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Shoppen auf drei Etagen. Aber wenn's um feines Essen geht, hat der Berliner Hauptbahnhof wenig zu bieten.
© Kai-Uwe Heinrich

Billigfraß am Hauptbahnhof: Gebt mir Austern!

In New Yorks Grand Central Station diniert man fürstlich, am Berliner Hauptbahnhof gibt es nur faden Billigfraß. Kein gutes Aushängeschild für die kulinarische Hauptstadt – und ein Ärgernis für alle Reisenden in Sachen Genuss.

Das Beste am Berliner Hauptbahnhof ist das Eis. Mango, Schokolade, Nuss, danach schleckt man sich die Finger. Nur: Die Kugeln von Zanetti machen nicht satt. Und haben Sie schon mal versucht, sich mit dem Koffer in der einen und der tropfenden Tüte in der anderen Hand ins Abteil zu quetschen? Da macht man sich Freunde.

In vollen Zügen genießen – dieses Bahnmotto klingt nicht erst im Bordrestaurant hohl, sondern schon vor der Abfahrt. Zwar füllen in den Zeitschriftenläden des Hauptbahnhofs Dutzende von Food-Magazinen die Regale: „Feinschmecker“, „Slow Food Magazin“, „Gourmetreise“ („Das Reisemagazin für Genießer“), „Lecker Veggie“, „Welt Vegan“, „Vegan Good Life“, „Eat Healthy“, „Frisch vom Feinsten“... Doch die gastronomische Realität am Bahnsteig sieht anders aus. Da gibt es aufgeblähte Gummi-Brezeln, auf denen sich kein Krümelchen Salz findet – oder gleich ein ganzes Fass. Panierte, frittierte Schnitzel, die seit Tagen in der Vitrine vor sich hin zu welken scheinen. Streuselschnecken, begraben unter Zuckerguss, mit Formschinken belegte Brötchen (Trendfarbe: bleich), plastikverpacktes Essen mit Plastikgeschmack. Frische vom Feinsten? Fraß vom Fiesesten!

Kein Discounter würde es sich noch leisten, auf Bio-Lebensmittel zu verzichten. Aber versuchen Sie mal, in diesem dreistöckigen Einkaufszentrum einen Bio-Apfel zu finden oder ein Stück Käse, das nach Käse schmeckt. Berlin hat sich zur kulinarischen Hauptstadt Deutschlands gemausert, an jeder Ecke findet man kleine Cafés, Edel-Imbisse, Senf-Manufakturen, vegane Tapas-Bars, Bio-Läden, Streetfood-Märkte. Aber der letzte Eindruck, den der auswärtige Besucher bei der Heimfahrt mit nach Hause nimmt, ist ein Desaster.

Am Kiosk stapeln sich die Gourmetzeitschriften, aber rundrum gibt’s nur Gummibrezeln und welke Schnitzel

In New Yorks Grand Central Station schlürft man seine Austern in einer legendärer Bar, in Zürichs kleiner Sprüngli-Filiale bekommt man feine Pralinés und Brötli. Londons St. Pancras, ein Jahr jünger als der hiesige Hauptbahnhof, ist ein wahres Schlemmerland, mit üppigen Erdbeertörtchen und köstlich belegten Sauerteigbroten, appetitlich präsentiert. Und Berlin? Leidet an der Ketten-Pest: Burger King und McDonald’s, Le Crobag, Starbucks und Ditsch, Pizza Hut und Asiagourmet. Einfalt statt Vielfalt – Kamps und Dunkin’ Donuts gibt’s gleich zweimal. Wenn schon Kette, dann doch lieber eine wie Pret a Manger, die man auf vielen englischen Bahnhöfen findet. Dort verzichtet man auf Chemie und Zusatzstoffe, schenkt Biokaffee aus, belegt das Sandwich mit garantiert antibiotikafreiem Schinken.

In Berlin heißt das Motto: Hauptsache groß und billig. Aber wer 140 Euro für eine Fahrkarte nach München ausgibt, wird vielleicht auch bereit sein, ein paar Euro mehr auszugeben, um auf der sechs- bis siebenstündigen Reise in was Gescheites zu beißen. Es lohnt sich doch für Geschäfte am Hauptbahnhof offenbar auch, Unterhöschen für 20 Euro anzubieten, Armbandührchen für 329 Euro oder Kugelschreiber für 39 Euro. Shopper werden hier schnell fündig, Hungrige nicht. Wer als Ortsunkundiger in den Bahnhof stürzt, nur noch ein paar Minuten Zeit hat, um Reiseproviant zu kaufen, gerät schnell in Panik. Lottoscheine, Stöckelschuhe, Tischdecken, Ledertaschen – bis man im Straßengeschoss Lebensmittel entdeckt, ist der Zug abgefahren.

Eine Rolltreppe höher jubelt man fast beim Anblick von McConell’s Obsttresen. Endlich was Frisches! Allerdings lässt die Beschriftung „Joghurt mit Fruchtgeschmack“ Ungutes ahnen. Und guckt man um die Ecke, vergeht einem der Appetit: Hinter der Frische liegt das Bahnhofsklo, die Besucher des Food- Court-Cafés haben es direkt im Blick. Im Court ist auch Gosch Sylt zu Hause. Klingt luxuriös, bis man die Nümmerchen auf der Speisekarte entdeckt: 2, 3 und 4 – das Knoblauchbaguette wurde mit Farbstoff, Antioxidationsmittel und Geschmacksverstärker aufgepeppt. Immerhin identifiziert Gosch das Food-Doping. Bei den anderen steckt es stillschweigend drin.

„Ich liebe es“? Ich hasse es!

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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