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Auf die Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in Potsdam wurde 2001 ein Brandanschlag verübt.
© Manfred Thomas

Brandanschlag auf Jüdische Trauerhalle 2001: Generalstaatsanwalt äußert Verdacht gegen Verfassungsschutz

Hatte Brandenburgs Verfassungsschutz etwas mit dem Brandanschlag auf die Jüdische Trauerhalle in Potsdam 2001 zu tun? Das vermutet der Generalstaatsanwalt.

Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat den Verdacht geäußert, dass der Landesverfassungsschutz 2001 in den Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verwickelt gewesen sein könnte. "Ich schließe das nicht aus", sagte Rautenberg am Freitag dem Tagesspiegel. Zuvor war Rautenberg als Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages angehört worden, der vor allem auch Verwicklungen des Verfassungsschutzes und seines V-Mannes "Piatto" in den NSU-Mordkomplex aufklären soll.

Der Anschlag auf die Trauerhalle am 8.Januar 2001 in Potsdam hatte damals bundesweit Aufsehen erregt; der Generalbundesanwalt hatte die Ermittlungen übernommen, bei denen die Täter aber nie gefasst werden konnten. In einem Bekennerschreiben hatte sich damals eine "Nationale Bewegung" zu der Aktion bekannt, die vorher mit einschlägigen Delikten – etwa Rudolf-Hess-Plakaten an Autobahnen, Anschlägen auf einen türkischen Imbiss in Stahnsdorf oder einem Drohbrief gegen einen Kopf der "Kampagne gegen Wehrpflicht" – aufgefallen war.

Die Tat fiel in die Amtszeit des früheren Innenministers Jörg Schönbohm (CDU), in der der Verfassungsschutz 2000 bis 2004 von Heiner Weggesin geführt worden war. Das sei die "finsterste Zeit der Behörde" gewesen, wie Rautenberg sagte. Nach seinen Worten habe das Gespür gefehlt, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen.

Fragwürdiger Umgang mit V-Leuten

Wegesin habe damals Einwände erhoben, dass das Verfahren zum Brandanschlag dem Generalbundesanwalt zur Übernahme angeboten worden sei. Danach habe er das Bekennerschreiben im Internet veröffentlichen lassen, worin die Bundesanwaltschaft eine Behinderung ihrer Ermittlungen gesehen habe, sagte Rautenberg. "Zu den Merkwürdigkeiten dieses Verfahrens" gehöre es, dass nach dem Brandanschlag auf die Trauerhalle die "Nationale Bewegung" überhaupt nicht mehr in Erscheinung getreten sei. "Daher will ich nicht verhehlen, dass mir Zweifel gekommen sind, ob es diese Gruppierung tatsächlich je gegeben hat", sagte Rautenberg im NSU-Ausschuss.

Rautenberg erinnerte auch daran, dass der Brandenburger V-Mann Toni S. in den Jahren 2001 und 2002 mit Wissen und Unterstützung des Verfassungsschutzes die Musik-CD „Noten des Hasses“ einer rechtsextremistischen Band in einer Auflage von 2000 Exemplaren produzierte und vertrieb, deren Lieder Mordaufrufe enthielt, unter anderem auch gegen Rautenberg selbst.

Auch beim ersten Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes Wolfgang Pfaff fehlte nach Rautenbergs Einschätzung einmal das Gespür für Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Konkret meint er die Anwerbung des wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilten Carsten Szczepanski. Später setzte sich das fehlende Gespür fort, etwa beim vom Unterssuchungsausschuss des Bundestages als skandalös bewerteten Umgang des Verfassungsschutzes mit Hinweisen des V-Manns "Piatto" auf das spätere NSU-Trio.

Brandenburgs Verfassungsschutz hatte sie nur begrenzt an Thüringer Polizei weitergeleitet und soll nach neuesten Vorwürfen von Opferanwälten im Münchner NSU-Prozess die Arbeit des Landeskriminalamts gezielt sabotiert haben, um den eigenen V-Mann zu schützen. Rautenberg verwies auf das Fazit des NSU-Untersuchungsauschusses im Bundestag, wonach Carsten Szczepanski nie hätte angeworben werden dürfen. Es sei wohl ein Ausdruck der völlig Hilflosigkeit der Behörden abgesichts der massiven rechten Gewalt. Strafrechtlich jedenfalls, so Rautenbergs Eindruck, brachten die Hinweise Piattos wenig.

Rautenberg: Polizei und Justiz waren mit rechtsextremen Gewalttaten überfordert

Brandenburgs Politik rühmt sich oft darin, dass Rechtsextremismus im Land besonders konsequent bekämpft worden sei. Doch so eindeutig war das in den 90er Jahren nicht, wie Rautenberg schilderte. Polizei und Justiz im Umbruch seien mit dem Massenphänomen rechtsextremer, fremdenfeindlicher Gewalttaten überfordert gewesen. Und die Politik, quer durch alle Parteien im Landtag habe damals versucht, das Problem öffentlich zu deckeln, aus Sorge vor einem Negativimage Brandenburgs. Nach einem Kurswechsel des damaligen Regierungschefs Manfred Stolpe 1998 habe sich das geändert.

Rautenberg äußerte sich besorgt, dass im Zuge der aktuellen Flüchtlingskrise Gewaltstraftaten stark angestiegen seien. Anders als in den 90er Jahren seien Polizei und Justiz heute aber handlungsfähig und es gebe eine Zivilgesellschaft, die sich zur Wehr setze. Er vermute, dass viele Täter von heute von der in den 90er Jahren dominierenden rechtsextremen Jugendkultur geprägt worden seien. Um das Problem zu lösen, müsse in erster Linie "die Migrationskrise" gelöst werden. Er finde es war richtig, dass Deutschland 2015 hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen habe, sagte Rautenberg. Aber der Bund lasse Länder und Kommunen damit immer noch zu sehr allein.

Für Unruhe bei SPD und Linken im Saal sorgten Aussagen Rautenbergs, dass auch die Aufnahmefähigkeit eines Staates in den Staatsfinanzen ihren Grenzen habe – und auch die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung, und zwar nicht allein aus Fremdenfeindlichkeit, sondern aus Sorge um das Vertraute, vor "Entheimatung", wie es Spiegel-Autor Stefan Berg formuliert habe. Rautenberg wählte einen drastischen Vergleich: "Deshalb habe ich keinen Zweifel, dass es auch zu Übergriffen käme, wenn man in ein brandenburgisches Dorf mit 100 Seelen 50 Sachsen zwangseinquartieren würde."

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