzogs fordernden und manchmal unbequemen Stil als Staatsoberhaupt, aber auch für die gelegentliche Erfolglosigkeit öffentlicher Appelle. Aber dass Deutschland weniger vor einem Erkenntnis- als vor einem Umsetzungsproblem steht – das sagte Herzog ebenfalls – ist als Mahnung geblieben. Wie alle seine Vorgänger und Nachfolger hatte auch dieser Präsident seinen sehr eigenen, unnachahmlichen Stil. Der Staatsrechtler mit der langen politischen Karriere in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes war völlig unprätentiös. Respekt vor dem Amt verlangte er, Respekt vor der Person musste er nicht einfordern. Er war selbstironisch, spöttisch, er konnte sich selbst auf den Arm nehmen. Als ihn sein Amtsnachfolger Johannes Rau anlässlich Herzogs 70. Geburtstag ins Schloss Bellevue einlud, erzählte der Ehrengast launig, wie er nach einem Herzinfarkt zuerst mit Erleichterung an all die lästigen Termine gedacht habe, die nun wegfielen – und als die Zuhörer sich gerade von diesem sarkastischen Humor zu erholen begannen, fügte er an, dass sich sein persönlicher Materialwert nach dem Einsatz einer künstlichen Hüfte deutlich erhöht habe.
Solche Späße sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Roman Herzog in seiner aktiven, in der vor-präsidialen und der Vor-Karlsruher, Zeit ein ausgeprägter konservativ-christlicher Machtpolitiker gewesen ist. Das Christliche prägte seine Amtsführung als Kultusminister des Südweststaates, das konservative Element wurde in den Jahren bis 1983 spürbar, in denen er in Stuttgart Innenminister war. Als er am 20. Dezember 1983 zum Vizepräsidenten und Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes ernannt wurde, begleiteten ihn durchaus Sorgen der deutschen Liberalen und Sozialdemokraten, er würde das Amt zu einer Kurswende des obersten deutschen Gerichtes nutzen.
Ein Verdacht, der sich bei gerechter Würdigung nicht bestätigte. Unter Herzogs Führung hob das Karlsruher Gericht zum Beispiel das Verbot einer Demonstration gegen das geplante Kernkraftwerk Brokdorf mit der Begründung auf, das von der Verfassung gebotene Recht auf Versammlungsfreiheit müsse auch dann garantiert sein, wenn bei einer Demonstration mit Ausschreitungen zu rechnen sei. Geradezu hellseherisch klingt heute seine Mahnung aus dem Jahre 1993, die Politik solle nicht zunehmend ihre Streitthemen zur Klärung nach Karlsruhe verlagern.
Auch als Bundespräsident nahm Herzog – gewählt wurde er am 8. Mai 1994 – kein Blatt vor den Mund. So forderte er Deutschland auf, seine weltpolitische Rolle nach der Wiedervereinigung anzunehmen und mit dem Trittbrettfahren aufzuhören. Im Blick auf die deutsche Vergangenheit führte er 1996 den Holocaustgedenktag am 27. Januar ein, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee. Die Sicherung der Demokratie und die Kritik am überbordenden Einfluss europäischer Institutionen bewegen ihn bis heute, seinem 80. Geburtstag. „Europa neu erfinden“ ist der Titel eines Buches mit kritischen Reflexionen zum Thema, das gerade herauskam.
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