Wegen Schlamperei in der Justiz: Gefährliche Sexualtäter in Berlin entlassen
Fatale Justizpanne: Zwei Sexualstraftäter sind wegen Versäumnissen eines Richters auf freiem Fuß. Beide gelten weiterhin als gefährlich. Trotzdem wurden sie ohne Auflagen entlassen.
Zwei vielfach vorbestrafte Sexualtäter mussten aus der Sicherungsverwahrung der JVA Tegel entlassen werden – weil die Justiz geschlampt hat. Ein Gerichtssprecher bestätigte am Freitag entsprechende Informationen eines Tegeler Gefangenen. Demnach wurden in den vergangenen Wochen zwei Häftlinge auf Beschluss des Kammergerichtes hin frei gelassen.
Bernd R. war wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der andere Täter, der 1983 geborene Marcel M. war wegen „besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Waffe“ 2008 zu sechseinhalb Jahren verurteilt worden. Er hatte eine Schwangere in einem Park in Prenzlauer Berg mit einer Schusswaffe bedroht und vergewaltigt. Beide Männer waren wegen der erheblichen einschlägigen Vorstrafen jeweils zu anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Dies ist die sogenannte „Haft nach der Haft“ für besonders gefährliche Straftäter.
Allerdings sind die Anforderungen an die Sicherungsverwahrung strenger geworden. So müssen die Männer regelmäßig von einem Sachverständigen auf ihre Gefährlichkeit untersucht werden. Dies ist in beiden Fällen unterblieben. Nach Angaben des Gerichtssprechers gab es „erhebliche Verfahrensverzögerungen“.
Fehlende chronologische Reihenfolge
Und das ist sehr freundlich formuliert. In den Beschlüssen, die dem Tagesspiegel vorliegen, heißt es: „Der Verfahrensgang lässt sich wegen des ungeordneten Zustandes der Akte nur unvollständig rekonstruieren.“ Das Kammergericht bemängelte weiter „Widersprüche zwischen Zeitangaben auf Vermerken und Entscheidungen“ und eine fehlende „chronologische Reihenfolge der Schriftstücke“. Andere Entscheidungen wurden fälschlich in der Akte eines Mitgefangenen abgeheftet. Anfragen und Anträge der Verteidigerin wurden von der Kammer schlicht ignoriert.
In dem einen Beschluss wird die „persönliche und sachliche Überlastung des Vorsitzenden“ Richters als Grund für die Pannen erwähnt – dem Vernehmen nach war Richter F. sogar in beiden Fällen zuständig. In dem Beschluss zu M. wird beispielsweise eine „nicht gesetzmäßige Besetzung“ der zuständigen Strafvollstreckungskammer kritisiert. Mittlerweile soll F. nicht mehr Richter an der Strafvollstreckungskammer sein, die für so genannte Haftsachen zuständig ist.
M. weiterhin als gefährlich eingeschätzt
„Auf Grund der insgesamt ungeordneten Aktenführung“ glaubt das Kammergericht nicht einmal den genannten Terminen von Entscheidungen und setzt sie in dem Beschluss in Anführungsstriche. Doch für das Recht sind exakte Termine zwingende Voraussetzungen. Sicherungsverwahrte müssen einmal pro Jahr begutachtet werden. Bei einem der Täter wurde diese Frist um mehr als ein Jahr überzogen.
Bei solch Trödelei muss nicht einmal mehr „zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit mehr abgewogen“ werden, heißt es in den Beschlüssen. Dabei schätzt das Kammergericht M. weiterhin als gefährlich ein („keine günstige Legalprognose“). Nach Informationen des Tagesspiegels lag zwischen der letzten Haftentlassung und der brutalen Vergewaltigung im Jahr 2007 genau ein Monat.
Erinnert an Fall im Jahr 2007
Sofort nach den Beschlüssen öffneten sich für beiden Täter die Tore in Tegel. Und das ohne Auflagen – bei einer solchen ungeplanten Entlassung kann es sie nicht geben, sagte ein Justizsprecher. Die Justizverwaltung wollte die Entscheidungen des Gerichts – wie üblich – nicht kommentieren, eine Sprecherin verwies auf die Unabhängigkeit der Gerichte.
Die Freilassungen erinnern an einen Fall im Jahr 2007. Damals hatte sich der Sicherungsverwahrte Karl S. (Name geändert) die Freiheit erstritten. Die Justiz hatte mehr als zweieinhalb Jahre ergebnislos die vorgeschriebene Prüfung vertrödelt, ob S. weiter gefährlich ist.
Männer sollen wieder in Sicherungsverwahrung
Das sei S. nicht zuzumuten, urteilten die Richter am Kammergericht damals und setzten ihn auf freien Fuß – bundesweit zu diesem Zeitpunkt einmalig. S. war 1998 wegen Körperverletzung gegen eine Frau zu sechseinhalb Jahren plus anschließender Verwahrung verurteilt worden.
Die damalige Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hatte im Abgeordnetenhaus Fehler zugegeben und um Entschuldigung gebeten. Die Gerichtspräsidenten und Gefängnisleiter wurden zu einem Krisengespräch einbestellt. Erst nach elf Monaten in Freiheit gelang es der Justiz, S. wieder in Sicherungsverwahrung zu nehmen, nachdem das erforderliche Gefährlichkeitsgutachten erstellt worden war.
So könnten auch die beiden aktuellen Fälle weitergehen. Dem Vernehmen nach will die Staatsanwaltschaft versuchen, die beiden Männer wieder in Sicherungsverwahrung nehmen zu lassen. Ob und wann das gelingt, ist ungewiss.
Hinweis der Redaktion: Aus rechtlichen Gründen wurden in dem Artikel zwei Sätze entfernt, die sich mit den Details einer Beschlagnahmung befassen.
Jörn Hasselmann
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