Berliner Stadtgeschichte: Geschichte liegt auf der Straße
Wurzeln einer wachsenden Stadt: Ein neuer Berlin-Plan illustriert die Siedlungsgeschichte - und erklärt, wann welche Straße zu ihrem Namen kam.
Unter den Linden standen die Linden schon, als Berlin noch ein Dorf im Urstromtal war. Nur hieß die Magistrale damals, um 1670, Erste Straße. Die nördlich parallel verlaufende Mittelstraße war damals schon die Mittelstraße. Weil nämlich dahinter die Letzte Straße verlief, die auch Hinter-Gasse genannt wurde. Heute liegt sie als Dorotheenstraße inmitten der Metropole. Damals bildete sie die Grenze zwischen der Siedlung und dem Sumpf, durch den sich die Spree schlängelte – in Richtung des Dörfchens Lietzow, das später als Charlottenburg Karriere machen sollte.
Auf solche Geschichten stößt man beim Studium des Stadtplans „Berliner Straßennamen“. Der Grafiker Gerd Gauglitz hat das Werk in fast zweijähriger Arbeit zusammengetragen, das nun großformatig in seinem Atelier am Mehringdamm liegt. „Ich würde ja versauern, wenn ich nur Orientierungsstadtpläne machen würde“, sagt er selbst.
Vom Ochsen- über den Königs- zum Alexanderplatz
Während sich Anekdoten wie jene mit der Dorotheenstraße im Begleitheft finden, zeigt der Stadtplan selbst auf einen Blick, was man zwar irgendwie längst bemerkt, aber sich noch nie systematisch vor Augen geführt hat. Eine Stadt voll farbiger Inseln: Flüsse in Neukölln um die Weserstraße, Sternbilder um die Sonnenallee. Lausitzer und schlesische Ortsnamen um den Görlitzer, Anhalter, norddeutsche um den ehemaligen Stettiner Bahnhof. Generäle am Generalszug von Kreuzberg bis Charlottenburg; die Orte ihrer Schlachten finden sich in den Querstraßen. Andere Namen würdigten auswärtigen Besuch, etwa der nach dem russischen Zar in Alexanderplatz umgetaufte Königsplatz, der noch früher Ochsenplatz hieß. Und weiter draußen finden sich Forscher, Dichter, Künstler, Blumen, Bäume und – ganz beliebt – Sehnsuchtsorte.
Unattraktive Gegenden, die nach Armut und Kartoffeln klangen, seien allenfalls im Gefolge von Bahnlinien oder wegen ihrer Lage in der jeweiligen Richtung benannt worden, sagt Gauglitz. Generell habe offenbar gegolten: „Preußen und Deutschland zuerst“. Die Vielfalt der Straßennamen sei dann vor allem mit dem Bauboom der Gründerzeit gewachsen, nachdem alle Prinzen, Schlachten und Hohenzollern bereits verewigt waren. Das um 1900 entstandene Rheingauviertel um den Rüdesheimer Platz beweist, dass wohlklingende Namen für Immobilienprojekte kein neues Phänomen sind. Der Kiez grenzt östlich an die alte Verbindung, die als Wilmersdorfer Weg von Schmargendorf über die Felder nach Wilmersdorf führte und auf Wilmersdorfer Seite zum Schmargendorfer Weg wurde: Der Name weist die Richtung. So kommen auch die acht Berliner Straßen zustande, über die die einst entfernte Stadt im Laufe der Jahre gewuchert ist wie Unkraut.
Apropos Unkraut: Ein Grüner Weg führte einst über Felder, ein Schwarzer Weg durch Wald. Die heutige Singerstraße in Friedrichshain war auch mal ein Grüner Weg, bevor sie 1933 – schon klar! – ein Brauner Weg wurde. Nach der aktuellen Politik ging es auch im unmittelbaren Zentrum: Der anno 1573 benannte Lustgarten am Schloss wurde unter dem Soldatenkönig gepflastert – und hieß fortan Paradeplatz. Wilhelm I., der sich während der Märzrevolution 1848 den Beinamen „Kartätschenprinz“ einhandelte, wurde in Wilmersdorf nicht nur mit Prinzregentenstraße und Kaiserallee samt Kaiserplatz (der heutigen Bundesallee mit Bundesplatz) geehrt, sondern auch in den Nachbarstraßen, die nach Orten heißen, in denen er die Demokraten niedermetzeln lassen habe, sagt Gauglitz. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was in anderen Kiezen anders ist: Das Ostpreußenviertel zwischen Greifswalder und Kniprodestraße ist in den 1970ern zum Widerständlernest geworden: Die Allensteiner Straße heißt jetzt nach Liselotte Herrmann, die Kurische nach John Schehr.
Drei rotbraune Inseln – am Hauptbahnhof, an der Mercedes-Arena und in Rummelsburg – stechen im Namensplan hervor: Sie gehören zur Kategorie „Berühmte Frauen“, die erst mit dem 21. Jahrhundert kam bzw. kommt. Überfällig sei das gewesen, sagt Gauglitz, zumal vorher „schon so viele bescheuerte Hanseln geehrt worden sind.“ In diese Kategorie fällt für ihn auch die Petersallee im Afrikanischen Viertel in Wedding: Bis 1986 (!) sei sie nach Carl Peters benannt gewesen, einem der brutalsten Kolonialisten. Seitdem heißt sie – Petersallee: nach Hans Peters, einem Lokalpolitiker der CDU. Wenn die Geschichte nur immer so einfach wäre.
Der Stadtplan ist für 14,90 Euro u.a. im Tagesspiegel-Shop im Verlagshaus am Anhalter Bahnhof erhältlich (Mo-Fr 9-18 Uhr). Infos und Bestellungen: tagesspiegel.de/shop, Tel. (030) 29021-520
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